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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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politische Rückblicke und Ausblicke.
s.

och während die Blicke der Welt auf den Krieg zwischen Deutsch¬
land und Frankreich gerichtet waren, hatten die klerikalen Parteien,
allen voran die Jesuiten, eine heftige Agitation für ihre Zwecke ein¬
geleitet und waren namentlich scharf gegen die Preußische Regierung
aufgetreten. Man scheint hier geglaubt zu haben, sich mit Hilfe
hochstehender Parteigenossen wie Savignys und der Familie Radziwill
und einer noch höher stehenden Gönnerin und Alliirten sich in gewissem Maße
der Reichsregierung bemächtigen zu können. Nach dem Frieden bildete sich eine
katholische Fraktion, die sich durch erklärte Reichsfeinde verstärkte, bei der ersten
Adresse an den Kaiser die Intervention Deutschlands für den von Italien depvsse-
dirten Papst offen zu halten suchte und bei Berathung der Reichsverfassung die
Paragraphen 15, 16 und 18 der preußischen Constitution in jene aufgenommen
wissen wollte, um sich im Reiche die ultramontane Nebenregierung zu sichern, falls
man in Preußen nicht zur officiellen Regierung gelangen könnte.

Die Stellung der Regierung den Concilsbeschlüssen gegenüber war sehr einfach.
Es handelte sich nicht um Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Glaubenssatzes
von selten der weltlichem Gewalt -- das war Gewissenssache des einzelnen Ka¬
tholiken --, sondern um die Frage, ob die Staatsregierung eine Lehre unterstützen
dürfe, die staatsgefährlich erschien, und dies wurde selbstverständlich von der Preu¬
ßische" Regierung verneint. Demzufolge verwehrte sie zwar niemand die Verkün¬
digung der Lehren des Concils, lehnte es aber ab, solche katholische Lehrer, denen
ihr Gewissen die Aufnahme jener Lehren in ihren Unterricht verbot, zwingen zu
helfen, sie zu lehren, schützte dieselben vielmehr gegen ihre Obern. Daraus ent¬
stand der erste Conflict zwischen diesen und der Staatsgewalt.

Der Priester und Religionslehrer Woltmann am Gymnasium zu Braunsberg
weigerte sich, die Jnfallibilität des Papstes zu lehren. Der Bischof von Ermelaud,
Kremcnz, entzog ihm infolge dessen zunächst die miMio eannniea und verhängte dann


Grmzlwten IV. 1881.


politische Rückblicke und Ausblicke.
s.

och während die Blicke der Welt auf den Krieg zwischen Deutsch¬
land und Frankreich gerichtet waren, hatten die klerikalen Parteien,
allen voran die Jesuiten, eine heftige Agitation für ihre Zwecke ein¬
geleitet und waren namentlich scharf gegen die Preußische Regierung
aufgetreten. Man scheint hier geglaubt zu haben, sich mit Hilfe
hochstehender Parteigenossen wie Savignys und der Familie Radziwill
und einer noch höher stehenden Gönnerin und Alliirten sich in gewissem Maße
der Reichsregierung bemächtigen zu können. Nach dem Frieden bildete sich eine
katholische Fraktion, die sich durch erklärte Reichsfeinde verstärkte, bei der ersten
Adresse an den Kaiser die Intervention Deutschlands für den von Italien depvsse-
dirten Papst offen zu halten suchte und bei Berathung der Reichsverfassung die
Paragraphen 15, 16 und 18 der preußischen Constitution in jene aufgenommen
wissen wollte, um sich im Reiche die ultramontane Nebenregierung zu sichern, falls
man in Preußen nicht zur officiellen Regierung gelangen könnte.

Die Stellung der Regierung den Concilsbeschlüssen gegenüber war sehr einfach.
Es handelte sich nicht um Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Glaubenssatzes
von selten der weltlichem Gewalt — das war Gewissenssache des einzelnen Ka¬
tholiken —, sondern um die Frage, ob die Staatsregierung eine Lehre unterstützen
dürfe, die staatsgefährlich erschien, und dies wurde selbstverständlich von der Preu¬
ßische» Regierung verneint. Demzufolge verwehrte sie zwar niemand die Verkün¬
digung der Lehren des Concils, lehnte es aber ab, solche katholische Lehrer, denen
ihr Gewissen die Aufnahme jener Lehren in ihren Unterricht verbot, zwingen zu
helfen, sie zu lehren, schützte dieselben vielmehr gegen ihre Obern. Daraus ent¬
stand der erste Conflict zwischen diesen und der Staatsgewalt.

Der Priester und Religionslehrer Woltmann am Gymnasium zu Braunsberg
weigerte sich, die Jnfallibilität des Papstes zu lehren. Der Bischof von Ermelaud,
Kremcnz, entzog ihm infolge dessen zunächst die miMio eannniea und verhängte dann


Grmzlwten IV. 1881.
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[0187] [Abbildung] politische Rückblicke und Ausblicke. s. och während die Blicke der Welt auf den Krieg zwischen Deutsch¬ land und Frankreich gerichtet waren, hatten die klerikalen Parteien, allen voran die Jesuiten, eine heftige Agitation für ihre Zwecke ein¬ geleitet und waren namentlich scharf gegen die Preußische Regierung aufgetreten. Man scheint hier geglaubt zu haben, sich mit Hilfe hochstehender Parteigenossen wie Savignys und der Familie Radziwill und einer noch höher stehenden Gönnerin und Alliirten sich in gewissem Maße der Reichsregierung bemächtigen zu können. Nach dem Frieden bildete sich eine katholische Fraktion, die sich durch erklärte Reichsfeinde verstärkte, bei der ersten Adresse an den Kaiser die Intervention Deutschlands für den von Italien depvsse- dirten Papst offen zu halten suchte und bei Berathung der Reichsverfassung die Paragraphen 15, 16 und 18 der preußischen Constitution in jene aufgenommen wissen wollte, um sich im Reiche die ultramontane Nebenregierung zu sichern, falls man in Preußen nicht zur officiellen Regierung gelangen könnte. Die Stellung der Regierung den Concilsbeschlüssen gegenüber war sehr einfach. Es handelte sich nicht um Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Glaubenssatzes von selten der weltlichem Gewalt — das war Gewissenssache des einzelnen Ka¬ tholiken —, sondern um die Frage, ob die Staatsregierung eine Lehre unterstützen dürfe, die staatsgefährlich erschien, und dies wurde selbstverständlich von der Preu¬ ßische» Regierung verneint. Demzufolge verwehrte sie zwar niemand die Verkün¬ digung der Lehren des Concils, lehnte es aber ab, solche katholische Lehrer, denen ihr Gewissen die Aufnahme jener Lehren in ihren Unterricht verbot, zwingen zu helfen, sie zu lehren, schützte dieselben vielmehr gegen ihre Obern. Daraus ent¬ stand der erste Conflict zwischen diesen und der Staatsgewalt. Der Priester und Religionslehrer Woltmann am Gymnasium zu Braunsberg weigerte sich, die Jnfallibilität des Papstes zu lehren. Der Bischof von Ermelaud, Kremcnz, entzog ihm infolge dessen zunächst die miMio eannniea und verhängte dann Grmzlwten IV. 1881.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/187>, abgerufen am 28.04.2024.