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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus dem Tagebuche eines Reactionärs.

le Reaction ist im Anzüge, sagen die einen; andre wollen spüren,
daß das Ungeheuer sie schon am Kragen halte. Sie haben wohl
beide Recht. Gewiß ist die Reaction da. Das Erwachen aus
Traum und Rausch beginnt, man reibt sich die Augen, versucht
sich aufzurichten und aus die Füße zu stellen -- alles hübsch
langsam, wie das in unsrer Art liegt. Sollten wir uns aber zu lange besinnen,
dann wird jene andre Reaction nicht ausbleiben. Wissen wir nicht Abhilfe zu
verschaffen von dem Terrorismus der Presse, von dem Phrasenthum im gesammten
öffentlichen Leben, von der Verwechslung zwischen Mitteln und Zwecken, dann
wird das Volk das Kind mit dem Bade verschütten, den Institutionen die Schuld
geben für deren Mißbrauch, und denjenigen mit Jubel begrüßen, der es von
seinen Freiheiten befreit.




Parlamentsredner und Zeitungsschreiber haben die Behauptung, ohne sie
könne kein Staat existiren, so oft wiederholt, daß sie endlich glauben, der Staat
existire nur, damit es ein Parlament und eine Presse geben könne. Noch ist
ihr gläubiges Publicum groß, aber von dem Erkennen des Widersinns bis zu
dem neuen Irrthum, Vcrtretungskörper und Publieistik für gemeinschädlich zu
halten, ist nur noch ein kleiner Schritt.




Gelben hätten wir nichts? Wir haben andre am Thun verhindert!




Nichts auf der Welt ist leichter, als sich den Ruf eines freisinnigen Mannes
zu erwerben: man braucht nur alles, was eine Regierung irgend thut, unbesehen
sür ganz verwerflich zu erklären, so flößt man allen übrigen einen ungeheuren
Respect vor seinem unerschütterlichen Liberalismus ein.




Wer giebt mir eine authentische Interpretation des Wortes "Parlamen¬
tarisches Regiment?" Als den Anführern des großen Sturmlaufs gegen den
Kanzler vorgeworfen wurde, sie wollten Minister werden, wiesen sie eine solche
Verdächtigung entrüstet zurück. Weshalb denn? Allerdings wird sich die Mög¬
lichkeit eines Cabinets Laster-Bamberger-Richter selbst ein Fortschrittler nicht
ohne Heiterkeit vorstellen können, allein zur Partei zählen ja noch andre Per¬
sönlichkeiten. Weshalb also nicht regieren wollen? Weil man die Verantwort¬
lichkeit scheut und lieber unverantwortliche Reden hält? Was heißt aber dann
"Parlamentarisches Regiment?" Auf der Ministerbank eine Reihe subaltern-


Aus dem Tagebuche eines Reactionärs.

le Reaction ist im Anzüge, sagen die einen; andre wollen spüren,
daß das Ungeheuer sie schon am Kragen halte. Sie haben wohl
beide Recht. Gewiß ist die Reaction da. Das Erwachen aus
Traum und Rausch beginnt, man reibt sich die Augen, versucht
sich aufzurichten und aus die Füße zu stellen — alles hübsch
langsam, wie das in unsrer Art liegt. Sollten wir uns aber zu lange besinnen,
dann wird jene andre Reaction nicht ausbleiben. Wissen wir nicht Abhilfe zu
verschaffen von dem Terrorismus der Presse, von dem Phrasenthum im gesammten
öffentlichen Leben, von der Verwechslung zwischen Mitteln und Zwecken, dann
wird das Volk das Kind mit dem Bade verschütten, den Institutionen die Schuld
geben für deren Mißbrauch, und denjenigen mit Jubel begrüßen, der es von
seinen Freiheiten befreit.




Parlamentsredner und Zeitungsschreiber haben die Behauptung, ohne sie
könne kein Staat existiren, so oft wiederholt, daß sie endlich glauben, der Staat
existire nur, damit es ein Parlament und eine Presse geben könne. Noch ist
ihr gläubiges Publicum groß, aber von dem Erkennen des Widersinns bis zu
dem neuen Irrthum, Vcrtretungskörper und Publieistik für gemeinschädlich zu
halten, ist nur noch ein kleiner Schritt.




