Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Literatur.

halt überlebt habe. Die Beweihräucherung der tonangebenden Dramatiker durch
die Kritik könne daran nichts ändern. Er beruft sich dafür auf das Zeugniß
der Bühnendirectvren, derselben Bühnendirectoren, die vorher das Theater doch
hauptsächlich mit ruinirt haben sollten, indem sie dem Geschmack des Publicums
allzusehr nachgaben und die Bühnenkunst zu einem bloßen Geschäfte herabsetzten.
Jetzt würden sie, behauptet er, alle Mansarden von Paris nach einem guten
Stücke durchlaufen. "Wo ist der Director -- ruft er emphatisch aus --, der
ein gutes Stück zurückweisen würde, wenn er es für gut hält!" Ja, wenn er
es für gut hält! Aber was hält er für gut? Victor Hugo hat die Antwort
darauf schon beinahe vor vierzig Jahren gegeben. Für gut hält er nur diejenigen
Stücke, welche ihm Casse machen oder diese zu machen versprechen. Das ist es
ja gerade, warum die Schcmspieldireetoren immer wieder nach der alten Mache,
den alten Figuren, den alten Situationen, mit einem Wort nach den alten Bühnen-
esfecten greifen und die Tradition auf der Bühne unsterblich machen.

(Schluß folgt.)




Literatur.
Ariäus. Reuer Ausbau der Lehre Kants über Seele, Freiheit und Gott. Von I)r. Heinrich
Romundt. Leipzig, Veit & Comp,, 1882.

Wie der Riese Ariäus stets durch Berührung mit der Mutter Erde neue
Kräfte zum Kampfe erhielt, so soll der Mensch nach der Ansicht des Verfassers
im Kampf mit dem Zweifel an den höchsten Gütern, dem Glauben an Gott, Frei¬
heit und Unsterblichkeit neue Kraft und Gewißheit gewinnen, indem er sich in die
natürliche Grundlage seines eignen Erkenntnißvermögens vertieft, und sich die
bahnbrechenden Gedanken Kants in der Analyse des Erkenntnißvermögens vergegen¬
wärtigt und erneuert. Nun giebt es zwei gründlich verschiedene Auffassungen
Kants. Die einen, die freilich noch sparsam zu finden sind, sehen in der "Kritik
der reinen Vernunft" einen Kanon, nach welchem in allen Wissenschaften ohne
Ausnahme Wahrheit und Irrthum unterschieden werden kann und muß. Sie finden,
daß Kant einzig und allein den Gegensatz zwischen speculativer und inductiver
Philosophie aufgehoben hat. Wenn Des Cartes nur das Dasein des eignen Ich
sicher beweisen konnte, und jedem freistellte, das Dasein der äußern Dinge zu be¬
zweifeln (subjectiver Idealismus), während die englischen Empiristen zwar die
Naturwissenschaft begründeten, aber durch die Erkenntniß, daß wir nie etwas andres
als unsere Simiescindrücke wahrnehmen (Sensualismus), zum Skepticismus geführt
wurden, d. h. die Sicherheit und Wirklichkeit der Naturgegenstände nicht beweisen
konnten, so hatte Kant alle diese Zweifel beseitigt, indem er nachwies, daß wir


Literatur.

halt überlebt habe. Die Beweihräucherung der tonangebenden Dramatiker durch
die Kritik könne daran nichts ändern. Er beruft sich dafür auf das Zeugniß
der Bühnendirectvren, derselben Bühnendirectoren, die vorher das Theater doch
hauptsächlich mit ruinirt haben sollten, indem sie dem Geschmack des Publicums
allzusehr nachgaben und die Bühnenkunst zu einem bloßen Geschäfte herabsetzten.
Jetzt würden sie, behauptet er, alle Mansarden von Paris nach einem guten
Stücke durchlaufen. „Wo ist der Director — ruft er emphatisch aus —, der
ein gutes Stück zurückweisen würde, wenn er es für gut hält!" Ja, wenn er
es für gut hält! Aber was hält er für gut? Victor Hugo hat die Antwort
darauf schon beinahe vor vierzig Jahren gegeben. Für gut hält er nur diejenigen
Stücke, welche ihm Casse machen oder diese zu machen versprechen. Das ist es
ja gerade, warum die Schcmspieldireetoren immer wieder nach der alten Mache,
den alten Figuren, den alten Situationen, mit einem Wort nach den alten Bühnen-
esfecten greifen und die Tradition auf der Bühne unsterblich machen.

