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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lauchstädt,

Dvppelthätigkcit, der Bildhauer mit der Heiligcnfabrik. für den daneben "das Nackte
die Kunst ist," gehört nicht zu den glücklichsten Einfällen des Dichters. Allein
die frische Stimmung, welche das ganze Werk dnrchhancht, die Fülle quellenden
Lebens im gesammten Detail, die gewollte und unbewußte Widerspieglung von
tausend Eindrücken und Erlebnissen, die ihren alten Reiz und Zauber bewährt,
läßt nicht leicht ein andres Gesammtgefühl aufkommen als die Freude an der
Frische und der fortdauernden Leistungsfähigkeit unsres Dichters. Gerade dem
Roman "Im Paradiese" gegenüber empfinden wir lebhaft, wie schlecht "diese
Zeit" sich selbst kennt, wenn sie sich erzählen läßt, daß ihren Menschen die
Sehnsucht nach individueller Bethätigung und persönlichem Glück abhanden ge¬
kommen oder nicht weiter von nöthen sei. Der brave Rosenbusch, der sich so
tapfer durch den französischen Winterfeldzug von 1870 -71 schlägt und dabei
sein kleines Glück und seine kleine Kunst fein im Herzen bewahrt, drückt das
wahre Verhältniß glücklich genug ans.

Was der Dichter noch zu geben haben mag, dürfen wir vertrauensvoll er¬
warten. Seine letzten Veröffentlichungen bezeugen, daß in manchem Leid und
Schmerz die glückgewvhnte Natur nicht gebrochen, sondern gestählt worden ist.
Inzwischen aber reicht das, was nur heute in den Kreis unsrer Besprechung
ziehen konnten, und was den "Gesammelten Werken" bis jetzt einverleibt ist, zu
ernster Betrnchtnahme und für die Gewißheit, daß hier ganz andre Elemente als
diejenigen wirksam sind, aus denen man sich das Epigvnenthnm in der Literatur
zu construiren pflegt. Die ganze Frage drängt sich in einen Satz zusammen,
ob Heyse einer der ersten oder letzten Dichter seiner Art sei. Hoffen wir, trotz
vielem, was dagegen zu spreche" scheint, einer der ersten, und halten an der Zuver¬
sicht fest, daß die deutsche Dichtung ihr letzeS Wort noch nicht gesprochen habe!




Lauchstädt. Lin Modebad vor hundert Zähren. lSchlns!,)

rieg giebt in seinen: schon angeführten Büchlein "Bad Lauchstcidt
sonst und jetzt" ein glaubwürdiges Bild von dem Lauchstädter
Badeleben und der Zusammensetzung seiner Badegesellschaft im
vorigen Jahrhundert. In keinem deutschen Bade jener Zeit, sagt
er, sei der Gegensatz der beiden nach Wesen und Eigenthümlich¬
keit so verschiednen Bildnngskreise, in denen das Leben und Treiben
der Gesellschaft während des vorigen Jahrhunderts sich abgrenzte, so scharf hervorge¬
treten wie gerade in Lanchstädt. Während ans der einen Seite die äußerlich steife und


Lauchstädt,

Dvppelthätigkcit, der Bildhauer mit der Heiligcnfabrik. für den daneben „das Nackte
die Kunst ist," gehört nicht zu den glücklichsten Einfällen des Dichters. Allein
die frische Stimmung, welche das ganze Werk dnrchhancht, die Fülle quellenden
Lebens im gesammten Detail, die gewollte und unbewußte Widerspieglung von
tausend Eindrücken und Erlebnissen, die ihren alten Reiz und Zauber bewährt,
läßt nicht leicht ein andres Gesammtgefühl aufkommen als die Freude an der
Frische und der fortdauernden Leistungsfähigkeit unsres Dichters. Gerade dem
Roman „Im Paradiese" gegenüber empfinden wir lebhaft, wie schlecht „diese
Zeit" sich selbst kennt, wenn sie sich erzählen läßt, daß ihren Menschen die
Sehnsucht nach individueller Bethätigung und persönlichem Glück abhanden ge¬
kommen oder nicht weiter von nöthen sei. Der brave Rosenbusch, der sich so
tapfer durch den französischen Winterfeldzug von 1870 -71 schlägt und dabei
sein kleines Glück und seine kleine Kunst fein im Herzen bewahrt, drückt das
wahre Verhältniß glücklich genug ans.

