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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei deutsche Dichter.

auf die Musik gelegt wird und gerade in denjenigen Kreisen, welche hier
den Ausschlag geben. Uns hat das manchmal sehr zweifelhaft scheinen wollen.
Trotz unsrer akademischen Männergesangvereine hat das Verständniß für die Musik
und damit die Achtung vor ihr in den gelehrten Kreisen der zwei jüngsten Genera¬
tionen erschreckend abgenommen. Ohne die Frauen würde sie dort fast vergessen sein.

Mochten doch die, welche ein Herz sür die Musik haben, der Schulgesang¬
frage einiges Interesse schenken!




Zwei deutsche Dichter.

'
.MM! n den verflossenen Wochen hat der Tod zwei in den drei letzten
Jahrzehnten vielgenannte deutsche Dichter abgerufen: eiuen, der
bis an die Grenze des heutigen Menschenalters überhaupt gelebt,
den "Schlachtendichter" C. F. Scherenberg, und einen in der
Vollkraft der Mannesjahre stehenden dramatischen Dichter aus der
IWiener Schule, den vielgenannten Murad Efendi (Franz von
Werner). Soweit es auf Originalität der Persönlichkeiten, der Lebensschicksale und
gewisser persönlichen Auffassungen vom Wesen und Zweck der Dichtung ankommt,
darf der Verlust ein schlechthin unersetzlicher genannt werden. In der heutigen
Generation sind Gestalten, welche sich so grundverschieden von dem herrschenden
Bildungsthpus und der literarischen Allgemeinrichtung darstellen, immerhin Aus¬
nahmen, und als solche sind denn auch beide genannte Autoren in den Nekro¬
logen charakterisirt worden, die uns zu Gesicht kamen. Dürftig und unzulänglich
waren freilich die meisten dieser Nachrufe; unsre Feuilletonschriftsteller haben
eben das Eingehen auf Besonderheiten verlernt, soweit die Besonderheiten nicht
zufällig mode sind, und das Verhältniß des einzelnen zum allgemeinen Stande
der Literatur kümmert vollends nur wenige. Und doch war hier Veranlassung
geboten, mit gerechter Würdigung des einzelnen Dinge von allgemeiner Be¬
deutung zur Sprache zu bringen.

C. F. Scherenbergs Hauptleistungen sammt seiner vorübergehenden Mode-
berühmtheit gehören den fünfziger Jahren an; in den beiden letzten Jahrzehnten
hat unsers Wissens der greise Dichter weder mehr etwas geschaffen noch etwas
veröffentlicht. Ans seinem Nachlaß wird ein episches Gedicht "John Franklin"
verheißen, welches schon Ausgang der fünfziger Jahre, zu der Zeit entstanden ist,
wo die ganze gebildete Welt an dem Schicksale des kühnen Polarfahrers und
seiner Genossen Antheil nahm. Murad Efendi hingegen war erst in den sech¬
ziger Jahren als Dramatiker und Lyriker hervorgetreten und hatte noch in den
letzten Monaten seines Lebens eine glänzend ausgestattete Gesammtausgabe seiner
^Dramatischen Werke" veranstaltet, die uns zur Besprechung vorliegt.

Die persönlichen Schicksale beider Dichter waren grundverschieden. Der
gemeinsame Ausgangspunkt liegt nur in einer gewissen Abenteuerlust, einem
gemeinsamen Drange nach wechselnden Erlebnissen, welche sich häufig bei phan¬
tasievollen Naturen finden. Scherenberg widmete sich in seiner Jugend der
Bühne und machte, ein andrer Wilhelm Meister, Versuche auf diesem Wege


Grenzboten IV. 1881. 23
Zwei deutsche Dichter.

auf die Musik gelegt wird und gerade in denjenigen Kreisen, welche hier
den Ausschlag geben. Uns hat das manchmal sehr zweifelhaft scheinen wollen.
Trotz unsrer akademischen Männergesangvereine hat das Verständniß für die Musik
und damit die Achtung vor ihr in den gelehrten Kreisen der zwei jüngsten Genera¬
tionen erschreckend abgenommen. Ohne die Frauen würde sie dort fast vergessen sein.

Mochten doch die, welche ein Herz sür die Musik haben, der Schulgesang¬
frage einiges Interesse schenken!




Zwei deutsche Dichter.

'
.MM! n den verflossenen Wochen hat der Tod zwei in den drei letzten
Jahrzehnten vielgenannte deutsche Dichter abgerufen: eiuen, der
bis an die Grenze des heutigen Menschenalters überhaupt gelebt,
den „Schlachtendichter" C. F. Scherenberg, und einen in der
Vollkraft der Mannesjahre stehenden dramatischen Dichter aus der
IWiener Schule, den vielgenannten Murad Efendi (Franz von
Werner). Soweit es auf Originalität der Persönlichkeiten, der Lebensschicksale und
gewisser persönlichen Auffassungen vom Wesen und Zweck der Dichtung ankommt,
darf der Verlust ein schlechthin unersetzlicher genannt werden. In der heutigen
Generation sind Gestalten, welche sich so grundverschieden von dem herrschenden
Bildungsthpus und der literarischen Allgemeinrichtung darstellen, immerhin Aus¬
nahmen, und als solche sind denn auch beide genannte Autoren in den Nekro¬
logen charakterisirt worden, die uns zu Gesicht kamen. Dürftig und unzulänglich
waren freilich die meisten dieser Nachrufe; unsre Feuilletonschriftsteller haben
eben das Eingehen auf Besonderheiten verlernt, soweit die Besonderheiten nicht
zufällig mode sind, und das Verhältniß des einzelnen zum allgemeinen Stande
der Literatur kümmert vollends nur wenige. Und doch war hier Veranlassung
geboten, mit gerechter Würdigung des einzelnen Dinge von allgemeiner Be¬
deutung zur Sprache zu bringen.

C. F. Scherenbergs Hauptleistungen sammt seiner vorübergehenden Mode-
berühmtheit gehören den fünfziger Jahren an; in den beiden letzten Jahrzehnten
hat unsers Wissens der greise Dichter weder mehr etwas geschaffen noch etwas
veröffentlicht. Ans seinem Nachlaß wird ein episches Gedicht „John Franklin"
verheißen, welches schon Ausgang der fünfziger Jahre, zu der Zeit entstanden ist,
wo die ganze gebildete Welt an dem Schicksale des kühnen Polarfahrers und
seiner Genossen Antheil nahm. Murad Efendi hingegen war erst in den sech¬
ziger Jahren als Dramatiker und Lyriker hervorgetreten und hatte noch in den
letzten Monaten seines Lebens eine glänzend ausgestattete Gesammtausgabe seiner
^Dramatischen Werke" veranstaltet, die uns zur Besprechung vorliegt.

Die persönlichen Schicksale beider Dichter waren grundverschieden. Der
gemeinsame Ausgangspunkt liegt nur in einer gewissen Abenteuerlust, einem
gemeinsamen Drange nach wechselnden Erlebnissen, welche sich häufig bei phan¬
tasievollen Naturen finden. Scherenberg widmete sich in seiner Jugend der
Bühne und machte, ein andrer Wilhelm Meister, Versuche auf diesem Wege


Grenzboten IV. 1881. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/183>, abgerufen am 29.04.2024.