(Schluß folgt.)




Literatur.
Ariäus. Reuer Ausbau der Lehre Kants über Seele, Freiheit und Gott. Von I)r. Heinrich
Romundt. Leipzig, Veit & Comp,, 1882.

Wie der Riese Ariäus stets durch Berührung mit der Mutter Erde neue
Kräfte zum Kampfe erhielt, so soll der Mensch nach der Ansicht des Verfassers
im Kampf mit dem Zweifel an den höchsten Gütern, dem Glauben an Gott, Frei¬
heit und Unsterblichkeit neue Kraft und Gewißheit gewinnen, indem er sich in die
natürliche Grundlage seines eignen Erkenntnißvermögens vertieft, und sich die
bahnbrechenden Gedanken Kants in der Analyse des Erkenntnißvermögens vergegen¬
wärtigt und erneuert. Nun giebt es zwei gründlich verschiedene Auffassungen
Kants. Die einen, die freilich noch sparsam zu finden sind, sehen in der „Kritik
der reinen Vernunft" einen Kanon, nach welchem in allen Wissenschaften ohne
Ausnahme Wahrheit und Irrthum unterschieden werden kann und muß. Sie finden,
daß Kant einzig und allein den Gegensatz zwischen speculativer und inductiver
Philosophie aufgehoben hat. Wenn Des Cartes nur das Dasein des eignen Ich
sicher beweisen konnte, und jedem freistellte, das Dasein der äußern Dinge zu be¬
zweifeln (subjectiver Idealismus), während die englischen Empiristen zwar die
Naturwissenschaft begründeten, aber durch die Erkenntniß, daß wir nie etwas andres
als unsere Simiescindrücke wahrnehmen (Sensualismus), zum Skepticismus geführt
wurden, d. h. die Sicherheit und Wirklichkeit der Naturgegenstände nicht beweisen
konnten, so hatte Kant alle diese Zweifel beseitigt, indem er nachwies, daß wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151024"/>
          <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1016" prev="#ID_1015"> halt überlebt habe. Die Beweihräucherung der tonangebenden Dramatiker durch<lb/>
die Kritik könne daran nichts ändern. Er beruft sich dafür auf das Zeugniß<lb/>
der Bühnendirectvren, derselben Bühnendirectoren, die vorher das Theater doch<lb/>
hauptsächlich mit ruinirt haben sollten, indem sie dem Geschmack des Publicums<lb/>
allzusehr nachgaben und die Bühnenkunst zu einem bloßen Geschäfte herabsetzten.<lb/>
Jetzt würden sie, behauptet er, alle Mansarden von Paris nach einem guten<lb/>
Stücke durchlaufen. &#x201E;Wo ist der Director &#x2014; ruft er emphatisch aus &#x2014;, der<lb/>
ein gutes Stück zurückweisen würde, wenn er es für gut hält!" Ja, wenn er<lb/>
es für gut hält! Aber was hält er für gut? Victor Hugo hat die Antwort<lb/>
darauf schon beinahe vor vierzig Jahren gegeben. Für gut hält er nur diejenigen<lb/>
Stücke, welche ihm Casse machen oder diese zu machen versprechen. Das ist es<lb/>
ja gerade, warum die Schcmspieldireetoren immer wieder nach der alten Mache,<lb/>
den alten Figuren, den alten Situationen, mit einem Wort nach den alten Bühnen-<lb/>
esfecten greifen und die Tradition auf der Bühne unsterblich machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1017"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Ariäus. Reuer Ausbau der Lehre Kants über Seele, Freiheit und Gott. Von I)r. Heinrich<lb/>
Romundt. Leipzig, Veit &amp; Comp,, 1882.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1018" next="#ID_1019"> Wie der Riese Ariäus stets durch Berührung mit der Mutter Erde neue<lb/>
Kräfte zum Kampfe erhielt, so soll der Mensch nach der Ansicht des Verfassers<lb/>
im Kampf mit dem Zweifel an den höchsten Gütern, dem Glauben an Gott, Frei¬<lb/>
heit und Unsterblichkeit neue Kraft und Gewißheit gewinnen, indem er sich in die<lb/>
natürliche Grundlage seines eignen Erkenntnißvermögens vertieft, und sich die<lb/>
bahnbrechenden Gedanken Kants in der Analyse des Erkenntnißvermögens vergegen¬<lb/>
wärtigt und erneuert. Nun giebt es zwei gründlich verschiedene Auffassungen<lb/>
