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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Juden in Rumänien.
i.

le nachfolgenden Schilderungen entnehmen wir auszugsweise ver¬
schiedene" Capiteln der uns kürzlich zugegangenen Schrift: IIu
nnnvLim rv^Mag von EdonardMarbeau(Paris,J.Gervais,Z 881),
in der uns ein guter und allein Anschein nach ""befangener Beob¬
achter in lebendiger lind anschaulicher Weise die Bewohner u"d
die politischen und gesellschaftlichen Zustande Rumäniens schildert, Anwendnnge"
zu machen, Vergleiche anzustellen, Schlüsse zu ziehen unterlasse" wir. Die
Leser werden das selbst thun.

Das erste Capitel behandelt vorzüglich die Geschichte der jetzt zu einem
Königreiche vereinigten Fürstentümer und zeichnet sich durch eine interessante
Charakteristik der politischen Parteien unter den Rumänen aus. Das zweite
beschäftigt sich namentlich mit den Producten und dem Handel Rumäniens, mit
dessen Eisenbahnen und der Schifffahrt aus der Donau. Das dritte sührt uns
nach Jassy und ist hauptsächlich einer Betrachtung der Judenfrnge gewidmet.
Das vierte schildert die Landwirthschaft und die Verhältnisse der Bauern. Das
fünfte kommt nach einigen Notizen über die armenische Colonie in Botosinni
und über die Secte der Lipowcmer nochmals ausführlich auf die Juden zu
sprechen. Im sechsten beschreibt uns der Verfasser einige rumänische Klöster,
im siebenten führt er uns in die Salzrcgion von Okua und in das Bad
Slcmik, und im achten betreten wir mit ihm, die Grenze überschreitend, Sieben¬
bürgen und das Land der Szekler. Ans Jassh berichtet der Verfasser u. a.i

"Diese reiche und malerische Stadt ist wohl geeignet, den nach einer Heimat
suchenden Juden die Erinnerung an ihre alte heilige Stadt wachzurufen. In to¬
pographischer Beziehung hat sie sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Jerusalem.
Wie dieses, liegt sie auf einer langgestreckten, sanft abfallenden Hochfläche, be¬
herrscht die nach dem Pruth sich hinstreckenden Thäler, aber statt verödeter
Landschaft und kahlen, dürren Hügeln sehen wir hier die den Gesichtskreis ab¬
schließenden Berge mit Wald bedeckt und mit den mächtigen Mauern alter Klöster
gekrönt, und die Gefilde zeigen eine unvergleichliche Fruchtbarkeit. . . .

Ich war an einem Sonnabend in Jassy eingetroffen. So unsauber und ab¬
stoßend die Juden mit ihren verschwitzten und zerlumpten Röcken und Hüten und
ihrer schmutzigen Wäsche an Werkeltagen sind, am Schabbes legen sie bessere
Kleider an, die ihnen ein eigenthümliches, fast geistliches Aussehen verleihen. In
seinem langen, schwarzen Koftan, der wie eine Sontane fast bis auf die Fersen reicht
und von einem wollenen Gürtel umschlossen wird, mit der großen Pelzmütze oder
dem breitrandigen Schlapphutc, unter dem ein schwarzes Sammetkäppchen hervor¬
sieht, aus welchem an den Schläfen lange Ringellocken heransqucllen, macht der


Die Juden in Rumänien.
i.

le nachfolgenden Schilderungen entnehmen wir auszugsweise ver¬
schiedene» Capiteln der uns kürzlich zugegangenen Schrift: IIu
nnnvLim rv^Mag von EdonardMarbeau(Paris,J.Gervais,Z 881),
in der uns ein guter und allein Anschein nach »»befangener Beob¬
achter in lebendiger lind anschaulicher Weise die Bewohner u»d
die politischen und gesellschaftlichen Zustande Rumäniens schildert, Anwendnnge»
zu machen, Vergleiche anzustellen, Schlüsse zu ziehen unterlasse» wir. Die
Leser werden das selbst thun.

Das erste Capitel behandelt vorzüglich die Geschichte der jetzt zu einem
Königreiche vereinigten Fürstentümer und zeichnet sich durch eine interessante
Charakteristik der politischen Parteien unter den Rumänen aus. Das zweite
beschäftigt sich namentlich mit den Producten und dem Handel Rumäniens, mit
dessen Eisenbahnen und der Schifffahrt aus der Donau. Das dritte sührt uns
nach Jassy und ist hauptsächlich einer Betrachtung der Judenfrnge gewidmet.
Das vierte schildert die Landwirthschaft und die Verhältnisse der Bauern. Das
fünfte kommt nach einigen Notizen über die armenische Colonie in Botosinni
und über die Secte der Lipowcmer nochmals ausführlich auf die Juden zu
sprechen. Im sechsten beschreibt uns der Verfasser einige rumänische Klöster,
im siebenten führt er uns in die Salzrcgion von Okua und in das Bad
Slcmik, und im achten betreten wir mit ihm, die Grenze überschreitend, Sieben¬
bürgen und das Land der Szekler. Ans Jassh berichtet der Verfasser u. a.i

