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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zola und der Naturalismus auf dem Theater.
von Robert prölß.

mil Zola hat nicht nur auf dem Gebiete des Romans, sondern
auch auf dem der Kritik großes Aufsehen erregt und hier fast
ebenso eifrige Anhänger und Gegner gefunden wie dort. Wie
man von der Richtung seines Geistes und Talents auch denken
mag, an ihnen selbst wird niemand mehr zweifeln. Ein Mann
dieser Art verdient aber immer gehört zu werden. Man wird immer bei
ihm eine, wenn auch einseitige und über ihr Ziel hinausschießende Wahrheit
voraussetzen dürfen und selbst noch aus seinen Irrthümern lernen tonnen. Unter
andern sind von ihm zwei Schriften unter demselben Titel erschienen: 1,0 im-
wiMsms sur 1ö ttMtro. Die erste kürzere bildete die Einleitung zum vierten
Bande der ^.ururlss an tIMtrs se as ig, umsiciuö von Edouard NvLl und
Edmvud Stonllig (1878), die andre umfangreichere erschien erst in diesem Jahre
als besondres Buch. Beide enthalten außer der Zusammenfassung der Ergeb¬
nisse seiner kritischen Thätigkeit im Voltaire eine rückhaltlose Kritik des der-
maligen Zustandes des Pariser Theaters und eine offene Kriegserklärung gegen
die daselbst herrschenden Ansichten und Theorien, denen er seine eigne Ansicht
vom Theater und Drama entgegenstellt.

Es ist möglich, daß ein Autor zugleich ein großer Dichter und ein bedeu¬
tender Theoretiker und Kritiker ist, es ist aber häufiger, daß beides sich nicht
in demselben Maße zusammen findet. Es ist daher nicht immer möglich, von
dem einen auf das andre zu schließen. Ich will daher bei der Betrachtung dieser
beiden mir vorliegenden Schriften lieber von dem Dichter und dessen Werken
ganz absehen, um ihnen um so Vorurtheilsfreier gegenübertreten zu können.
Auch will ich mich zunächst mit dem kritischen Theile derselben beschäftigen, ob-
schon er in dem spätern Bande enthalten ist, und will die Betrachtung des po¬
sitiven Theils erst nachfolgen lassen, für welchen die wichtigen Stellen in jener
erstem kleinern Schrift enthalten sind, deren Kenntniß daher zum vollen Ver¬
ständniß der andern vorausgesetzt ist. Zolas Anschnnnng vom Drama -- Theorie
will er es selbst nicht genannt wissen -- hat sich nämlich, wie ich glaube, erst
allmählich infolge seiner kritischen Thätigkeit entwickelt.

Fast gegen nichts erhebt sich Zola mit größeren Eifer als gegen die An¬
nahme, daß die Bühne eine zum Abschluß gelangte Einrichtung sei, die bestimmte
unabänderliche Forderungen zu stellen habe, daß es bestimmte, nur ihr ange-
hörige Eigenschaften der dramatischen Form, sowie einen bestimmten dramatischen
Stil gebe und zur dramatischen Dichtung eine bestimmte dramatische Anlage (aom)


Zola und der Naturalismus auf dem Theater.
von Robert prölß.

mil Zola hat nicht nur auf dem Gebiete des Romans, sondern
auch auf dem der Kritik großes Aufsehen erregt und hier fast
ebenso eifrige Anhänger und Gegner gefunden wie dort. Wie
man von der Richtung seines Geistes und Talents auch denken
mag, an ihnen selbst wird niemand mehr zweifeln. Ein Mann
dieser Art verdient aber immer gehört zu werden. Man wird immer bei
ihm eine, wenn auch einseitige und über ihr Ziel hinausschießende Wahrheit
voraussetzen dürfen und selbst noch aus seinen Irrthümern lernen tonnen. Unter
andern sind von ihm zwei Schriften unter demselben Titel erschienen: 1,0 im-
wiMsms sur 1ö ttMtro. Die erste kürzere bildete die Einleitung zum vierten
Bande der ^.ururlss an tIMtrs se as ig, umsiciuö von Edouard NvLl und
Edmvud Stonllig (1878), die andre umfangreichere erschien erst in diesem Jahre
als besondres Buch. Beide enthalten außer der Zusammenfassung der Ergeb¬
nisse seiner kritischen Thätigkeit im Voltaire eine rückhaltlose Kritik des der-
maligen Zustandes des Pariser Theaters und eine offene Kriegserklärung gegen
die daselbst herrschenden Ansichten und Theorien, denen er seine eigne Ansicht
vom Theater und Drama entgegenstellt.