Kants. Die einen, die freilich noch sparsam zu finden sind, sehen in der &#x201E;Kritik<lb/>
der reinen Vernunft" einen Kanon, nach welchem in allen Wissenschaften ohne<lb/>
Ausnahme Wahrheit und Irrthum unterschieden werden kann und muß. Sie finden,<lb/>
daß Kant einzig und allein den Gegensatz zwischen speculativer und inductiver<lb/>
Philosophie aufgehoben hat. Wenn Des Cartes nur das Dasein des eignen Ich<lb/>
sicher beweisen konnte, und jedem freistellte, das Dasein der äußern Dinge zu be¬<lb/>
zweifeln (subjectiver Idealismus), während die englischen Empiristen zwar die<lb/>
Naturwissenschaft begründeten, aber durch die Erkenntniß, daß wir nie etwas andres<lb/>
als unsere Simiescindrücke wahrnehmen (Sensualismus), zum Skepticismus geführt<lb/>
wurden, d. h. die Sicherheit und Wirklichkeit der Naturgegenstände nicht beweisen<lb/>
konnten, so hatte Kant alle diese Zweifel beseitigt, indem er nachwies, daß wir</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Literatur. halt überlebt habe. Die Beweihräucherung der tonangebenden Dramatiker durch die Kritik könne daran nichts ändern. Er beruft sich dafür auf das Zeugniß der Bühnendirectvren, derselben Bühnendirectoren, die vorher das Theater doch hauptsächlich mit ruinirt haben sollten, indem sie dem Geschmack des Publicums allzusehr nachgaben und die Bühnenkunst zu einem bloßen Geschäfte herabsetzten. Jetzt würden sie, behauptet er, alle Mansarden von Paris nach einem guten Stücke durchlaufen. „Wo ist der Director — ruft er emphatisch aus —, der ein gutes Stück zurückweisen würde, wenn er es für gut hält!" Ja, wenn er es für gut hält! Aber was hält er für gut? Victor Hugo hat die Antwort darauf schon beinahe vor vierzig Jahren gegeben. Für gut hält er nur diejenigen Stücke, welche ihm Casse machen oder diese zu machen versprechen. Das ist es ja gerade, warum die Schcmspieldireetoren immer wieder nach der alten Mache, den alten Figuren, den alten Situationen, mit einem Wort nach den alten Bühnen- esfecten greifen und die Tradition auf der Bühne unsterblich machen. (Schluß folgt.) Literatur. Ariäus. Reuer Ausbau der Lehre Kants über Seele, Freiheit und Gott. Von I)r. Heinrich Romundt. Leipzig, Veit & Comp,, 1882. Wie der Riese Ariäus stets durch Berührung mit der Mutter Erde neue Kräfte zum Kampfe erhielt, so soll der Mensch nach der Ansicht des Verfassers im Kampf mit dem Zweifel an den höchsten Gütern, dem Glauben an Gott, Frei¬ heit und Unsterblichkeit neue Kraft und Gewißheit gewinnen, indem er sich in die natürliche Grundlage seines eignen Erkenntnißvermögens vertieft, und sich die bahnbrechenden Gedanken Kants in der Analyse des Erkenntnißvermögens vergegen¬ wärtigt und erneuert. Nun giebt es zwei gründlich verschiedene Auffassungen Kants. Die einen, die freilich noch sparsam zu finden sind, sehen in der „Kritik der reinen Vernunft" einen Kanon, nach welchem in allen Wissenschaften ohne Ausnahme Wahrheit und Irrthum unterschieden werden kann und muß. Sie finden, daß Kant einzig und allein den Gegensatz zwischen speculativer und inductiver Philosophie aufgehoben hat. Wenn Des Cartes nur das Dasein des eignen Ich sicher beweisen konnte, und jedem freistellte, das Dasein der äußern Dinge zu be¬ zweifeln (subjectiver Idealismus), während die englischen Empiristen zwar die Naturwissenschaft begründeten, aber durch die Erkenntniß, daß wir nie etwas andres als unsere Simiescindrücke wahrnehmen (Sensualismus), zum Skepticismus geführt wurden, d. h. die Sicherheit und Wirklichkeit der Naturgegenstände nicht beweisen konnten, so hatte Kant alle diese Zweifel beseitigt, indem er nachwies, daß wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/302>, abgerufen am 28.04.2024.