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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyso,

heit, die den Dichter sonst auszeichnet, die Handlung wird nnr möglich dnrch stärkre
äußere Uiiivahrschciiilichkeiten, als seine Erfindungen je mifgcwicsen, Daß der
Roman eine Fülle poetischen, zum Theil wundersam feinen Details enthält, daß
er im allgemeinen den Kreis der Charakteristik, in dein sich Hesse bis dahin
bewegt, energisch erweitert, wird niemand in Abrede stellen. Allein anch in der
Stimmung ist der Dichter trotz gewisser vorzüglicher Momente im ganzen nicht
so glücklich wie anderwärts. Es ist als ob die Abstractionen, welche er in den
Gang seiner Geschichte hereinziehen muß, lähmend gewirkt hätte". Das schlichte,
armuthselige Leben Edwins und Balders in dem Roman soll ein köstliches Idyll
mitten im heißen, staubigen und weltstadtlärmigen Berlin sein, und doch will
uns dabei nicht heimisch, nicht traulich zu Muth werden. Das Schicksal der
durch ihr Blut, ihr unüberwindliches Naturell in schwere Conflicte geführten
Tvinettc müßte uns mit tiefer und frommer Rührung ergreifen, und doch fröstelt
uns meist dabei. Der schwere Eindruck, den verfehlte, resignirte, irregehende
Existenzen, wie sie dieser Roman so vielfach aufzuweisen hat, in der Seele des
Theilnehmenden zurücklassen, wird durch die letzte" Entschlüsse und Bethäti¬
gungen dieser Gestalten kaum gelöst -- an Mohrs innerlichen Frieden in seiner
Vatcrrollc, an Marauards Glück neben der behaglich ihre natürlichen Grenzen
erweiternden Adele und andre Dinge dieser Art glaube wer kann. Der Humor,
welcher Gestalten wie den wackern Berliner Schustermeister und Fortschrittsmann
Gottfried Fehertag genießbar machen soll, schmeckt dünn und ein wenig an¬
säuerlich. Und mit einem Worte: der Stil, der meisterhafte Vortrag muß in den
"Kindern der Welt" einen viel größer" Theil der Wirkung und des Respects, den
das Werk einflößt, übernehmen als in irgend einer andern Schöpfung Hcyses-

Es ist, als ob der Dichter mit seinem zweite" Roma" "Im Paradiese" (1376)
auf sein eigenstes Gebiet zurückgekehrt sei und eine Fessel gesprengt habe, die er
sich selbst augelegt. Die Luft, welche durch diesen Münchner Ku"stlerroman
hmdurchweht, läßt den Poeten ""d mit ihm seine Leser freier athme", in diesem
Roma" sind thatsächlich, wie es im WidmnngSgedicht heißt, "unscheinbare Wirk¬
lichkeiten mit Märchenduft umwebt," er ist voll aus Erlebniß und freudigen Antheil
geschöpft. Der leichtre Ton, den trotz eines tiefernsten und, wie nicht verschwiegen
sei, keineswegs unanfechtbaren Grnndmotivs die Erzählung anschlägt, der wirk¬
liche Humor, der hier Situationen und Gestalten beseelt, der unendlich größre
Reichthum und die wvhlthncndere Charakteristik in den meisten Nebenfiguren tragen
über gewisse bedenkliche Theile der Cviupvfitivn rascher hinweg, als in den "Kindern
der Welt." Die Totalität der Schilderung Münchens und seiner besondern
LebenSatmvsphäre, der Hintergrund des Romans wächst hier zu einer fast über¬
großen Bedeutung an. Und in der Gestaltung ist es nicht ""wesentlich, daß
gewisse Nebenfiguren, Rössel, Rosenbusch, vor allein der Cor"ella"er Philipp
Emanuel Kohle, der Oberlieutenant Schlich, fast stärkre Shmpathie" einflößen
als die Hauptgestalten von Felix und Irene, von Jansen und Julie, Janstns


