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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die angekündigte Reform im Lehrplane der Gymnasien.

on Zeit zu Zeit durchläuft die Zeitungen die Mittheilung, die
lange erwartete Aenderung des Gyinnasiallehrplanes werde dem¬
nächst ganz oder wenigstens theilweise ins Leben treten, und wenn
die Angaben über die Einzelheiten der Aenderung auch von ein¬
ander abweichen, so stimmen sie doch darin alle überein, daß es
sich um eine herzustellende Gleichheit des Lchrplanes der Gymnasien und Real¬
schulen in den drei untern Klassen handele und daß deshalb, von andern noth¬
wendigen Aenderungen abgesehen, der griechische Unterricht anstatt wie bisher
in Quarta, erst in Tertia beginnen solle. Bifurkation nennt man dieses System,
bei denen wie aus einem gemeinsamen Stamme die beiden Zweige der Gym¬
nasial- und Realschnlbildung herauswachse" würden.

Der Gedanke ist nicht ne". Schon auf der Landesschulcouserenz, welche
der Minister Ladenberg im Frühjahr 1849 zusammenberief, wurde er von dem
Ministerium selbst vorgelegt und von den allermeisten Mitgliedern der Con-
ferenz gut geheißen. In der That springt der praktische Nutzen der Einrichtung
in die Augen. Jetzt, wo in den Gymnasien in Sexta und Quinta zehn Stunden
Latein und in der letztern Klasse drei Stunden Französisch, in der Realschule
in Sexta acht Stunden Latein, in Quinta sechs Stunden Latein und fünf
Stunden Französisch getrieben wird, ist schon in den untersten Klassen der
Uebergang von der einen Art der Anstalten zur andern nicht leicht, und in
Quarta, wo auf den Gymnasien mit sechs Stunden die griechische Sprache ein¬
tritt, die auf der Realschule ganz fehlt, wird diese Schwierigkeit noch wesentlich
gesteigert. Dagegen würde die neue Einrichtung mindestens bis zum zwölften
Jahre den Eltern freie Wahl lassen, für welche Art der Anstalten sie sich nach
Neigung und Anlage ihrer Kinder entscheiden wollen. Aber auch von idealeren
Gesichtspunkte aus fand die damalige Landesschuleonferenz die Einrichtung em¬
pfehlenswert!): mau fand es förderlicher für die Gesammtbildung des Volkes,
daß nicht so früh eine Trennung des Unterrichts und damit eine Scheidung
der Stände eintrete. Trotzdem that der Leiter des höhern Schulwesens in
Preußen, Geheimrath Wiese, nichts, um die von dem Ministerium selbst empfohlene
Einrichtung ins Leben treten zu lassen. Die Realschulen entwickelten sich, sie
wurden mit einem neuenLehrplane ausgerüstet, die Anforderungen wurden gesteigert,
die Rechte vermehrt, aber von Sexta ab blieb ihr Lehrplan ein andrer, und ein
Zusammenhang mit den Gymnasien, wie er an einzelnen Anstalten Hannovers
durchgeführt wurde, trat nicht ein. Die pädagogische Literatur der fünfziger
und sechziger Jahre erklärte sich im ganzen mit dem Vorgehen des Ministeriums


Grenzboten IV. 1881. 70
Die angekündigte Reform im Lehrplane der Gymnasien.

on Zeit zu Zeit durchläuft die Zeitungen die Mittheilung, die
lange erwartete Aenderung des Gyinnasiallehrplanes werde dem¬
nächst ganz oder wenigstens theilweise ins Leben treten, und wenn
die Angaben über die Einzelheiten der Aenderung auch von ein¬
ander abweichen, so stimmen sie doch darin alle überein, daß es
sich um eine herzustellende Gleichheit des Lchrplanes der Gymnasien und Real¬
schulen in den drei untern Klassen handele und daß deshalb, von andern noth¬
wendigen Aenderungen abgesehen, der griechische Unterricht anstatt wie bisher
in Quarta, erst in Tertia beginnen solle. Bifurkation nennt man dieses System,
bei denen wie aus einem gemeinsamen Stamme die beiden Zweige der Gym¬
nasial- und Realschnlbildung herauswachse» würden.

