Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Theatererinnerung.

andern Selbst geworden ist, daß man ihm solche Trivialität als rühmliche Ent¬
haltsamkeit anrechnen muß, eignet sich überhaupt nicht zum Novellisten. Er
sollte bei seinem Leisten bleiben, von dem er sich entfernt auf die Gefahr hin,
die alten Freunde zu verlieren, ohne neue zu gewinnen. Er warte seinem lach¬
begierigen Kreise mit alten und neuen "Harmlosigkeiten und Rücksichtslosigkeiten"
ans. Durch die für einen boshaften Kritiker stauuenswert naive Verkennung
der einfachsten Regeln, die sich auf das gegenseitig bedingende Verhältnis von
Stoff und Gattung erstrecken, zieht er sich ähnliche Rücksichtslosigkeiten zu.

(Schluß folgt.)




Eine Theatererinnerung.
Bei Gelegenheit des letzten Grenzbotenartikels über die Meininger.,

Als Deutschland im Jahre 1859 dem Andenken Schillers die noch in aller
Erinnerung stehende großartige Ovation brachte, befand ich mich als blutjunger
Buchhandlungslehrling in S.........., das damals noch Grenzstadt gegen Frank¬
reich war. Natürlich hatten auch wir unsern Festzug mit Fahnen, Reden, Em¬
blemen, weißgekleideten Jungfrauen, und es war alles sehr schön. Der Glanz-
Punkt aber war eine Theatervorstellung, die abends in dem großen Saale eines
dicht vor der Stadt gelegenen Vierlokals von statten ging. Eine Anzahl jugend¬
licher Kunstenthusiasten, vorwiegend Primaner des Gymnasiums, hatten sich
verschwöre,:, den fünften Akt des Don Karlos und Wallensteins Lager auszu-
führen. Leider fehlte es an Damen, und wenn es auch leicht war, für die
Gustel von Blnsewitz einen ausgezeichneten Interpreten in der Gestalt meines
kurzen, dicken, allezeit lustigen Freundes Emil K. zu finden, so war doch Holland
in Not wegen einer Darstellerin der Lilie von Valois, denn die jungen Damen
aus den "guten" Familien des ehrsamen Nestes würden es höchst "KoKinA ge¬
funden haben, öffentlich aufzutreten, während es eine geradezu unlösbare Auf¬
gabe gewesen wäre, einem vielleicht weniger spröden Bürgermädchen ihr "pnlzer"
Deutsch abzugewöhnen und sie für das tönende Pathos Schillerscher Jamben
abzurichten. Doch mit den Mutigen ist das Glück. Der Direktor einer herum¬
ziehenden "Schmiere" half aus der Not. Er lieferte nicht uur eine jugendliche
Liebhaberin, welche in knisternder Rosaseide mit züchtig geschminkten Wangen
in echtester Theaterdeklamation das Menschenmögliche leistete, sondern er selbst
sprang in die Bresche als -- Regisseur für das "Lager." An Bühnentechnik


Line Theatererinnerung.

andern Selbst geworden ist, daß man ihm solche Trivialität als rühmliche Ent¬
haltsamkeit anrechnen muß, eignet sich überhaupt nicht zum Novellisten. Er
sollte bei seinem Leisten bleiben, von dem er sich entfernt auf die Gefahr hin,
die alten Freunde zu verlieren, ohne neue zu gewinnen. Er warte seinem lach¬
begierigen Kreise mit alten und neuen „Harmlosigkeiten und Rücksichtslosigkeiten"
ans. Durch die für einen boshaften Kritiker stauuenswert naive Verkennung
der einfachsten Regeln, die sich auf das gegenseitig bedingende Verhältnis von
Stoff und Gattung erstrecken, zieht er sich ähnliche Rücksichtslosigkeiten zu.

(Schluß folgt.)




