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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Kanzlerkrisis.

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^MAeit ich Ihnen das letztemal schrieb, hat die Situation ein andres,
erheblich ernsteres Gesicht angenommen. Die Erfolge der extremen
liberalen Parteien erscheinen jetzt, wo die Ergebnisse der Stich¬
wahlen sich genau übersehen lassen, größer, die Verluste der
Mittelparteien schmerzlicher als vor acht Tagen. Der Entschluß
des Kanzlers, zurückzutreten und andern das Regieren mit einer Minorität zu
überlassen, ist als feststehend anzusehen -- das heißt für den Fall, daß sich
kühne und selbstbewußte Politiker finden, die auf den Zuruf: "Da habt ihr's,
nun regiert!" das Steuerruder zu ergreifen und ihr Heil zu versuchen bereit sind.

Die Mittelparteien der Freiconservntiven und der Nationalliberalen haben
zusammen 40 Sitze verloren, die erstem alle ihre Führer. Die Fortschrittspartei
hat 28, die ihr nahe verwandte Gruppe der Secessionisten 23 Mandate erobert.
Die Gruppen Schauß-Volk und Löwe-Berger sind ganz verschwunden. Der
Reichstag wird 57 Deutsch- und 26 Freiconservative, 98 Mitglieder des Cen¬
trums, 9 welfisch Gesinnte, die bei letzterm hospitiren, 47 Nativnallibercile,
43 Secessionisten, 66 Fvrtschrittsleute, 8 Angehörige der radical-partieularistischeu
Volkspartei Süddeutschlands, 6 Liberale von unbestimmter Färbung, 13 Social¬
demokraten, 16 Polen, 16 elsaß-lothringische Protestier und 2 Dänen ausweisen.
Angesichts dieser Zahlen ist nicht nur die aus Conservativen und gemäßigten
Liberalen zusammengesetzte Regierungsmehrheit unmöglich geworden, ans die man
vor den Wahlen hoffen konnte, sondern auch die Combination der conservativen
Parteien mit dem Centrum zu einer solchen Majorität, die man noch vor einigen
Tagen für möglich hielt. Denn zu einer derartigen Mehrheit würden 199
Stimmen gehören, die Zusammenzählung derjenigen des Centrums mit denen
der beiden conservativen Fmctivne" ergiebt aber nur 180.


Grenzboten IV. 1881. 44


Die Kanzlerkrisis.

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^MAeit ich Ihnen das letztemal schrieb, hat die Situation ein andres,
erheblich ernsteres Gesicht angenommen. Die Erfolge der extremen
liberalen Parteien erscheinen jetzt, wo die Ergebnisse der Stich¬
wahlen sich genau übersehen lassen, größer, die Verluste der
Mittelparteien schmerzlicher als vor acht Tagen. Der Entschluß
des Kanzlers, zurückzutreten und andern das Regieren mit einer Minorität zu
überlassen, ist als feststehend anzusehen — das heißt für den Fall, daß sich
kühne und selbstbewußte Politiker finden, die auf den Zuruf: „Da habt ihr's,
nun regiert!" das Steuerruder zu ergreifen und ihr Heil zu versuchen bereit sind.

Die Mittelparteien der Freiconservntiven und der Nationalliberalen haben
zusammen 40 Sitze verloren, die erstem alle ihre Führer. Die Fortschrittspartei
hat 28, die ihr nahe verwandte Gruppe der Secessionisten 23 Mandate erobert.
Die Gruppen Schauß-Volk und Löwe-Berger sind ganz verschwunden. Der
Reichstag wird 57 Deutsch- und 26 Freiconservative, 98 Mitglieder des Cen¬
trums, 9 welfisch Gesinnte, die bei letzterm hospitiren, 47 Nativnallibercile,
43 Secessionisten, 66 Fvrtschrittsleute, 8 Angehörige der radical-partieularistischeu
Volkspartei Süddeutschlands, 6 Liberale von unbestimmter Färbung, 13 Social¬
demokraten, 16 Polen, 16 elsaß-lothringische Protestier und 2 Dänen ausweisen.
Angesichts dieser Zahlen ist nicht nur die aus Conservativen und gemäßigten
Liberalen zusammengesetzte Regierungsmehrheit unmöglich geworden, ans die man
vor den Wahlen hoffen konnte, sondern auch die Combination der conservativen
Parteien mit dem Centrum zu einer solchen Majorität, die man noch vor einigen
Tagen für möglich hielt. Denn zu einer derartigen Mehrheit würden 199
Stimmen gehören, die Zusammenzählung derjenigen des Centrums mit denen
der beiden conservativen Fmctivne» ergiebt aber nur 180.


Grenzboten IV. 1881. 44
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[0347] [Abbildung] Die Kanzlerkrisis. ^-^4.^5) ^MAeit ich Ihnen das letztemal schrieb, hat die Situation ein andres, erheblich ernsteres Gesicht angenommen. Die Erfolge der extremen liberalen Parteien erscheinen jetzt, wo die Ergebnisse der Stich¬ wahlen sich genau übersehen lassen, größer, die Verluste der Mittelparteien schmerzlicher als vor acht Tagen. Der Entschluß des Kanzlers, zurückzutreten und andern das Regieren mit einer Minorität zu überlassen, ist als feststehend anzusehen — das heißt für den Fall, daß sich kühne und selbstbewußte Politiker finden, die auf den Zuruf: „Da habt ihr's, nun regiert!" das Steuerruder zu ergreifen und ihr Heil zu versuchen bereit sind. Die Mittelparteien der Freiconservntiven und der Nationalliberalen haben zusammen 40 Sitze verloren, die erstem alle ihre Führer. Die Fortschrittspartei hat 28, die ihr nahe verwandte Gruppe der Secessionisten 23 Mandate erobert. Die Gruppen Schauß-Volk und Löwe-Berger sind ganz verschwunden. Der Reichstag wird 57 Deutsch- und 26 Freiconservative, 98 Mitglieder des Cen¬ trums, 9 welfisch Gesinnte, die bei letzterm hospitiren, 47 Nativnallibercile, 43 Secessionisten, 66 Fvrtschrittsleute, 8 Angehörige der radical-partieularistischeu Volkspartei Süddeutschlands, 6 Liberale von unbestimmter Färbung, 13 Social¬ demokraten, 16 Polen, 16 elsaß-lothringische Protestier und 2 Dänen ausweisen. Angesichts dieser Zahlen ist nicht nur die aus Conservativen und gemäßigten Liberalen zusammengesetzte Regierungsmehrheit unmöglich geworden, ans die man vor den Wahlen hoffen konnte, sondern auch die Combination der conservativen Parteien mit dem Centrum zu einer solchen Majorität, die man noch vor einigen Tagen für möglich hielt. Denn zu einer derartigen Mehrheit würden 199 Stimmen gehören, die Zusammenzählung derjenigen des Centrums mit denen der beiden conservativen Fmctivne» ergiebt aber nur 180. Grenzboten IV. 1881. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/347>, abgerufen am 28.04.2024.