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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

überzusiedeln, Folge leistete. Mosen begann seine neue Thätigkeit mit dein voll¬
sten Enthusiasmus. Aber kaum war das erste Jahr derselben vorüber, so
zeigten sich die ersten Vorboten jener verhängnißvollen lähmenden und ver¬
zehrende Krankheit, welche auch seine noch übrige poetische Kraft in langem
Siechthum brach. Die Sammlung seiner mehrgenannten '"Bilder im Moose",
der werthvollen Novellen aus früherer und späterer Zeit, war die letzte Arbeit,
deren Abschluß ihm gegönnt wurde. Darnach begann er nur noch die frisch
und liebenswürdig anhebenden "Erinnerungen" und eine Tragödie "Cromwell."
Reinhard Mosen meint, dieselbe wäre vielleicht "nach dem vorhandnen fertigen
Anfange des ersten Actes und dem EntWurfe zu den übrigen sein gewaltigstes
Drama geworden." Und warum nicht, wenn wir annehmen, daß dem innerlich
productiven Dichter der Irrthum seiner jüngsten politisch-philosophischen Kunst-
theorie klar geworden wäre? Warum nicht, wenn ihm für diesen Entwurf die
Bedeutung der charakteristisch herausgearbeiteten Hauptgestalten, voller, lebendiger
Individuen, gewaltiger historischer Gegensätze, mächtiger menschlicher Gegen¬
spieler so klar vor der Seele stand, wie er sie in einer kleinen Skizze seines
trefflichen kleinen Buches über "Die Dresdner Gemäldegalerie" bei Gelegenheit
des Van Dykischen Portraits Karls I. geschildert? "Eine tiefe Wehmuth be¬
schleicht unser Herz, blicken wir in dies königliche Gesicht. Van Dyk hat es
verstanden, das Stuartschicksal hineinzuschreiben. Dieser Stuart war der letzte
ritterliche selbstherrliche König auf dem Throne Englands. Er war der Held
des großen Trauerspiels, welches dort der Dämon der englischen Geschichte im
Geiste Shakespeares so grausam gedichtet, so blutig in Scene gesetzt hat. Zu¬
erst drängte er die stumpfen Gegensätze, in welchen sich das gemeine Leben be¬
wegt, in zwei Extreme heraus, in die Parteien des Royalismus und der puri¬
tanischen Demokratie, ließ sie in den äußersten Spitzen in zwei einander ent¬
gegengesetzten Personen in Carl Stuart und Cromwell sich empören und stellte
sie auf Leben und Tod einander gegenüber. Der unglückliche König hatte die
schwierigere Rolle zu übernehmen. Cromwell hatte für sich die Kraft einer
großen Zeitidee, Carl nur die eigne Persönlichkeit, Cromwell die Energie
der Borniertheit, welche zu jeder großen politischen Rolle gehört, er nur die
höfisch verschliffene Bildung der alten Zeit, Cromwell die zermalmende Pferde¬
kraft des religiös politischen Fanatismus, er nnr den beliebigen Eigensinn,
Cromwell die Beharrlichkeit, er den schwankenden Calcul macchiavellistischer
Politik, Cromwell für sich den gewaltigen Pöbel, er nnr eine Hand voll Galan¬
teriedegen, gegen sich aber die ganze neue Zeit und ihr Glück!" Freilich auf
die Ausführung kommt in aller Kunst unendlich mehr als auf die uoch so
geniale Skizze an. Die Probe, wie weit er sich dem Irrthume der Tendenz zu
entwinden, auf seine dichterischen Anfänge, in denen die volle Fähigkeit zur


Julius Mosen.