Eine Theatererinnerung.
Bei Gelegenheit des letzten Grenzbotenartikels über die Meininger.,

Als Deutschland im Jahre 1859 dem Andenken Schillers die noch in aller
Erinnerung stehende großartige Ovation brachte, befand ich mich als blutjunger
Buchhandlungslehrling in S.........., das damals noch Grenzstadt gegen Frank¬
reich war. Natürlich hatten auch wir unsern Festzug mit Fahnen, Reden, Em¬
blemen, weißgekleideten Jungfrauen, und es war alles sehr schön. Der Glanz-
Punkt aber war eine Theatervorstellung, die abends in dem großen Saale eines
dicht vor der Stadt gelegenen Vierlokals von statten ging. Eine Anzahl jugend¬
licher Kunstenthusiasten, vorwiegend Primaner des Gymnasiums, hatten sich
verschwöre,:, den fünften Akt des Don Karlos und Wallensteins Lager auszu-
führen. Leider fehlte es an Damen, und wenn es auch leicht war, für die
Gustel von Blnsewitz einen ausgezeichneten Interpreten in der Gestalt meines
kurzen, dicken, allezeit lustigen Freundes Emil K. zu finden, so war doch Holland
in Not wegen einer Darstellerin der Lilie von Valois, denn die jungen Damen
aus den „guten" Familien des ehrsamen Nestes würden es höchst «KoKinA ge¬
funden haben, öffentlich aufzutreten, während es eine geradezu unlösbare Auf¬
gabe gewesen wäre, einem vielleicht weniger spröden Bürgermädchen ihr „pnlzer"
Deutsch abzugewöhnen und sie für das tönende Pathos Schillerscher Jamben
abzurichten. Doch mit den Mutigen ist das Glück. Der Direktor einer herum¬
ziehenden „Schmiere" half aus der Not. Er lieferte nicht uur eine jugendliche
Liebhaberin, welche in knisternder Rosaseide mit züchtig geschminkten Wangen
in echtester Theaterdeklamation das Menschenmögliche leistete, sondern er selbst
sprang in die Bresche als — Regisseur für das „Lager." An Bühnentechnik


