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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ethnologie und Echik,

Ratification hat nicht stattgefunden. Man crivartet, daß der Kaiser Alexander,
welcher die Bedingungen ebenfalls unzulässig gefunden hat, dahin gelangen wird,
eine Ermäßigung der Kriegssteuer und die Abänderung mehrerer anderen lästigen
Artikel zu erreichen, z, B. der Beschränkung der Truppen auf vierzigtausend Maun
und der Bestimmung über die Personen aus den im Tilsiter Vertrage abgetretenen
Provinzen. Da Napoleon an der Erhaltung des Friedens im Norden liegen muß,
so wird die Intervention des Kaisers Alexander wirksam sein können.

Es ist nicht unmöglich, daß der Kaiser Napoleon die Angelegenheiten Spa¬
niens vertagt und Oesterreich angreift, doch ist es nicht wahrscheinlich, wenn man
nach den officiellen Documenten urtheilen darf, die im Senate verlesen worden
sind, wo der Kaiser Napoleon sich mit Wärme über die Nothwendigkeit für die
Interessen Frankreichs, Spanien zu unterwerfen, ausgesprochen hat.

Was die Haltung betrifft, die wir zu beobachten haben, so scheint sie mir
sehr einfach zu sein. Wenn Oesterreich den Krieg beginnt, muß es mit Kraft auf¬
treten, Truppen bilden und Aufstände hervorrufen ; indem wir das abwarten, müssen
wir alles vermeiden, was bei deu Frauzosen Verdacht erregen kann, welche uns
jetzt mit großer Sorgfalt überwache" werde". Der Marschall Davoust ist übrigens
sehr streng und gewaltthätig, und wir haben von ihm nichts gutes zu erwarten.

Wir müssen immer unter den Truppen und der Bevölkerung des Landes den
Geist des Widerstandes und die Neigung erhalten, sich der guten Sache zu weihen.
Bewahren Sie infolge dessen ihre Verbindungen mit den Oesterreichern, versichern
Sie denselben bei allen Gelegenheiten, daß wir bei der Rettung Deutschlands mit¬
zuwirken geneigt, und daß die von den Franzosen verbreiteten Gerüchte vou einer
Vereinigung mit ihnen falsch sind.

Die Allianz, die wir ihnen um 11. (richtiger 12.) August anzubieten ent¬
schlossen waren, ist von dem Prinzen Wilhelm nicht vorgeschlagen worden, weil
vor der Ankunft der Depeschen, d. h. dem 24., 2k>. und 26. August, Napoleon
schon die Unterhandlung hatte wieder nukuüpfeu lassen."

Scharnhorst hatte Tiedemann mit einem Empfehlungsbriefe versehen, in
welchem auf mündliche Aufschlüsse, die Götzen durch den Ucberbringcr erhalten
würde, hingewiesen wurde.




Ethnologie und Ethik"

ur die philosophische Betrachtung bietet unsre Zeit ein merkwür¬
diges Bild. Während auf der einen Seite der Materialismus
jede Erkenntuißtheorie als unnützen Ballast verwirft und unter
angeblicher Verwendung rein empirischer Forschungen sich eine
einheitliche Weltanschauung zu construiren bemüht, sehen wir im
entgegengesetzten Lager eine speculative Richtung ohnmächtig gegen den immer
stärker werdenden Andrang des naturwissenschaftlichen Materials ankämpfen, das


Ethnologie und Echik,

Ratification hat nicht stattgefunden. Man crivartet, daß der Kaiser Alexander,
welcher die Bedingungen ebenfalls unzulässig gefunden hat, dahin gelangen wird,
eine Ermäßigung der Kriegssteuer und die Abänderung mehrerer anderen lästigen
Artikel zu erreichen, z, B. der Beschränkung der Truppen auf vierzigtausend Maun
und der Bestimmung über die Personen aus den im Tilsiter Vertrage abgetretenen
Provinzen. Da Napoleon an der Erhaltung des Friedens im Norden liegen muß,
so wird die Intervention des Kaisers Alexander wirksam sein können.

Es ist nicht unmöglich, daß der Kaiser Napoleon die Angelegenheiten Spa¬
niens vertagt und Oesterreich angreift, doch ist es nicht wahrscheinlich, wenn man
nach den officiellen Documenten urtheilen darf, die im Senate verlesen worden
sind, wo der Kaiser Napoleon sich mit Wärme über die Nothwendigkeit für die
Interessen Frankreichs, Spanien zu unterwerfen, ausgesprochen hat.

Was die Haltung betrifft, die wir zu beobachten haben, so scheint sie mir
sehr einfach zu sein. Wenn Oesterreich den Krieg beginnt, muß es mit Kraft auf¬
treten, Truppen bilden und Aufstände hervorrufen ; indem wir das abwarten, müssen
wir alles vermeiden, was bei deu Frauzosen Verdacht erregen kann, welche uns
jetzt mit großer Sorgfalt überwache» werde». Der Marschall Davoust ist übrigens
sehr streng und gewaltthätig, und wir haben von ihm nichts gutes zu erwarten.