Paul Heyso,

heit, die den Dichter sonst auszeichnet, die Handlung wird nnr möglich dnrch stärkre
äußere Uiiivahrschciiilichkeiten, als seine Erfindungen je mifgcwicsen, Daß der
Roman eine Fülle poetischen, zum Theil wundersam feinen Details enthält, daß
er im allgemeinen den Kreis der Charakteristik, in dein sich Hesse bis dahin
bewegt, energisch erweitert, wird niemand in Abrede stellen. Allein anch in der
Stimmung ist der Dichter trotz gewisser vorzüglicher Momente im ganzen nicht
so glücklich wie anderwärts. Es ist als ob die Abstractionen, welche er in den
Gang seiner Geschichte hereinziehen muß, lähmend gewirkt hätte». Das schlichte,
armuthselige Leben Edwins und Balders in dem Roman soll ein köstliches Idyll
mitten im heißen, staubigen und weltstadtlärmigen Berlin sein, und doch will
uns dabei nicht heimisch, nicht traulich zu Muth werden. Das Schicksal der
durch ihr Blut, ihr unüberwindliches Naturell in schwere Conflicte geführten
Tvinettc müßte uns mit tiefer und frommer Rührung ergreifen, und doch fröstelt
uns meist dabei. Der schwere Eindruck, den verfehlte, resignirte, irregehende
Existenzen, wie sie dieser Roman so vielfach aufzuweisen hat, in der Seele des
Theilnehmenden zurücklassen, wird durch die letzte» Entschlüsse und Bethäti¬
gungen dieser Gestalten kaum gelöst — an Mohrs innerlichen Frieden in seiner
Vatcrrollc, an Marauards Glück neben der behaglich ihre natürlichen Grenzen
erweiternden Adele und andre Dinge dieser Art glaube wer kann. Der Humor,
welcher Gestalten wie den wackern Berliner Schustermeister und Fortschrittsmann
Gottfried Fehertag genießbar machen soll, schmeckt dünn und ein wenig an¬
säuerlich. Und mit einem Worte: der Stil, der meisterhafte Vortrag muß in den
„Kindern der Welt" einen viel größer» Theil der Wirkung und des Respects, den
das Werk einflößt, übernehmen als in irgend einer andern Schöpfung Hcyses-

Es ist, als ob der Dichter mit seinem zweite» Roma» „Im Paradiese" (1376)
auf sein eigenstes Gebiet zurückgekehrt sei und eine Fessel gesprengt habe, die er
sich selbst augelegt. Die Luft, welche durch diesen Münchner Ku»stlerroman
hmdurchweht, läßt den Poeten »»d mit ihm seine Leser freier athme», in diesem
Roma» sind thatsächlich, wie es im WidmnngSgedicht heißt, „unscheinbare Wirk¬
lichkeiten mit Märchenduft umwebt," er ist voll aus Erlebniß und freudigen Antheil
geschöpft. Der leichtre Ton, den trotz eines tiefernsten und, wie nicht verschwiegen
sei, keineswegs unanfechtbaren Grnndmotivs die Erzählung anschlägt, der wirk¬
liche Humor, der hier Situationen und Gestalten beseelt, der unendlich größre
Reichthum und die wvhlthncndere Charakteristik in den meisten Nebenfiguren tragen
über gewisse bedenkliche Theile der Cviupvfitivn rascher hinweg, als in den „Kindern
der Welt." Die Totalität der Schilderung Münchens und seiner besondern
LebenSatmvsphäre, der Hintergrund des Romans wächst hier zu einer fast über¬
großen Bedeutung an. Und in der Gestaltung ist es nicht »»wesentlich, daß
gewisse Nebenfiguren, Rössel, Rosenbusch, vor allein der Cor»ella»er Philipp
Emanuel Kohle, der Oberlieutenant Schlich, fast stärkre Shmpathie» einflößen
als die Hauptgestalten von Felix und Irene, von Jansen und Julie, Janstns


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/560>, abgerufen am 28.05.2024.