„Diese reiche und malerische Stadt ist wohl geeignet, den nach einer Heimat
suchenden Juden die Erinnerung an ihre alte heilige Stadt wachzurufen. In to¬
pographischer Beziehung hat sie sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Jerusalem.
Wie dieses, liegt sie auf einer langgestreckten, sanft abfallenden Hochfläche, be¬
herrscht die nach dem Pruth sich hinstreckenden Thäler, aber statt verödeter
Landschaft und kahlen, dürren Hügeln sehen wir hier die den Gesichtskreis ab¬
schließenden Berge mit Wald bedeckt und mit den mächtigen Mauern alter Klöster
gekrönt, und die Gefilde zeigen eine unvergleichliche Fruchtbarkeit. . . .

Ich war an einem Sonnabend in Jassy eingetroffen. So unsauber und ab¬
stoßend die Juden mit ihren verschwitzten und zerlumpten Röcken und Hüten und
ihrer schmutzigen Wäsche an Werkeltagen sind, am Schabbes legen sie bessere
Kleider an, die ihnen ein eigenthümliches, fast geistliches Aussehen verleihen. In
seinem langen, schwarzen Koftan, der wie eine Sontane fast bis auf die Fersen reicht
und von einem wollenen Gürtel umschlossen wird, mit der großen Pelzmütze oder
dem breitrandigen Schlapphutc, unter dem ein schwarzes Sammetkäppchen hervor¬
sieht, aus welchem an den Schläfen lange Ringellocken heransqucllen, macht der


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[0476] Die Juden in Rumänien. i. le nachfolgenden Schilderungen entnehmen wir auszugsweise ver¬ schiedene» Capiteln der uns kürzlich zugegangenen Schrift: IIu nnnvLim rv^Mag von EdonardMarbeau(Paris,J.Gervais,Z 881), in der uns ein guter und allein Anschein nach »»befangener Beob¬ achter in lebendiger lind anschaulicher Weise die Bewohner u»d die politischen und gesellschaftlichen Zustande Rumäniens schildert, Anwendnnge» zu machen, Vergleiche anzustellen, Schlüsse zu ziehen unterlasse» wir. Die Leser werden das selbst thun. Das erste Capitel behandelt vorzüglich die Geschichte der jetzt zu einem Königreiche vereinigten Fürstentümer und zeichnet sich durch eine interessante Charakteristik der politischen Parteien unter den Rumänen aus. Das zweite beschäftigt sich namentlich mit den Producten und dem Handel Rumäniens, mit dessen Eisenbahnen und der Schifffahrt aus der Donau. Das dritte sührt uns nach Jassy und ist hauptsächlich einer Betrachtung der Judenfrnge gewidmet. Das vierte schildert die Landwirthschaft und die Verhältnisse der Bauern. Das fünfte kommt nach einigen Notizen über die armenische Colonie in Botosinni und über die Secte der Lipowcmer nochmals ausführlich auf die Juden zu sprechen. Im sechsten beschreibt uns der Verfasser einige rumänische Klöster, im siebenten führt er uns in die Salzrcgion von Okua und in das Bad Slcmik, und im achten betreten wir mit ihm, die Grenze überschreitend, Sieben¬ bürgen und das Land der Szekler. Ans Jassh berichtet der Verfasser u. a.i „Diese reiche und malerische Stadt ist wohl geeignet, den nach einer Heimat suchenden Juden die Erinnerung an ihre alte heilige Stadt wachzurufen. In to¬ pographischer Beziehung hat sie sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Jerusalem. Wie dieses, liegt sie auf einer langgestreckten, sanft abfallenden Hochfläche, be¬ herrscht die nach dem Pruth sich hinstreckenden Thäler, aber statt verödeter Landschaft und kahlen, dürren Hügeln sehen wir hier die den Gesichtskreis ab¬ schließenden Berge mit Wald bedeckt und mit den mächtigen Mauern alter Klöster gekrönt, und die Gefilde zeigen eine unvergleichliche Fruchtbarkeit. . . . Ich war an einem Sonnabend in Jassy eingetroffen. So unsauber und ab¬ stoßend die Juden mit ihren verschwitzten und zerlumpten Röcken und Hüten und ihrer schmutzigen Wäsche an Werkeltagen sind, am Schabbes legen sie bessere Kleider an, die ihnen ein eigenthümliches, fast geistliches Aussehen verleihen. In seinem langen, schwarzen Koftan, der wie eine Sontane fast bis auf die Fersen reicht und von einem wollenen Gürtel umschlossen wird, mit der großen Pelzmütze oder dem breitrandigen Schlapphutc, unter dem ein schwarzes Sammetkäppchen hervor¬ sieht, aus welchem an den Schläfen lange Ringellocken heransqucllen, macht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/476>, abgerufen am 29.04.2024.