Gelben hätten wir nichts? Wir haben andre am Thun verhindert!




Nichts auf der Welt ist leichter, als sich den Ruf eines freisinnigen Mannes
zu erwerben: man braucht nur alles, was eine Regierung irgend thut, unbesehen
sür ganz verwerflich zu erklären, so flößt man allen übrigen einen ungeheuren
Respect vor seinem unerschütterlichen Liberalismus ein.




Wer giebt mir eine authentische Interpretation des Wortes „Parlamen¬
tarisches Regiment?" Als den Anführern des großen Sturmlaufs gegen den
Kanzler vorgeworfen wurde, sie wollten Minister werden, wiesen sie eine solche
Verdächtigung entrüstet zurück. Weshalb denn? Allerdings wird sich die Mög¬
lichkeit eines Cabinets Laster-Bamberger-Richter selbst ein Fortschrittler nicht
ohne Heiterkeit vorstellen können, allein zur Partei zählen ja noch andre Per¬
sönlichkeiten. Weshalb also nicht regieren wollen? Weil man die Verantwort¬
lichkeit scheut und lieber unverantwortliche Reden hält? Was heißt aber dann
„Parlamentarisches Regiment?" Auf der Ministerbank eine Reihe subaltern-


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[0337] Aus dem Tagebuche eines Reactionärs. le Reaction ist im Anzüge, sagen die einen; andre wollen spüren, daß das Ungeheuer sie schon am Kragen halte. Sie haben wohl beide Recht. Gewiß ist die Reaction da. Das Erwachen aus Traum und Rausch beginnt, man reibt sich die Augen, versucht sich aufzurichten und aus die Füße zu stellen — alles hübsch langsam, wie das in unsrer Art liegt. Sollten wir uns aber zu lange besinnen, dann wird jene andre Reaction nicht ausbleiben. Wissen wir nicht Abhilfe zu verschaffen von dem Terrorismus der Presse, von dem Phrasenthum im gesammten öffentlichen Leben, von der Verwechslung zwischen Mitteln und Zwecken, dann wird das Volk das Kind mit dem Bade verschütten, den Institutionen die Schuld geben für deren Mißbrauch, und denjenigen mit Jubel begrüßen, der es von seinen Freiheiten befreit. Parlamentsredner und Zeitungsschreiber haben die Behauptung, ohne sie könne kein Staat existiren, so oft wiederholt, daß sie endlich glauben, der Staat existire nur, damit es ein Parlament und eine Presse geben könne. Noch ist ihr gläubiges Publicum groß, aber von dem Erkennen des Widersinns bis zu dem neuen Irrthum, Vcrtretungskörper und Publieistik für gemeinschädlich zu halten, ist nur noch ein kleiner Schritt. Gelben hätten wir nichts? Wir haben andre am Thun verhindert! Nichts auf der Welt ist leichter, als sich den Ruf eines freisinnigen Mannes zu erwerben: man braucht nur alles, was eine Regierung irgend thut, unbesehen sür ganz verwerflich zu erklären, so flößt man allen übrigen einen ungeheuren Respect vor seinem unerschütterlichen Liberalismus ein. Wer giebt mir eine authentische Interpretation des Wortes „Parlamen¬ tarisches Regiment?" Als den Anführern des großen Sturmlaufs gegen den Kanzler vorgeworfen wurde, sie wollten Minister werden, wiesen sie eine solche Verdächtigung entrüstet zurück. Weshalb denn? Allerdings wird sich die Mög¬ lichkeit eines Cabinets Laster-Bamberger-Richter selbst ein Fortschrittler nicht ohne Heiterkeit vorstellen können, allein zur Partei zählen ja noch andre Per¬ sönlichkeiten. Weshalb also nicht regieren wollen? Weil man die Verantwort¬ lichkeit scheut und lieber unverantwortliche Reden hält? Was heißt aber dann „Parlamentarisches Regiment?" Auf der Ministerbank eine Reihe subaltern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/337>, abgerufen am 29.04.2024.