Wir müssen immer unter den Truppen und der Bevölkerung des Landes den
Geist des Widerstandes und die Neigung erhalten, sich der guten Sache zu weihen.
Bewahren Sie infolge dessen ihre Verbindungen mit den Oesterreichern, versichern
Sie denselben bei allen Gelegenheiten, daß wir bei der Rettung Deutschlands mit¬
zuwirken geneigt, und daß die von den Franzosen verbreiteten Gerüchte vou einer
Vereinigung mit ihnen falsch sind.

Die Allianz, die wir ihnen um 11. (richtiger 12.) August anzubieten ent¬
schlossen waren, ist von dem Prinzen Wilhelm nicht vorgeschlagen worden, weil
vor der Ankunft der Depeschen, d. h. dem 24., 2k>. und 26. August, Napoleon
schon die Unterhandlung hatte wieder nukuüpfeu lassen."

Scharnhorst hatte Tiedemann mit einem Empfehlungsbriefe versehen, in
welchem auf mündliche Aufschlüsse, die Götzen durch den Ucberbringcr erhalten
würde, hingewiesen wurde.




Ethnologie und Ethik»

ur die philosophische Betrachtung bietet unsre Zeit ein merkwür¬
diges Bild. Während auf der einen Seite der Materialismus
jede Erkenntuißtheorie als unnützen Ballast verwirft und unter
angeblicher Verwendung rein empirischer Forschungen sich eine
einheitliche Weltanschauung zu construiren bemüht, sehen wir im
entgegengesetzten Lager eine speculative Richtung ohnmächtig gegen den immer
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[0076] Ethnologie und Echik, Ratification hat nicht stattgefunden. Man crivartet, daß der Kaiser Alexander, welcher die Bedingungen ebenfalls unzulässig gefunden hat, dahin gelangen wird, eine Ermäßigung der Kriegssteuer und die Abänderung mehrerer anderen lästigen Artikel zu erreichen, z, B. der Beschränkung der Truppen auf vierzigtausend Maun und der Bestimmung über die Personen aus den im Tilsiter Vertrage abgetretenen Provinzen. Da Napoleon an der Erhaltung des Friedens im Norden liegen muß, so wird die Intervention des Kaisers Alexander wirksam sein können. Es ist nicht unmöglich, daß der Kaiser Napoleon die Angelegenheiten Spa¬ niens vertagt und Oesterreich angreift, doch ist es nicht wahrscheinlich, wenn man nach den officiellen Documenten urtheilen darf, die im Senate verlesen worden sind, wo der Kaiser Napoleon sich mit Wärme über die Nothwendigkeit für die Interessen Frankreichs, Spanien zu unterwerfen, ausgesprochen hat. Was die Haltung betrifft, die wir zu beobachten haben, so scheint sie mir sehr einfach zu sein. Wenn Oesterreich den Krieg beginnt, muß es mit Kraft auf¬ treten, Truppen bilden und Aufstände hervorrufen ; indem wir das abwarten, müssen wir alles vermeiden, was bei deu Frauzosen Verdacht erregen kann, welche uns jetzt mit großer Sorgfalt überwache» werde». Der Marschall Davoust ist übrigens sehr streng und gewaltthätig, und wir haben von ihm nichts gutes zu erwarten. Wir müssen immer unter den Truppen und der Bevölkerung des Landes den Geist des Widerstandes und die Neigung erhalten, sich der guten Sache zu weihen. Bewahren Sie infolge dessen ihre Verbindungen mit den Oesterreichern, versichern Sie denselben bei allen Gelegenheiten, daß wir bei der Rettung Deutschlands mit¬ zuwirken geneigt, und daß die von den Franzosen verbreiteten Gerüchte vou einer Vereinigung mit ihnen falsch sind. Die Allianz, die wir ihnen um 11. (richtiger 12.) August anzubieten ent¬ schlossen waren, ist von dem Prinzen Wilhelm nicht vorgeschlagen worden, weil vor der Ankunft der Depeschen, d. h. dem 24., 2k>. und 26. August, Napoleon schon die Unterhandlung hatte wieder nukuüpfeu lassen." Scharnhorst hatte Tiedemann mit einem Empfehlungsbriefe versehen, in welchem auf mündliche Aufschlüsse, die Götzen durch den Ucberbringcr erhalten würde, hingewiesen wurde. Ethnologie und Ethik» ur die philosophische Betrachtung bietet unsre Zeit ein merkwür¬ diges Bild. Während auf der einen Seite der Materialismus jede Erkenntuißtheorie als unnützen Ballast verwirft und unter angeblicher Verwendung rein empirischer Forschungen sich eine einheitliche Weltanschauung zu construiren bemüht, sehen wir im entgegengesetzten Lager eine speculative Richtung ohnmächtig gegen den immer stärker werdenden Andrang des naturwissenschaftlichen Materials ankämpfen, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/76>, abgerufen am 29.04.2024.