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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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"Lornelius im Lichte der Gegenwart,

ganzen Menschendarstellung vorhanden ist, zurückzugehen vermocht hätte, konnte
Mosen seinem wachsenden Leiden gegenüber nicht ablegen.

Bon 1848--1867 verschlimmerte sich sein Zustand unablässig - bewun¬
dernswürdig bleibt die Kraft und die Geduld, die Frische und der Humor, mit
welchen er dies herbe Schicksal trug und noch mannhaften, warmherzigen Antheil
an vaterländischen und künstlerischen Dingen zeigte. Die gemeine Noth des
Lebens blieb glücklicherweise seinem Schmerzenslager fern, und zum bittern
Gefühl des gänzlichen Verlassen- und Anfgegebenseins ließ ihn die treue Liebe
der Seinen und die Anhänglichkeit seiner oldenburgischen Freunde nicht kommen.
Eine letzte beglückende Zeit durchlebte Julius Mosen, als im Jahre 1863 die
erste Gesammtausgabe seiner "Werke" hervortreten konnte, und die Summe
seines poetischen Lebens und Strebens sich in der Weife darstellte, wie wir sie
gegenwärtig wieder zu ziehen vermögen. Sie ist, nach allen Irrthümern und
minder gelungner Anläufen, wahrlich groß genug, um im goldnen Buch unsrer
poetischen Literatur die Dauer von Mosers Namen zu sichern. Und so können
wir in jedem Betracht der Neuausgabe seiner "sämmtlichen Werke" einen
großen Kreis pietätvoller, theilnehmender und einsichtiger Leser wünschen, die
von dem Vollendeten reinen Genuß empfangen und aus dem Verfehlten feste
Anschauungen über das innerste Wesen der Poesie und ihr wahres Verhältniß
zu allem gewinnen, was sich in verschiednen Zeitläuften "Geist der Zeiten" oder
gar der Weltgeschichte nennt.


Adolf Stern.


Cornelius im Lichte der Gegenwart.

W>WMA
MMin Herzen der preußischen Hauptstadt, auf jener Insel, welche König
Friedrich Wilhelm IV. der Kunst geweiht wissen wollte - kein
unheiliger Fuß sollte ihren Boden betreten -- erhebt sich, von hohen
Säulengängen umgeben, ein stattliches, hochragendes, weit über
- den Fluß blickendes Gebäude, dessen Aeußeres die heitern Formen
des griechischen Tempels trägt. Auf dem Architrcw liest man die Worte "Der dent-
schen Kunst." Ein Treppenhaus von gewaltigen Dimensionen empfängt deu Ein¬
tretenden, der, wenn er zunächst nur in der Absicht, sich über die Disposition der
Innenräume zu orientiren, Geschoß nach Geschoß durchwandert, schnell zu der
Einsicht gelangt, daß zwei große Oberlichtsäle des zweiten Stockwerks, welche
mich durch das dritte hindurchgehen, den Kern des ganzen Bauwerks bilden,


«Lornelius im Lichte der Gegenwart,

ganzen Menschendarstellung vorhanden ist, zurückzugehen vermocht hätte, konnte
Mosen seinem wachsenden Leiden gegenüber nicht ablegen.

Bon 1848—1867 verschlimmerte sich sein Zustand unablässig - bewun¬
dernswürdig bleibt die Kraft und die Geduld, die Frische und der Humor, mit
welchen er dies herbe Schicksal trug und noch mannhaften, warmherzigen Antheil
an vaterländischen und künstlerischen Dingen zeigte. Die gemeine Noth des
Lebens blieb glücklicherweise seinem Schmerzenslager fern, und zum bittern
Gefühl des gänzlichen Verlassen- und Anfgegebenseins ließ ihn die treue Liebe
der Seinen und die Anhänglichkeit seiner oldenburgischen Freunde nicht kommen.
Eine letzte beglückende Zeit durchlebte Julius Mosen, als im Jahre 1863 die
erste Gesammtausgabe seiner „Werke" hervortreten konnte, und die Summe
seines poetischen Lebens und Strebens sich in der Weife darstellte, wie wir sie
gegenwärtig wieder zu ziehen vermögen. Sie ist, nach allen Irrthümern und
minder gelungner Anläufen, wahrlich groß genug, um im goldnen Buch unsrer
poetischen Literatur die Dauer von Mosers Namen zu sichern. Und so können
wir in jedem Betracht der Neuausgabe seiner „sämmtlichen Werke" einen
großen Kreis pietätvoller, theilnehmender und einsichtiger Leser wünschen, die
von dem Vollendeten reinen Genuß empfangen und aus dem Verfehlten feste
Anschauungen über das innerste Wesen der Poesie und ihr wahres Verhältniß
zu allem gewinnen, was sich in verschiednen Zeitläuften „Geist der Zeiten" oder
gar der Weltgeschichte nennt.


