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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Estiennes.

Stunden meiner Muße dazu verwendet, diese Denkwürdigkeiten aufzuzeichnen
Sie enthalten nur Wahrheit, denn in den Begebenheiten, die mich betreffen, ist
nichts so wunderbar, daß es bezweifelt werden könne, und bei den andern, die
ich erzähle, bin ich entweder Augenzeuge gewesen, oder sie sind sonnenklar. Also,
liebe Kinder, für die ich schreibe, werdet Ihr in einigen die Gerechtigkeit Gottes
bewundern, welcher viele zahlreiche Heerden wegen ihrer Hartnäckigkeit zerstreut,
aber über einen Theil derselben mit Erbarmen gewacht hat, indem er viele aus
schrecklicher Trostlosigkeit erlöste. Auch werdet ihr in dem, was mich anbetrifft,
bemerken, daß, da mein Betragen gegen Gott und diejenigen, welche mir das
Dasein gaben, meinen Pflichten nicht entsprach, ich öfter für meine Fehler ge¬
züchtigt wurde. Während der Bater der Barmherzigkeit mich niemals gänzlich
verlassen hat, so sind diese Zurechtweisungen mir heilsam geworden und haben
dazu gedient, mich auf den rechten Weg zurückzuführen."

In der That haben wir an dem, was Estienne uns erzählt, nicht zu zweifeln.
Die zwei wichtigsten Ereignisse seines Lebens, welche wir hier mitzutheilen ge¬
denken, der Krieg in Sicilien und die Flucht aus Frankreich, standen noch frisch
in seinem Gedächtniß. Ueber seine Kriegserlebnissc hatte er noch während der
Seefahrt ein Schriftchen abgefaßt. Es ist vielleicht dasselbe, welches er bei
seiner Rückkehr nach Toulon zugleich mit einem demüthigen Briefe an seinen
Vater sandte. Möglich, daß es ihm bei der Abfassung seiner Memoiren noch
vorlag. Aber wenn auch jene Aufzeichnungen verloren gingen, so war der Verlast
von geringer Bedeutung. Estienne erzählt aus seinen Fahrten einzelne Abenteuer,
wie sie der Mensch, der sie erlebt, nie wieder vergißt. Einzelne Irrthümer find
mit untergelaufen. Das Treffen von Agosta setzt Estienne aus den 29. April
anstatt auf den 22. Auch der Todestag Ruyters ist falsch angegeben, und den
Kampf von Palermo läßt er am 21. Mai anstatt am 2. Juni stattfinden. Merk¬
würdig ist auch, daß von der Schlacht bei Stromboli, in welcher du Quesne
am 8. Januar 1676 gegen Ruyter focht, gar nicht die Rede ist.

Leider liegt uns die Originalhandschrift Estiennes nicht vor. Dieselbe soll
noch vorhanden sein, war aber trotz aller Bemühungen nicht zu erhalten. Es
ist dies umsomehr zu bedauern, als das französische Original, einer Bemerkung
auf dem Umschlage unsers Manuscripts zufolge, ausführlicher war als die von
uns gebrauchte Uebersetzung, und die letztere, welche nach der französischen Ab¬
schrift Matthieu Charles Frsdöric Estiennes von 1786 F. L. Bögel, später Doctor
der Rechte in Bremen, im Jahre 1815 verfaßte, überaus ungeschickt und an vielen
Stellen geradezu falsch ist.

Da ein diplomatisch genauer Abdruck uns hier nicht nothwendig erschien,
so haben wir an einigen wenigen Stellen offenbare Übersetzungsfehler beseitigt,


Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Estiennes.

Stunden meiner Muße dazu verwendet, diese Denkwürdigkeiten aufzuzeichnen
Sie enthalten nur Wahrheit, denn in den Begebenheiten, die mich betreffen, ist
nichts so wunderbar, daß es bezweifelt werden könne, und bei den andern, die
ich erzähle, bin ich entweder Augenzeuge gewesen, oder sie sind sonnenklar. Also,
liebe Kinder, für die ich schreibe, werdet Ihr in einigen die Gerechtigkeit Gottes
bewundern, welcher viele zahlreiche Heerden wegen ihrer Hartnäckigkeit zerstreut,
aber über einen Theil derselben mit Erbarmen gewacht hat, indem er viele aus
schrecklicher Trostlosigkeit erlöste. Auch werdet ihr in dem, was mich anbetrifft,
bemerken, daß, da mein Betragen gegen Gott und diejenigen, welche mir das
Dasein gaben, meinen Pflichten nicht entsprach, ich öfter für meine Fehler ge¬
züchtigt wurde. Während der Bater der Barmherzigkeit mich niemals gänzlich
verlassen hat, so sind diese Zurechtweisungen mir heilsam geworden und haben
dazu gedient, mich auf den rechten Weg zurückzuführen."

