Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

ohne es besonders zu bemerken, an einigen andern die Worte sinngemäß um¬
gestellt, endlich die Orthographie unsrer Tage angewendet,

^. Der Rrieg in Sicilien ^673-^76.

In Marseille machte Estienne eine eigenthümliche Bekanntschaft, welche auf
die Gestaltung seiner nächsten Schicksale nicht ohne Einfluß blieb. Lassen wir ihn
selbst dies erzählen: "Meine Neugierde trieb mich an, mich auf einige Galeeren
zu begeben. Ich war erstaunt, daselbst 150 -- 200 Sträflinge an Bänke ge¬
schmiedet zu sehen, die ihnen des Tags zu Sitzen und bei Nacht zu Betten dienen.
Diese Menge von Galeerensträflingen besteht aus Franzosen, welche wegen ihrer
Verbrechen hier sind, einige auf Zeit ihres Lebens, andere auf bestimmte Zeit,
und aus Türken und Afrikanern, welche auf dem Meere zu Gefangnen gemacht
und als Sclaven verkauft worden sind. Sie sind durch einander gemischt, um
alle Meuterei zu verhindern. Einige rauchen, trinken oder spielen, andere singen
oder fluchen. Die arbeitsamsten stricken allerliebste Sachen von Baumwolle, welches
ihnen einigen Nutzen einbringt, wovon sie sich was in ihrem Elende zu gute
thun. Der König giebt Jedem von ihnen eine Mütze und Wamms von rothem
Tuche und eine Hose von Leinen. Dies ist ihr ganzer Anzug. Alle haben ge¬
schorene Köpfe, ausgenommen die Edelleute. Ihr Unterhalt besteht aus Brot,
Wasser und einigen Gemüsearten. Indem ich hier herumspazierte, sah ich einen
Galeerensclaven von sehr gutem Ausehen, welcher das Haar lang trug und weiße
Wäsche hatte. Er hielt mich sehr höflich an, und wir ließen uns in eine Unter¬
haltung ein. Da er hörte, daß ich von Metz war, so erzählte er mir seinerseits,
daß Madame de la Valette, Aebtissin von Se. Glossinde (?), einer berühmten Frauen-
nbtci in dieser Stadt, seine Muhme sei, und er selbst Chevalier de la Valette
heiße, wie auch, daß er hier schon seit zwölf Jahren gefangen gehalten werde,
weil er in einen Streit verwickelt gewesen, wobei Blut geflossen, und daß seine
Gegner so mächtig seien, daß, obgleich die Zeit seiner Strafe schon zweimal ab¬
gelaufen, er dennoch seine Loslassung nicht erhalten könne.

Ich sah, indem ich mit ihm umging, daß er weit bequemer lebte wie die
andern, da er einen Briefwechsel mit mehreren vornehmen Damen der Stadt
unterhielt, welche ihm in Ueberfluß zu leben verschafften, indem sie ihm sehr oft
Getränk und schmackhafte Speisen schickten. Er war sehr wohl gestaltet, schrieb
artig und zeichnete sehr gut."

Estienne hatte selbst Gelegenheit, zu erproben, in welchem Ansehen jener
Galeerensträfling stand. Denn aus seine Empfehlung an den Platzmajor wurde
es ihm erlaubt, die Citadelle zu besichtigen, zu welcher den Zutritt zu erhalten
schwer war, und als Estienne, der in Marseille Arbeit gefunden hatte, mit seinem


Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

ohne es besonders zu bemerken, an einigen andern die Worte sinngemäß um¬
gestellt, endlich die Orthographie unsrer Tage angewendet,

^. Der Rrieg in Sicilien ^673-^76.