überzusiedeln, Folge leistete. Mosen begann seine neue Thätigkeit mit dein voll¬
sten Enthusiasmus. Aber kaum war das erste Jahr derselben vorüber, so
zeigten sich die ersten Vorboten jener verhängnißvollen lähmenden und ver¬
zehrende Krankheit, welche auch seine noch übrige poetische Kraft in langem
Siechthum brach. Die Sammlung seiner mehrgenannten '„Bilder im Moose",
der werthvollen Novellen aus früherer und späterer Zeit, war die letzte Arbeit,
deren Abschluß ihm gegönnt wurde. Darnach begann er nur noch die frisch
und liebenswürdig anhebenden „Erinnerungen" und eine Tragödie „Cromwell."
Reinhard Mosen meint, dieselbe wäre vielleicht „nach dem vorhandnen fertigen
Anfange des ersten Actes und dem EntWurfe zu den übrigen sein gewaltigstes
Drama geworden." Und warum nicht, wenn wir annehmen, daß dem innerlich
productiven Dichter der Irrthum seiner jüngsten politisch-philosophischen Kunst-
theorie klar geworden wäre? Warum nicht, wenn ihm für diesen Entwurf die
Bedeutung der charakteristisch herausgearbeiteten Hauptgestalten, voller, lebendiger
Individuen, gewaltiger historischer Gegensätze, mächtiger menschlicher Gegen¬
spieler so klar vor der Seele stand, wie er sie in einer kleinen Skizze seines
trefflichen kleinen Buches über „Die Dresdner Gemäldegalerie" bei Gelegenheit
des Van Dykischen Portraits Karls I. geschildert? „Eine tiefe Wehmuth be¬
schleicht unser Herz, blicken wir in dies königliche Gesicht. Van Dyk hat es
verstanden, das Stuartschicksal hineinzuschreiben. Dieser Stuart war der letzte
ritterliche selbstherrliche König auf dem Throne Englands. Er war der Held
des großen Trauerspiels, welches dort der Dämon der englischen Geschichte im
Geiste Shakespeares so grausam gedichtet, so blutig in Scene gesetzt hat. Zu¬
erst drängte er die stumpfen Gegensätze, in welchen sich das gemeine Leben be¬
wegt, in zwei Extreme heraus, in die Parteien des Royalismus und der puri¬
tanischen Demokratie, ließ sie in den äußersten Spitzen in zwei einander ent¬
gegengesetzten Personen in Carl Stuart und Cromwell sich empören und stellte
sie auf Leben und Tod einander gegenüber. Der unglückliche König hatte die
schwierigere Rolle zu übernehmen. Cromwell hatte für sich die Kraft einer
großen Zeitidee, Carl nur die eigne Persönlichkeit, Cromwell die Energie
der Borniertheit, welche zu jeder großen politischen Rolle gehört, er nur die
höfisch verschliffene Bildung der alten Zeit, Cromwell die zermalmende Pferde¬
kraft des religiös politischen Fanatismus, er nnr den beliebigen Eigensinn,
Cromwell die Beharrlichkeit, er den schwankenden Calcul macchiavellistischer
Politik, Cromwell für sich den gewaltigen Pöbel, er nnr eine Hand voll Galan¬
teriedegen, gegen sich aber die ganze neue Zeit und ihr Glück!" Freilich auf
die Ausführung kommt in aller Kunst unendlich mehr als auf die uoch so
geniale Skizze an. Die Probe, wie weit er sich dem Irrthume der Tendenz zu
entwinden, auf seine dichterischen Anfänge, in denen die volle Fähigkeit zur


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[0038] Julius Mosen. überzusiedeln, Folge leistete. Mosen begann seine neue Thätigkeit mit dein voll¬ sten Enthusiasmus. Aber kaum war das erste Jahr derselben vorüber, so zeigten sich die ersten Vorboten jener verhängnißvollen lähmenden und ver¬ zehrende Krankheit, welche auch seine noch übrige poetische Kraft in langem Siechthum brach. Die Sammlung seiner mehrgenannten '„Bilder im Moose", der werthvollen Novellen aus früherer und späterer Zeit, war die letzte Arbeit, deren Abschluß ihm gegönnt wurde. Darnach begann er nur noch die frisch und liebenswürdig anhebenden „Erinnerungen" und eine Tragödie „Cromwell." Reinhard Mosen meint, dieselbe wäre vielleicht „nach dem vorhandnen fertigen Anfange des ersten Actes und dem EntWurfe zu den übrigen sein gewaltigstes Drama geworden." Und warum nicht, wenn wir annehmen, daß dem innerlich productiven Dichter der Irrthum seiner jüngsten politisch-philosophischen Kunst- theorie klar geworden wäre? Warum nicht, wenn ihm für diesen Entwurf die Bedeutung der charakteristisch herausgearbeiteten Hauptgestalten, voller, lebendiger Individuen, gewaltiger historischer Gegensätze, mächtiger menschlicher Gegen¬ spieler so klar vor der Seele stand, wie er sie in einer kleinen Skizze seines trefflichen kleinen Buches über „Die Dresdner Gemäldegalerie" bei Gelegenheit des Van Dykischen Portraits Karls I. geschildert? „Eine tiefe Wehmuth be¬ schleicht unser Herz, blicken wir in dies königliche Gesicht. Van Dyk hat es verstanden, das Stuartschicksal hineinzuschreiben. Dieser Stuart war der letzte ritterliche selbstherrliche König auf dem Throne Englands. Er war der Held des großen Trauerspiels, welches dort der Dämon der englischen Geschichte im Geiste Shakespeares so grausam gedichtet, so blutig in Scene gesetzt hat. Zu¬ erst drängte er die stumpfen Gegensätze, in welchen sich das gemeine Leben be¬ wegt, in zwei Extreme heraus, in die Parteien des Royalismus und der puri¬ tanischen Demokratie, ließ sie in den äußersten Spitzen in zwei einander ent¬ gegengesetzten Personen in Carl Stuart und Cromwell sich empören und stellte sie auf Leben und Tod einander gegenüber. Der unglückliche König hatte die schwierigere Rolle zu übernehmen. Cromwell hatte für sich die Kraft einer großen Zeitidee, Carl nur die eigne Persönlichkeit, Cromwell die Energie der Borniertheit, welche zu jeder großen politischen Rolle gehört, er nur die höfisch verschliffene Bildung der alten Zeit, Cromwell die zermalmende Pferde¬ kraft des religiös politischen Fanatismus, er nnr den beliebigen Eigensinn, Cromwell die Beharrlichkeit, er den schwankenden Calcul macchiavellistischer Politik, Cromwell für sich den gewaltigen Pöbel, er nnr eine Hand voll Galan¬ teriedegen, gegen sich aber die ganze neue Zeit und ihr Glück!" Freilich auf die Ausführung kommt in aller Kunst unendlich mehr als auf die uoch so geniale Skizze an. Die Probe, wie weit er sich dem Irrthume der Tendenz zu entwinden, auf seine dichterischen Anfänge, in denen die volle Fähigkeit zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/38>, abgerufen am 14.05.2024.