Adolf Stern.


Cornelius im Lichte der Gegenwart.

W>WMA
MMin Herzen der preußischen Hauptstadt, auf jener Insel, welche König
Friedrich Wilhelm IV. der Kunst geweiht wissen wollte - kein
unheiliger Fuß sollte ihren Boden betreten — erhebt sich, von hohen
Säulengängen umgeben, ein stattliches, hochragendes, weit über
- den Fluß blickendes Gebäude, dessen Aeußeres die heitern Formen
des griechischen Tempels trägt. Auf dem Architrcw liest man die Worte „Der dent-
schen Kunst." Ein Treppenhaus von gewaltigen Dimensionen empfängt deu Ein¬
tretenden, der, wenn er zunächst nur in der Absicht, sich über die Disposition der
Innenräume zu orientiren, Geschoß nach Geschoß durchwandert, schnell zu der
Einsicht gelangt, daß zwei große Oberlichtsäle des zweiten Stockwerks, welche
mich durch das dritte hindurchgehen, den Kern des ganzen Bauwerks bilden,


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[0039] «Lornelius im Lichte der Gegenwart, ganzen Menschendarstellung vorhanden ist, zurückzugehen vermocht hätte, konnte Mosen seinem wachsenden Leiden gegenüber nicht ablegen. Bon 1848—1867 verschlimmerte sich sein Zustand unablässig - bewun¬ dernswürdig bleibt die Kraft und die Geduld, die Frische und der Humor, mit welchen er dies herbe Schicksal trug und noch mannhaften, warmherzigen Antheil an vaterländischen und künstlerischen Dingen zeigte. Die gemeine Noth des Lebens blieb glücklicherweise seinem Schmerzenslager fern, und zum bittern Gefühl des gänzlichen Verlassen- und Anfgegebenseins ließ ihn die treue Liebe der Seinen und die Anhänglichkeit seiner oldenburgischen Freunde nicht kommen. Eine letzte beglückende Zeit durchlebte Julius Mosen, als im Jahre 1863 die erste Gesammtausgabe seiner „Werke" hervortreten konnte, und die Summe seines poetischen Lebens und Strebens sich in der Weife darstellte, wie wir sie gegenwärtig wieder zu ziehen vermögen. Sie ist, nach allen Irrthümern und minder gelungner Anläufen, wahrlich groß genug, um im goldnen Buch unsrer poetischen Literatur die Dauer von Mosers Namen zu sichern. Und so können wir in jedem Betracht der Neuausgabe seiner „sämmtlichen Werke" einen großen Kreis pietätvoller, theilnehmender und einsichtiger Leser wünschen, die von dem Vollendeten reinen Genuß empfangen und aus dem Verfehlten feste Anschauungen über das innerste Wesen der Poesie und ihr wahres Verhältniß zu allem gewinnen, was sich in verschiednen Zeitläuften „Geist der Zeiten" oder gar der Weltgeschichte nennt. Adolf Stern. Cornelius im Lichte der Gegenwart. W>WMA MMin Herzen der preußischen Hauptstadt, auf jener Insel, welche König Friedrich Wilhelm IV. der Kunst geweiht wissen wollte - kein unheiliger Fuß sollte ihren Boden betreten — erhebt sich, von hohen Säulengängen umgeben, ein stattliches, hochragendes, weit über - den Fluß blickendes Gebäude, dessen Aeußeres die heitern Formen des griechischen Tempels trägt. Auf dem Architrcw liest man die Worte „Der dent- schen Kunst." Ein Treppenhaus von gewaltigen Dimensionen empfängt deu Ein¬ tretenden, der, wenn er zunächst nur in der Absicht, sich über die Disposition der Innenräume zu orientiren, Geschoß nach Geschoß durchwandert, schnell zu der Einsicht gelangt, daß zwei große Oberlichtsäle des zweiten Stockwerks, welche mich durch das dritte hindurchgehen, den Kern des ganzen Bauwerks bilden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/39>, abgerufen am 28.04.2024.