Der Gedanke ist nicht ne». Schon auf der Landesschulcouserenz, welche
der Minister Ladenberg im Frühjahr 1849 zusammenberief, wurde er von dem
Ministerium selbst vorgelegt und von den allermeisten Mitgliedern der Con-
ferenz gut geheißen. In der That springt der praktische Nutzen der Einrichtung
in die Augen. Jetzt, wo in den Gymnasien in Sexta und Quinta zehn Stunden
Latein und in der letztern Klasse drei Stunden Französisch, in der Realschule
in Sexta acht Stunden Latein, in Quinta sechs Stunden Latein und fünf
Stunden Französisch getrieben wird, ist schon in den untersten Klassen der
Uebergang von der einen Art der Anstalten zur andern nicht leicht, und in
Quarta, wo auf den Gymnasien mit sechs Stunden die griechische Sprache ein¬
tritt, die auf der Realschule ganz fehlt, wird diese Schwierigkeit noch wesentlich
gesteigert. Dagegen würde die neue Einrichtung mindestens bis zum zwölften
Jahre den Eltern freie Wahl lassen, für welche Art der Anstalten sie sich nach
Neigung und Anlage ihrer Kinder entscheiden wollen. Aber auch von idealeren
Gesichtspunkte aus fand die damalige Landesschuleonferenz die Einrichtung em¬
pfehlenswert!): mau fand es förderlicher für die Gesammtbildung des Volkes,
daß nicht so früh eine Trennung des Unterrichts und damit eine Scheidung
der Stände eintrete. Trotzdem that der Leiter des höhern Schulwesens in
Preußen, Geheimrath Wiese, nichts, um die von dem Ministerium selbst empfohlene
Einrichtung ins Leben treten zu lassen. Die Realschulen entwickelten sich, sie
wurden mit einem neuenLehrplane ausgerüstet, die Anforderungen wurden gesteigert,
die Rechte vermehrt, aber von Sexta ab blieb ihr Lehrplan ein andrer, und ein
Zusammenhang mit den Gymnasien, wie er an einzelnen Anstalten Hannovers
durchgeführt wurde, trat nicht ein. Die pädagogische Literatur der fünfziger
und sechziger Jahre erklärte sich im ganzen mit dem Vorgehen des Ministeriums


Grenzboten IV. 1881. 70
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[0555] Die angekündigte Reform im Lehrplane der Gymnasien. on Zeit zu Zeit durchläuft die Zeitungen die Mittheilung, die lange erwartete Aenderung des Gyinnasiallehrplanes werde dem¬ nächst ganz oder wenigstens theilweise ins Leben treten, und wenn die Angaben über die Einzelheiten der Aenderung auch von ein¬ ander abweichen, so stimmen sie doch darin alle überein, daß es sich um eine herzustellende Gleichheit des Lchrplanes der Gymnasien und Real¬ schulen in den drei untern Klassen handele und daß deshalb, von andern noth¬ wendigen Aenderungen abgesehen, der griechische Unterricht anstatt wie bisher in Quarta, erst in Tertia beginnen solle. Bifurkation nennt man dieses System, bei denen wie aus einem gemeinsamen Stamme die beiden Zweige der Gym¬ nasial- und Realschnlbildung herauswachse» würden. Der Gedanke ist nicht ne». Schon auf der Landesschulcouserenz, welche der Minister Ladenberg im Frühjahr 1849 zusammenberief, wurde er von dem Ministerium selbst vorgelegt und von den allermeisten Mitgliedern der Con- ferenz gut geheißen. In der That springt der praktische Nutzen der Einrichtung in die Augen. Jetzt, wo in den Gymnasien in Sexta und Quinta zehn Stunden Latein und in der letztern Klasse drei Stunden Französisch, in der Realschule in Sexta acht Stunden Latein, in Quinta sechs Stunden Latein und fünf Stunden Französisch getrieben wird, ist schon in den untersten Klassen der Uebergang von der einen Art der Anstalten zur andern nicht leicht, und in Quarta, wo auf den Gymnasien mit sechs Stunden die griechische Sprache ein¬ tritt, die auf der Realschule ganz fehlt, wird diese Schwierigkeit noch wesentlich gesteigert. Dagegen würde die neue Einrichtung mindestens bis zum zwölften Jahre den Eltern freie Wahl lassen, für welche Art der Anstalten sie sich nach Neigung und Anlage ihrer Kinder entscheiden wollen. Aber auch von idealeren Gesichtspunkte aus fand die damalige Landesschuleonferenz die Einrichtung em¬ pfehlenswert!): mau fand es förderlicher für die Gesammtbildung des Volkes, daß nicht so früh eine Trennung des Unterrichts und damit eine Scheidung der Stände eintrete. Trotzdem that der Leiter des höhern Schulwesens in Preußen, Geheimrath Wiese, nichts, um die von dem Ministerium selbst empfohlene Einrichtung ins Leben treten zu lassen. Die Realschulen entwickelten sich, sie wurden mit einem neuenLehrplane ausgerüstet, die Anforderungen wurden gesteigert, die Rechte vermehrt, aber von Sexta ab blieb ihr Lehrplan ein andrer, und ein Zusammenhang mit den Gymnasien, wie er an einzelnen Anstalten Hannovers durchgeführt wurde, trat nicht ein. Die pädagogische Literatur der fünfziger und sechziger Jahre erklärte sich im ganzen mit dem Vorgehen des Ministeriums Grenzboten IV. 1881. 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/555>, abgerufen am 29.04.2024.