Es ist möglich, daß ein Autor zugleich ein großer Dichter und ein bedeu¬
tender Theoretiker und Kritiker ist, es ist aber häufiger, daß beides sich nicht
in demselben Maße zusammen findet. Es ist daher nicht immer möglich, von
dem einen auf das andre zu schließen. Ich will daher bei der Betrachtung dieser
beiden mir vorliegenden Schriften lieber von dem Dichter und dessen Werken
ganz absehen, um ihnen um so Vorurtheilsfreier gegenübertreten zu können.
Auch will ich mich zunächst mit dem kritischen Theile derselben beschäftigen, ob-
schon er in dem spätern Bande enthalten ist, und will die Betrachtung des po¬
sitiven Theils erst nachfolgen lassen, für welchen die wichtigen Stellen in jener
erstem kleinern Schrift enthalten sind, deren Kenntniß daher zum vollen Ver¬
ständniß der andern vorausgesetzt ist. Zolas Anschnnnng vom Drama — Theorie
will er es selbst nicht genannt wissen — hat sich nämlich, wie ich glaube, erst
allmählich infolge seiner kritischen Thätigkeit entwickelt.

Fast gegen nichts erhebt sich Zola mit größeren Eifer als gegen die An¬
nahme, daß die Bühne eine zum Abschluß gelangte Einrichtung sei, die bestimmte
unabänderliche Forderungen zu stellen habe, daß es bestimmte, nur ihr ange-
hörige Eigenschaften der dramatischen Form, sowie einen bestimmten dramatischen
Stil gebe und zur dramatischen Dichtung eine bestimmte dramatische Anlage (aom)


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[0296] Zola und der Naturalismus auf dem Theater. von Robert prölß. mil Zola hat nicht nur auf dem Gebiete des Romans, sondern auch auf dem der Kritik großes Aufsehen erregt und hier fast ebenso eifrige Anhänger und Gegner gefunden wie dort. Wie man von der Richtung seines Geistes und Talents auch denken mag, an ihnen selbst wird niemand mehr zweifeln. Ein Mann dieser Art verdient aber immer gehört zu werden. Man wird immer bei ihm eine, wenn auch einseitige und über ihr Ziel hinausschießende Wahrheit voraussetzen dürfen und selbst noch aus seinen Irrthümern lernen tonnen. Unter andern sind von ihm zwei Schriften unter demselben Titel erschienen: 1,0 im- wiMsms sur 1ö ttMtro. Die erste kürzere bildete die Einleitung zum vierten Bande der ^.ururlss an tIMtrs se as ig, umsiciuö von Edouard NvLl und Edmvud Stonllig (1878), die andre umfangreichere erschien erst in diesem Jahre als besondres Buch. Beide enthalten außer der Zusammenfassung der Ergeb¬ nisse seiner kritischen Thätigkeit im Voltaire eine rückhaltlose Kritik des der- maligen Zustandes des Pariser Theaters und eine offene Kriegserklärung gegen die daselbst herrschenden Ansichten und Theorien, denen er seine eigne Ansicht vom Theater und Drama entgegenstellt. Es ist möglich, daß ein Autor zugleich ein großer Dichter und ein bedeu¬ tender Theoretiker und Kritiker ist, es ist aber häufiger, daß beides sich nicht in demselben Maße zusammen findet. Es ist daher nicht immer möglich, von dem einen auf das andre zu schließen. Ich will daher bei der Betrachtung dieser beiden mir vorliegenden Schriften lieber von dem Dichter und dessen Werken ganz absehen, um ihnen um so Vorurtheilsfreier gegenübertreten zu können. Auch will ich mich zunächst mit dem kritischen Theile derselben beschäftigen, ob- schon er in dem spätern Bande enthalten ist, und will die Betrachtung des po¬ sitiven Theils erst nachfolgen lassen, für welchen die wichtigen Stellen in jener erstem kleinern Schrift enthalten sind, deren Kenntniß daher zum vollen Ver¬ ständniß der andern vorausgesetzt ist. Zolas Anschnnnng vom Drama — Theorie will er es selbst nicht genannt wissen — hat sich nämlich, wie ich glaube, erst allmählich infolge seiner kritischen Thätigkeit entwickelt. Fast gegen nichts erhebt sich Zola mit größeren Eifer als gegen die An¬ nahme, daß die Bühne eine zum Abschluß gelangte Einrichtung sei, die bestimmte unabänderliche Forderungen zu stellen habe, daß es bestimmte, nur ihr ange- hörige Eigenschaften der dramatischen Form, sowie einen bestimmten dramatischen Stil gebe und zur dramatischen Dichtung eine bestimmte dramatische Anlage (aom)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/296>, abgerufen am 28.04.2024.