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193616"/>
            <fw type="header" place="top"> Line Theatererinnerung.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_880" prev="#ID_879"> andern Selbst geworden ist, daß man ihm solche Trivialität als rühmliche Ent¬<lb/>
haltsamkeit anrechnen muß, eignet sich überhaupt nicht zum Novellisten. Er<lb/>
sollte bei seinem Leisten bleiben, von dem er sich entfernt auf die Gefahr hin,<lb/>
die alten Freunde zu verlieren, ohne neue zu gewinnen. Er warte seinem lach¬<lb/>
begierigen Kreise mit alten und neuen &#x201E;Harmlosigkeiten und Rücksichtslosigkeiten"<lb/>
ans. Durch die für einen boshaften Kritiker stauuenswert naive Verkennung<lb/>
der einfachsten Regeln, die sich auf das gegenseitig bedingende Verhältnis von<lb/>
Stoff und Gattung erstrecken, zieht er sich ähnliche Rücksichtslosigkeiten zu.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_881"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Eine Theatererinnerung.<lb/>
Bei Gelegenheit des letzten Grenzbotenartikels über die Meininger., </head><lb/>
          <p xml:id="ID_882" next="#ID_883"> Als Deutschland im Jahre 1859 dem Andenken Schillers die noch in aller<lb/>
Erinnerung stehende großartige Ovation brachte, befand ich mich als blutjunger<lb/>
Buchhandlungslehrling in S.........., das damals noch Grenzstadt gegen Frank¬<lb/>
reich war. Natürlich hatten auch wir unsern Festzug mit Fahnen, Reden, Em¬<lb/>
blemen, weißgekleideten Jungfrauen, und es war alles sehr schön. Der Glanz-<lb/>
Punkt aber war eine Theatervorstellung, die abends in dem großen Saale eines<lb/>
dicht vor der Stadt gelegenen Vierlokals von statten ging. Eine Anzahl jugend¬<lb/>
licher Kunstenthusiasten, vorwiegend Primaner des Gymnasiums, hatten sich<lb/>
verschwöre,:, den fünften Akt des Don Karlos und Wallensteins Lager auszu-<lb/>
führen. Leider fehlte es an Damen, und wenn es auch leicht war, für die<lb/>
Gustel von Blnsewitz einen ausgezeichneten Interpreten in der Gestalt meines<lb/>
kurzen, dicken, allezeit lustigen Freundes Emil K. zu finden, so war doch Holland<lb/>
in Not wegen einer Darstellerin der Lilie von Valois, denn die jungen Damen<lb/>
aus den &#x201E;guten" Familien des ehrsamen Nestes würden es höchst «KoKinA ge¬<lb/>
funden haben, öffentlich aufzutreten, während es eine geradezu unlösbare Auf¬<lb/>
gabe gewesen wäre, einem vielleicht weniger spröden Bürgermädchen ihr &#x201E;pnlzer"<lb/>
Deutsch abzugewöhnen und sie für das tönende Pathos Schillerscher Jamben<lb/>
abzurichten. Doch mit den Mutigen ist das Glück. Der Direktor einer herum¬<lb/>
ziehenden &#x201E;Schmiere" half aus der Not. Er lieferte nicht uur eine jugendliche<lb/>
Liebhaberin, welche in knisternder Rosaseide mit züchtig geschminkten Wangen<lb/>
in echtester Theaterdeklamation das Menschenmögliche leistete, sondern er selbst<lb/>
sprang in die Bresche als &#x2014; Regisseur für das &#x201E;Lager."  An Bühnentechnik</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] Line Theatererinnerung. andern Selbst geworden ist, daß man ihm solche Trivialität als rühmliche Ent¬ haltsamkeit anrechnen muß, eignet sich überhaupt nicht zum Novellisten. Er sollte bei seinem Leisten bleiben, von dem er sich entfernt auf die Gefahr hin, die alten Freunde zu verlieren, ohne neue zu gewinnen. Er warte seinem lach¬ begierigen Kreise mit alten und neuen „Harmlosigkeiten und Rücksichtslosigkeiten" ans. Durch die für einen boshaften Kritiker stauuenswert naive Verkennung der einfachsten Regeln, die sich auf das gegenseitig bedingende Verhältnis von Stoff und Gattung erstrecken, zieht er sich ähnliche Rücksichtslosigkeiten zu. (Schluß folgt.) Eine Theatererinnerung. Bei Gelegenheit des letzten Grenzbotenartikels über die Meininger., Als Deutschland im Jahre 1859 dem Andenken Schillers die noch in aller Erinnerung stehende großartige Ovation brachte, befand ich mich als blutjunger Buchhandlungslehrling in S.........., das damals noch Grenzstadt gegen Frank¬ reich war. Natürlich hatten auch wir unsern Festzug mit Fahnen, Reden, Em¬ blemen, weißgekleideten Jungfrauen, und es war alles sehr schön. Der Glanz- Punkt aber war eine Theatervorstellung, die abends in dem großen Saale eines dicht vor der Stadt gelegenen Vierlokals von statten ging. Eine Anzahl jugend¬ licher Kunstenthusiasten, vorwiegend Primaner des Gymnasiums, hatten sich verschwöre,:, den fünften Akt des Don Karlos und Wallensteins Lager auszu- führen. Leider fehlte es an Damen, und wenn es auch leicht war, für die Gustel von Blnsewitz einen ausgezeichneten Interpreten in der Gestalt meines kurzen, dicken, allezeit lustigen Freundes Emil K. zu finden, so war doch Holland in Not wegen einer Darstellerin der Lilie von Valois, denn die jungen Damen aus den „guten" Familien des ehrsamen Nestes würden es höchst «KoKinA ge¬ funden haben, öffentlich aufzutreten, während es eine geradezu unlösbare Auf¬ gabe gewesen wäre, einem vielleicht weniger spröden Bürgermädchen ihr „pnlzer" Deutsch abzugewöhnen und sie für das tönende Pathos Schillerscher Jamben abzurichten. Doch mit den Mutigen ist das Glück. Der Direktor einer herum¬ ziehenden „Schmiere" half aus der Not. Er lieferte nicht uur eine jugendliche Liebhaberin, welche in knisternder Rosaseide mit züchtig geschminkten Wangen in echtester Theaterdeklamation das Menschenmögliche leistete, sondern er selbst sprang in die Bresche als — Regisseur für das „Lager." An Bühnentechnik

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/275>, abgerufen am 05.05.2024.