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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die angekündigte Reform im Lehrplane der Gymnasien,

in dieser Frage einverstanden, und auch die von dem Minister Falk im October
1873 berufene Conferenz zur Erörterung von Fragen des höhern Schulwesens
zeigte, daß die Fachmänner sich mehr und mehr derselben Ansicht zuneigten.
Auch hier wurde zwar von einzelnen Seiten der Wunsch laut, daß der Lehr¬
plan der beide" Anstalten möglichst lange derselbe bleiben möchte, einige Mit¬
glieder wollten sogar die Scheidung erst von Sekunda oder Prima ab eintreten
lassen. Aber weil die vielen wünschenswerth erscheinende Gleichheit der Vor¬
bildung aller Gebildeten doch nicht erreicht wird, wenn nur in den untern
Klassen der Unterricht gleich ist und weil die streitige Frage, ob ferner die
Gymnasien allein die Berechtigung zum Studiuni der Medicin, der Jurispru¬
denz u. s. w, geben sollen, dnrch die fragliche Einrichtung gar nicht berührt
wird, so sprach sich die große Mehrheit für die völlige Scheidung beider Arten
von Bildungsanstalten ans. Die Schwierigkeiten, eine Gleichheit der Anstalten
auch nur in den drei untern Klassen herzustellen, ohne daß eine von beiden
Arten in ihrem Charakter und ihren Zielen, wie sie sich dermalen entwickelt
hatten, geschädigt würde, erschiene" zu groß.

Wenn trotzdem die Leiter ""sres Schulwesens jetzt auf den Gedanken der
Bifurkativn zurückkommen, so bestimmt sie wohl in erster Linie die Rücksicht,
daß die Zahl der Realschulen auch in solchen Städten, welche daneben ein
Gymnasium haben, in den letzten Jahrzehnten sehr gewachsen ist. In mehr als
5V Städten Preußens bestehen gegenwärtig beide Arten von Anstalten neben
einander, und damit ist auch der Nutzen weit größer geworden, den die Mög¬
lichkeit zwischen beiden zu wechseln gewährt. Denn wenn nur eine Art von
Anstalten in einer Stadt existirt, so sind die Eltern gezwungen, ihre Kinder,
um ihnen den Besuch der andern Art zu ermöglichen, auswärts in Pension zu
geben, wozu sie sich in der Regel schwer entschließen. Aber die Abänderung
des Lehrplanes soll zugleich einem Mangel der Gymnasien abhelfen. Mit dem
neunten Jahre beginnen unsre.Knaben eine fremde Sprache, die lateinische, zu
lernen; dazu tritt im folgenden Jahre als zweite die französische, und wenn
die Knaben, was doch wünschenswerth ist und was auch die große Mehrzahl
thut, regelmäßig fortschreite", so treiben sie mit dem elften Jahre drei fremde
Sprachen neben einander, wozu noch als neue, schwierige Disciplin die
Mathematik kommt. Darin liegt unleugbar eine gewisse Ueberbürdmig, deren
nachtheiliger Einfluß sich auch darin zeigt, daß in keiner Klasse so viele Schüler
hinter dem Klassenziele zurückbleiben und die Versetzung in der normalen Zeit
nicht erreichen wie in Quarta. So lange der Unterricht im Französischen in
Tertia begann, existirte dieser Uebelstand nicht. Dazu kommt noch ein andrer
Nachtheil, der ebenfalls mit der Erweiterung des französischen Unterrichts und
seinem Beginn in der Quinta zusammenhängt. In Sexta und Quinta und
ebenso in den beiden Tertien werden jetzt je zwei Stunden Naturgeschichte ge¬
trieben, an welche sich dann in den Sekunden mit einer, in Prima mit zwei


Die angekündigte Reform im Lehrplane der Gymnasien,

in dieser Frage einverstanden, und auch die von dem Minister Falk im October
1873 berufene Conferenz zur Erörterung von Fragen des höhern Schulwesens
zeigte, daß die Fachmänner sich mehr und mehr derselben Ansicht zuneigten.
Auch hier wurde zwar von einzelnen Seiten der Wunsch laut, daß der Lehr¬
plan der beide» Anstalten möglichst lange derselbe bleiben möchte, einige Mit¬
glieder wollten sogar die Scheidung erst von Sekunda oder Prima ab eintreten
lassen. Aber weil die vielen wünschenswerth erscheinende Gleichheit der Vor¬
bildung aller Gebildeten doch nicht erreicht wird, wenn nur in den untern
Klassen der Unterricht gleich ist und weil die streitige Frage, ob ferner die
Gymnasien allein die Berechtigung zum Studiuni der Medicin, der Jurispru¬
denz u. s. w, geben sollen, dnrch die fragliche Einrichtung gar nicht berührt
wird, so sprach sich die große Mehrheit für die völlige Scheidung beider Arten
von Bildungsanstalten ans. Die Schwierigkeiten, eine Gleichheit der Anstalten
auch nur in den drei untern Klassen herzustellen, ohne daß eine von beiden
Arten in ihrem Charakter und ihren Zielen, wie sie sich dermalen entwickelt
hatten, geschädigt würde, erschiene» zu groß.

Wenn trotzdem die Leiter »»sres Schulwesens jetzt auf den Gedanken der
Bifurkativn zurückkommen, so bestimmt sie wohl in erster Linie die Rücksicht,
daß die Zahl der Realschulen auch in solchen Städten, welche daneben ein
Gymnasium haben, in den letzten Jahrzehnten sehr gewachsen ist. In mehr als
5V Städten Preußens bestehen gegenwärtig beide Arten von Anstalten neben
einander, und damit ist auch der Nutzen weit größer geworden, den die Mög¬
lichkeit zwischen beiden zu wechseln gewährt. Denn wenn nur eine Art von
Anstalten in einer Stadt existirt, so sind die Eltern gezwungen, ihre Kinder,
um ihnen den Besuch der andern Art zu ermöglichen, auswärts in Pension zu
geben, wozu sie sich in der Regel schwer entschließen. Aber die Abänderung
des Lehrplanes soll zugleich einem Mangel der Gymnasien abhelfen. Mit dem
neunten Jahre beginnen unsre.Knaben eine fremde Sprache, die lateinische, zu
lernen; dazu tritt im folgenden Jahre als zweite die französische, und wenn
die Knaben, was doch wünschenswerth ist und was auch die große Mehrzahl
thut, regelmäßig fortschreite», so treiben sie mit dem elften Jahre drei fremde
Sprachen neben einander, wozu noch als neue, schwierige Disciplin die
Mathematik kommt. Darin liegt unleugbar eine gewisse Ueberbürdmig, deren
nachtheiliger Einfluß sich auch darin zeigt, daß in keiner Klasse so viele Schüler
hinter dem Klassenziele zurückbleiben und die Versetzung in der normalen Zeit
nicht erreichen wie in Quarta. So lange der Unterricht im Französischen in
Tertia begann, existirte dieser Uebelstand nicht. Dazu kommt noch ein andrer
Nachtheil, der ebenfalls mit der Erweiterung des französischen Unterrichts und
seinem Beginn in der Quinta zusammenhängt. In Sexta und Quinta und
ebenso in den beiden Tertien werden jetzt je zwei Stunden Naturgeschichte ge¬
trieben, an welche sich dann in den Sekunden mit einer, in Prima mit zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/556>, abgerufen am 15.05.2024.