In Marseille machte Estienne eine eigenthümliche Bekanntschaft, welche auf
die Gestaltung seiner nächsten Schicksale nicht ohne Einfluß blieb. Lassen wir ihn
selbst dies erzählen: „Meine Neugierde trieb mich an, mich auf einige Galeeren
zu begeben. Ich war erstaunt, daselbst 150 — 200 Sträflinge an Bänke ge¬
schmiedet zu sehen, die ihnen des Tags zu Sitzen und bei Nacht zu Betten dienen.
Diese Menge von Galeerensträflingen besteht aus Franzosen, welche wegen ihrer
Verbrechen hier sind, einige auf Zeit ihres Lebens, andere auf bestimmte Zeit,
und aus Türken und Afrikanern, welche auf dem Meere zu Gefangnen gemacht
und als Sclaven verkauft worden sind. Sie sind durch einander gemischt, um
alle Meuterei zu verhindern. Einige rauchen, trinken oder spielen, andere singen
oder fluchen. Die arbeitsamsten stricken allerliebste Sachen von Baumwolle, welches
ihnen einigen Nutzen einbringt, wovon sie sich was in ihrem Elende zu gute
thun. Der König giebt Jedem von ihnen eine Mütze und Wamms von rothem
Tuche und eine Hose von Leinen. Dies ist ihr ganzer Anzug. Alle haben ge¬
schorene Köpfe, ausgenommen die Edelleute. Ihr Unterhalt besteht aus Brot,
Wasser und einigen Gemüsearten. Indem ich hier herumspazierte, sah ich einen
Galeerensclaven von sehr gutem Ausehen, welcher das Haar lang trug und weiße
Wäsche hatte. Er hielt mich sehr höflich an, und wir ließen uns in eine Unter¬
haltung ein. Da er hörte, daß ich von Metz war, so erzählte er mir seinerseits,
daß Madame de la Valette, Aebtissin von Se. Glossinde (?), einer berühmten Frauen-
nbtci in dieser Stadt, seine Muhme sei, und er selbst Chevalier de la Valette
heiße, wie auch, daß er hier schon seit zwölf Jahren gefangen gehalten werde,
weil er in einen Streit verwickelt gewesen, wobei Blut geflossen, und daß seine
Gegner so mächtig seien, daß, obgleich die Zeit seiner Strafe schon zweimal ab¬
gelaufen, er dennoch seine Loslassung nicht erhalten könne.

Ich sah, indem ich mit ihm umging, daß er weit bequemer lebte wie die
andern, da er einen Briefwechsel mit mehreren vornehmen Damen der Stadt
unterhielt, welche ihm in Ueberfluß zu leben verschafften, indem sie ihm sehr oft
Getränk und schmackhafte Speisen schickten. Er war sehr wohl gestaltet, schrieb
artig und zeichnete sehr gut."