In der That haben wir an dem, was Estienne uns erzählt, nicht zu zweifeln.
Die zwei wichtigsten Ereignisse seines Lebens, welche wir hier mitzutheilen ge¬
denken, der Krieg in Sicilien und die Flucht aus Frankreich, standen noch frisch
in seinem Gedächtniß. Ueber seine Kriegserlebnissc hatte er noch während der
Seefahrt ein Schriftchen abgefaßt. Es ist vielleicht dasselbe, welches er bei
seiner Rückkehr nach Toulon zugleich mit einem demüthigen Briefe an seinen
Vater sandte. Möglich, daß es ihm bei der Abfassung seiner Memoiren noch
vorlag. Aber wenn auch jene Aufzeichnungen verloren gingen, so war der Verlast
von geringer Bedeutung. Estienne erzählt aus seinen Fahrten einzelne Abenteuer,
wie sie der Mensch, der sie erlebt, nie wieder vergißt. Einzelne Irrthümer find
mit untergelaufen. Das Treffen von Agosta setzt Estienne aus den 29. April
anstatt auf den 22. Auch der Todestag Ruyters ist falsch angegeben, und den
Kampf von Palermo läßt er am 21. Mai anstatt am 2. Juni stattfinden. Merk¬
würdig ist auch, daß von der Schlacht bei Stromboli, in welcher du Quesne
am 8. Januar 1676 gegen Ruyter focht, gar nicht die Rede ist.

Leider liegt uns die Originalhandschrift Estiennes nicht vor. Dieselbe soll
noch vorhanden sein, war aber trotz aller Bemühungen nicht zu erhalten. Es
ist dies umsomehr zu bedauern, als das französische Original, einer Bemerkung
auf dem Umschlage unsers Manuscripts zufolge, ausführlicher war als die von
uns gebrauchte Uebersetzung, und die letztere, welche nach der französischen Ab¬
schrift Matthieu Charles Frsdöric Estiennes von 1786 F. L. Bögel, später Doctor
der Rechte in Bremen, im Jahre 1815 verfaßte, überaus ungeschickt und an vielen
Stellen geradezu falsch ist.

Da ein diplomatisch genauer Abdruck uns hier nicht nothwendig erschien,
so haben wir an einigen wenigen Stellen offenbare Übersetzungsfehler beseitigt,


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[0118] Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Estiennes. Stunden meiner Muße dazu verwendet, diese Denkwürdigkeiten aufzuzeichnen Sie enthalten nur Wahrheit, denn in den Begebenheiten, die mich betreffen, ist nichts so wunderbar, daß es bezweifelt werden könne, und bei den andern, die ich erzähle, bin ich entweder Augenzeuge gewesen, oder sie sind sonnenklar. Also, liebe Kinder, für die ich schreibe, werdet Ihr in einigen die Gerechtigkeit Gottes bewundern, welcher viele zahlreiche Heerden wegen ihrer Hartnäckigkeit zerstreut, aber über einen Theil derselben mit Erbarmen gewacht hat, indem er viele aus schrecklicher Trostlosigkeit erlöste. Auch werdet ihr in dem, was mich anbetrifft, bemerken, daß, da mein Betragen gegen Gott und diejenigen, welche mir das Dasein gaben, meinen Pflichten nicht entsprach, ich öfter für meine Fehler ge¬ züchtigt wurde. Während der Bater der Barmherzigkeit mich niemals gänzlich verlassen hat, so sind diese Zurechtweisungen mir heilsam geworden und haben dazu gedient, mich auf den rechten Weg zurückzuführen." In der That haben wir an dem, was Estienne uns erzählt, nicht zu zweifeln. Die zwei wichtigsten Ereignisse seines Lebens, welche wir hier mitzutheilen ge¬ denken, der Krieg in Sicilien und die Flucht aus Frankreich, standen noch frisch in seinem Gedächtniß. Ueber seine Kriegserlebnissc hatte er noch während der Seefahrt ein Schriftchen abgefaßt. Es ist vielleicht dasselbe, welches er bei seiner Rückkehr nach Toulon zugleich mit einem demüthigen Briefe an seinen Vater sandte. Möglich, daß es ihm bei der Abfassung seiner Memoiren noch vorlag. Aber wenn auch jene Aufzeichnungen verloren gingen, so war der Verlast von geringer Bedeutung. Estienne erzählt aus seinen Fahrten einzelne Abenteuer, wie sie der Mensch, der sie erlebt, nie wieder vergißt. Einzelne Irrthümer find mit untergelaufen. Das Treffen von Agosta setzt Estienne aus den 29. April anstatt auf den 22. Auch der Todestag Ruyters ist falsch angegeben, und den Kampf von Palermo läßt er am 21. Mai anstatt am 2. Juni stattfinden. Merk¬ würdig ist auch, daß von der Schlacht bei Stromboli, in welcher du Quesne am 8. Januar 1676 gegen Ruyter focht, gar nicht die Rede ist. Leider liegt uns die Originalhandschrift Estiennes nicht vor. Dieselbe soll noch vorhanden sein, war aber trotz aller Bemühungen nicht zu erhalten. Es ist dies umsomehr zu bedauern, als das französische Original, einer Bemerkung auf dem Umschlage unsers Manuscripts zufolge, ausführlicher war als die von uns gebrauchte Uebersetzung, und die letztere, welche nach der französischen Ab¬ schrift Matthieu Charles Frsdöric Estiennes von 1786 F. L. Bögel, später Doctor der Rechte in Bremen, im Jahre 1815 verfaßte, überaus ungeschickt und an vielen Stellen geradezu falsch ist. Da ein diplomatisch genauer Abdruck uns hier nicht nothwendig erschien, so haben wir an einigen wenigen Stellen offenbare Übersetzungsfehler beseitigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/118>, abgerufen am 27.05.2024.