Was der Dichter noch zu geben haben mag, dürfen wir vertrauensvoll er¬
warten. Seine letzten Veröffentlichungen bezeugen, daß in manchem Leid und
Schmerz die glückgewvhnte Natur nicht gebrochen, sondern gestählt worden ist.
Inzwischen aber reicht das, was nur heute in den Kreis unsrer Besprechung
ziehen konnten, und was den „Gesammelten Werken" bis jetzt einverleibt ist, zu
ernster Betrnchtnahme und für die Gewißheit, daß hier ganz andre Elemente als
diejenigen wirksam sind, aus denen man sich das Epigvnenthnm in der Literatur
zu construiren pflegt. Die ganze Frage drängt sich in einen Satz zusammen,
ob Heyse einer der ersten oder letzten Dichter seiner Art sei. Hoffen wir, trotz
vielem, was dagegen zu spreche» scheint, einer der ersten, und halten an der Zuver¬
sicht fest, daß die deutsche Dichtung ihr letzeS Wort noch nicht gesprochen habe!




Lauchstädt. Lin Modebad vor hundert Zähren. lSchlns!,)

rieg giebt in seinen: schon angeführten Büchlein „Bad Lauchstcidt
sonst und jetzt" ein glaubwürdiges Bild von dem Lauchstädter
Badeleben und der Zusammensetzung seiner Badegesellschaft im
vorigen Jahrhundert. In keinem deutschen Bade jener Zeit, sagt
er, sei der Gegensatz der beiden nach Wesen und Eigenthümlich¬
keit so verschiednen Bildnngskreise, in denen das Leben und Treiben
der Gesellschaft während des vorigen Jahrhunderts sich abgrenzte, so scharf hervorge¬
treten wie gerade in Lanchstädt. Während ans der einen Seite die äußerlich steife und


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[0561] Lauchstädt, Dvppelthätigkcit, der Bildhauer mit der Heiligcnfabrik. für den daneben „das Nackte die Kunst ist," gehört nicht zu den glücklichsten Einfällen des Dichters. Allein die frische Stimmung, welche das ganze Werk dnrchhancht, die Fülle quellenden Lebens im gesammten Detail, die gewollte und unbewußte Widerspieglung von tausend Eindrücken und Erlebnissen, die ihren alten Reiz und Zauber bewährt, läßt nicht leicht ein andres Gesammtgefühl aufkommen als die Freude an der Frische und der fortdauernden Leistungsfähigkeit unsres Dichters. Gerade dem Roman „Im Paradiese" gegenüber empfinden wir lebhaft, wie schlecht „diese Zeit" sich selbst kennt, wenn sie sich erzählen läßt, daß ihren Menschen die Sehnsucht nach individueller Bethätigung und persönlichem Glück abhanden ge¬ kommen oder nicht weiter von nöthen sei. Der brave Rosenbusch, der sich so tapfer durch den französischen Winterfeldzug von 1870 -71 schlägt und dabei sein kleines Glück und seine kleine Kunst fein im Herzen bewahrt, drückt das wahre Verhältniß glücklich genug ans. Was der Dichter noch zu geben haben mag, dürfen wir vertrauensvoll er¬ warten. Seine letzten Veröffentlichungen bezeugen, daß in manchem Leid und Schmerz die glückgewvhnte Natur nicht gebrochen, sondern gestählt worden ist. Inzwischen aber reicht das, was nur heute in den Kreis unsrer Besprechung ziehen konnten, und was den „Gesammelten Werken" bis jetzt einverleibt ist, zu ernster Betrnchtnahme und für die Gewißheit, daß hier ganz andre Elemente als diejenigen wirksam sind, aus denen man sich das Epigvnenthnm in der Literatur zu construiren pflegt. Die ganze Frage drängt sich in einen Satz zusammen, ob Heyse einer der ersten oder letzten Dichter seiner Art sei. Hoffen wir, trotz vielem, was dagegen zu spreche» scheint, einer der ersten, und halten an der Zuver¬ sicht fest, daß die deutsche Dichtung ihr letzeS Wort noch nicht gesprochen habe! Lauchstädt. Lin Modebad vor hundert Zähren. lSchlns!,) rieg giebt in seinen: schon angeführten Büchlein „Bad Lauchstcidt sonst und jetzt" ein glaubwürdiges Bild von dem Lauchstädter Badeleben und der Zusammensetzung seiner Badegesellschaft im vorigen Jahrhundert. In keinem deutschen Bade jener Zeit, sagt er, sei der Gegensatz der beiden nach Wesen und Eigenthümlich¬ keit so verschiednen Bildnngskreise, in denen das Leben und Treiben der Gesellschaft während des vorigen Jahrhunderts sich abgrenzte, so scharf hervorge¬ treten wie gerade in Lanchstädt. Während ans der einen Seite die äußerlich steife und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/561>, abgerufen am 06.05.2024.