Estienne hatte selbst Gelegenheit, zu erproben, in welchem Ansehen jener
Galeerensträfling stand. Denn aus seine Empfehlung an den Platzmajor wurde
es ihm erlaubt, die Citadelle zu besichtigen, zu welcher den Zutritt zu erhalten
schwer war, und als Estienne, der in Marseille Arbeit gefunden hatte, mit seinem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149691"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_391" prev="#ID_390"> ohne es besonders zu bemerken, an einigen andern die Worte sinngemäß um¬<lb/>
gestellt, endlich die Orthographie unsrer Tage angewendet,</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> ^. Der Rrieg in Sicilien ^673-^76.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_392"> In Marseille machte Estienne eine eigenthümliche Bekanntschaft, welche auf<lb/>
die Gestaltung seiner nächsten Schicksale nicht ohne Einfluß blieb. Lassen wir ihn<lb/>
selbst dies erzählen: &#x201E;Meine Neugierde trieb mich an, mich auf einige Galeeren<lb/>
zu begeben. Ich war erstaunt, daselbst 150 &#x2014; 200 Sträflinge an Bänke ge¬<lb/>
schmiedet zu sehen, die ihnen des Tags zu Sitzen und bei Nacht zu Betten dienen.<lb/>
Diese Menge von Galeerensträflingen besteht aus Franzosen, welche wegen ihrer<lb/>
Verbrechen hier sind, einige auf Zeit ihres Lebens, andere auf bestimmte Zeit,<lb/>
und aus Türken und Afrikanern, welche auf dem Meere zu Gefangnen gemacht<lb/>
und als Sclaven verkauft worden sind. Sie sind durch einander gemischt, um<lb/>
alle Meuterei zu verhindern. Einige rauchen, trinken oder spielen, andere singen<lb/>
oder fluchen. Die arbeitsamsten stricken allerliebste Sachen von Baumwolle, welches<lb/>
ihnen einigen Nutzen einbringt, wovon sie sich was in ihrem Elende zu gute<lb/>
thun. Der König giebt Jedem von ihnen eine Mütze und Wamms von rothem<lb/>
Tuche und eine Hose von Leinen. Dies ist ihr ganzer Anzug. Alle haben ge¬<lb/>
schorene Köpfe, ausgenommen die Edelleute. Ihr Unterhalt besteht aus Brot,<lb/>
Wasser und einigen Gemüsearten. Indem ich hier herumspazierte, sah ich einen<lb/>
Galeerensclaven von sehr gutem Ausehen, welcher das Haar lang trug und weiße<lb/>
Wäsche hatte. Er hielt mich sehr höflich an, und wir ließen uns in eine Unter¬<lb/>
haltung ein. Da er hörte, daß ich von Metz war, so erzählte er mir seinerseits,<lb/>
daß Madame de la Valette, Aebtissin von Se. Glossinde (?), einer berühmten Frauen-<lb/>
nbtci in dieser Stadt, seine Muhme sei, und er selbst Chevalier de la Valette<lb/>
heiße, wie auch, daß er hier schon seit zwölf Jahren gefangen gehalten werde,<lb/>
weil er in einen Streit verwickelt gewesen, wobei Blut geflossen, und daß seine<lb/>
Gegner so mächtig seien, daß, obgleich die Zeit seiner Strafe schon zweimal ab¬<lb/>
gelaufen, er dennoch seine Loslassung nicht erhalten könne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_393"> Ich sah, indem ich mit ihm umging, daß er weit bequemer lebte wie die<lb/>
andern, da er einen Briefwechsel mit mehreren vornehmen Damen der Stadt<lb/>
unterhielt, welche ihm in Ueberfluß zu leben verschafften, indem sie ihm sehr oft<lb/>
Getränk und schmackhafte Speisen schickten. Er war sehr wohl gestaltet, schrieb<lb/>
artig und zeichnete sehr gut."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Estienne hatte selbst Gelegenheit, zu erproben, in welchem Ansehen jener<lb/>
Galeerensträfling stand. Denn aus seine Empfehlung an den Platzmajor wurde<lb/>
es ihm erlaubt, die Citadelle zu besichtigen, zu welcher den Zutritt zu erhalten<lb/>
schwer war, und als Estienne, der in Marseille Arbeit gefunden hatte, mit seinem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes. ohne es besonders zu bemerken, an einigen andern die Worte sinngemäß um¬ gestellt, endlich die Orthographie unsrer Tage angewendet, ^. Der Rrieg in Sicilien ^673-^76. In Marseille machte Estienne eine eigenthümliche Bekanntschaft, welche auf die Gestaltung seiner nächsten Schicksale nicht ohne Einfluß blieb. Lassen wir ihn selbst dies erzählen: „Meine Neugierde trieb mich an, mich auf einige Galeeren zu begeben. Ich war erstaunt, daselbst 150 — 200 Sträflinge an Bänke ge¬ schmiedet zu sehen, die ihnen des Tags zu Sitzen und bei Nacht zu Betten dienen. Diese Menge von Galeerensträflingen besteht aus Franzosen, welche wegen ihrer Verbrechen hier sind, einige auf Zeit ihres Lebens, andere auf bestimmte Zeit, und aus Türken und Afrikanern, welche auf dem Meere zu Gefangnen gemacht und als Sclaven verkauft worden sind. Sie sind durch einander gemischt, um alle Meuterei zu verhindern. Einige rauchen, trinken oder spielen, andere singen oder fluchen. Die arbeitsamsten stricken allerliebste Sachen von Baumwolle, welches ihnen einigen Nutzen einbringt, wovon sie sich was in ihrem Elende zu gute thun. Der König giebt Jedem von ihnen eine Mütze und Wamms von rothem Tuche und eine Hose von Leinen. Dies ist ihr ganzer Anzug. Alle haben ge¬ schorene Köpfe, ausgenommen die Edelleute. Ihr Unterhalt besteht aus Brot, Wasser und einigen Gemüsearten. Indem ich hier herumspazierte, sah ich einen Galeerensclaven von sehr gutem Ausehen, welcher das Haar lang trug und weiße Wäsche hatte. Er hielt mich sehr höflich an, und wir ließen uns in eine Unter¬ haltung ein. Da er hörte, daß ich von Metz war, so erzählte er mir seinerseits, daß Madame de la Valette, Aebtissin von Se. Glossinde (?), einer berühmten Frauen- nbtci in dieser Stadt, seine Muhme sei, und er selbst Chevalier de la Valette heiße, wie auch, daß er hier schon seit zwölf Jahren gefangen gehalten werde, weil er in einen Streit verwickelt gewesen, wobei Blut geflossen, und daß seine Gegner so mächtig seien, daß, obgleich die Zeit seiner Strafe schon zweimal ab¬ gelaufen, er dennoch seine Loslassung nicht erhalten könne. Ich sah, indem ich mit ihm umging, daß er weit bequemer lebte wie die andern, da er einen Briefwechsel mit mehreren vornehmen Damen der Stadt unterhielt, welche ihm in Ueberfluß zu leben verschafften, indem sie ihm sehr oft Getränk und schmackhafte Speisen schickten. Er war sehr wohl gestaltet, schrieb artig und zeichnete sehr gut." Estienne hatte selbst Gelegenheit, zu erproben, in welchem Ansehen jener Galeerensträfling stand. Denn aus seine Empfehlung an den Platzmajor wurde es ihm erlaubt, die Citadelle zu besichtigen, zu welcher den Zutritt zu erhalten schwer war, und als Estienne, der in Marseille Arbeit gefunden hatte, mit seinem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/119>, abgerufen am 06.05.2024.