Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das heutige Feuilleton.

sprechenden Formen früherer Zeiten erscheinen wie Nußschalen gegen mächtige
Segelschiffe. Wir schweigen von den wie üppiges Unkraut wuchernden Novellen; es
möchte unbillig sein, die Sünden unbekannter Schmierer, deren Erzeugnisse im
Ernst nicht zur Literatur zu rechnen sind, der ganzen Gattung zur Last zu
legen, die sich wirklich eigenartig reich entwickelt hat. In der That haben sich
unsre gute" Novellisten, Heyse, Wilbrandt, Storm, Gottfried Keller, Wilhelm
Raabe, Imsen, Fontane von den gerügten Zeitnngslastern frei gehalten.
Über die eigentümliche Erscheinung, die, zwischen Novelle, Roman, Schauer¬
geschichte und anekdotenhaften Erlebnis hin- und wiederschielend, ein unentbehr¬
licher Bestandteil der heutigen Feuilletonfütternng geworden ist, wollen wir noch
sprechen. Doch können wirs uns nicht versagen, als ein Beispiel für viele,
eine sogenannnte Novelle, Paul Lindaus neuestes Werk: "Herr und Frau
Bewer," das bezeichnend binnen kurzem fünf Auflagen erlebt hat, nachdem es
in "Nord und Süd" bereits vielfach gen offen ist, als Beispiel jener feuille-
tonistischen, sein wollenden Novelle anzuführen. Lindau, der in "allen Branchen
bewanderte Handlnngsreisende," hat es fertig gebracht, in diesem Erzeugnis den
dürftigen Stoff eines pikanten, sozialgesellschaftlichen Feuilletons nach der
Weise des Berliner Montagsblattes zu eiuer langatmigen, seitenrcichen,
und doch, dank mannichfacher, amüsanter Kunstkniffchen, kurzweiligen Novelle
auszuspinnen. Er erläutert die neue Wahrheit, daß zu einer glücklichen Ehe
nicht Gleichheit des Standes und der Geburt, sondern Gleichheit der Bil¬
dung, der geistigen und sittlichen (?) gehören, an einem Anekdötchen (anders
kann murs beim besten Willen nicht nennen) von einem deutschen Millionär
ans Sumatra, der sich mitten aus zweideutigem Walhallakulissentreibeu heraus
in eine Heirat mit einer Chansonettensängerin niedern Grades stürzt; natürlich
füllt diese "Liebesehe" wegen Bildungsungleichheit unglücklich ans. In einem
zierlichen Feuilletonartikel mit kalauernder Bosheit vorgetragen möchte sich das
Geschichtchen als komische Möglichkeit leidlich amüsant ausgenommen haben; aber
es gefällt Herrn Lindau, dies winzige Problemchen zu einer rührenden Herzens-
gcschichte aufzubauschen und nach allen Regeln fenilletonistischer Kleinkunst mit
umständlich kleinlichen Federstrichen auszuzeichnen. Den armen Leser mutet solch
aufdringlich aufgetakelte Nichtigkeit an, wie ein zu den Mnßverhültnissen der
großen Historie hinaufgeschraubtes Genrebildchen; das Krabbeln und Zappeln
kleinlicher Regungen, das Lindau für seelische Entwicklung ausgeben möchte,
dünkt ihm so spaßhaft kurios wie ein Wassertropfen unter dem Mikroskop; er
wird weder kalt noch warm dabei, erlustigt sich anf Kosten des gutmütigen
Helden, über dessen thörichte Sentimentalität er sich ärgert, und hält sich im
übrigen an die kleinen und großen Kulisfenspüße, die der gefällige Verfasser zur
Erholung freigebig bereit hält. Ein Kritiker hat rühmend hervorgehoben, daß
Lindau hier sogar Kalauer habe unterdrücken können, wo sie nicht hingehören;
aber Kalauer gehören überhaupt nicht in die Novelle. Wein Kalauern so zum


Das heutige Feuilleton.

sprechenden Formen früherer Zeiten erscheinen wie Nußschalen gegen mächtige
Segelschiffe. Wir schweigen von den wie üppiges Unkraut wuchernden Novellen; es
möchte unbillig sein, die Sünden unbekannter Schmierer, deren Erzeugnisse im
Ernst nicht zur Literatur zu rechnen sind, der ganzen Gattung zur Last zu
legen, die sich wirklich eigenartig reich entwickelt hat. In der That haben sich
unsre gute» Novellisten, Heyse, Wilbrandt, Storm, Gottfried Keller, Wilhelm
Raabe, Imsen, Fontane von den gerügten Zeitnngslastern frei gehalten.
Über die eigentümliche Erscheinung, die, zwischen Novelle, Roman, Schauer¬
geschichte und anekdotenhaften Erlebnis hin- und wiederschielend, ein unentbehr¬
licher Bestandteil der heutigen Feuilletonfütternng geworden ist, wollen wir noch
sprechen. Doch können wirs uns nicht versagen, als ein Beispiel für viele,
eine sogenannnte Novelle, Paul Lindaus neuestes Werk: „Herr und Frau
Bewer," das bezeichnend binnen kurzem fünf Auflagen erlebt hat, nachdem es
in „Nord und Süd" bereits vielfach gen offen ist, als Beispiel jener feuille-
tonistischen, sein wollenden Novelle anzuführen. Lindau, der in „allen Branchen
bewanderte Handlnngsreisende," hat es fertig gebracht, in diesem Erzeugnis den
dürftigen Stoff eines pikanten, sozialgesellschaftlichen Feuilletons nach der
Weise des Berliner Montagsblattes zu eiuer langatmigen, seitenrcichen,
und doch, dank mannichfacher, amüsanter Kunstkniffchen, kurzweiligen Novelle
auszuspinnen. Er erläutert die neue Wahrheit, daß zu einer glücklichen Ehe
nicht Gleichheit des Standes und der Geburt, sondern Gleichheit der Bil¬
dung, der geistigen und sittlichen (?) gehören, an einem Anekdötchen (anders
kann murs beim besten Willen nicht nennen) von einem deutschen Millionär
ans Sumatra, der sich mitten aus zweideutigem Walhallakulissentreibeu heraus
in eine Heirat mit einer Chansonettensängerin niedern Grades stürzt; natürlich
füllt diese „Liebesehe" wegen Bildungsungleichheit unglücklich ans. In einem
zierlichen Feuilletonartikel mit kalauernder Bosheit vorgetragen möchte sich das
Geschichtchen als komische Möglichkeit leidlich amüsant ausgenommen haben; aber
es gefällt Herrn Lindau, dies winzige Problemchen zu einer rührenden Herzens-
gcschichte aufzubauschen und nach allen Regeln fenilletonistischer Kleinkunst mit
umständlich kleinlichen Federstrichen auszuzeichnen. Den armen Leser mutet solch
aufdringlich aufgetakelte Nichtigkeit an, wie ein zu den Mnßverhültnissen der
großen Historie hinaufgeschraubtes Genrebildchen; das Krabbeln und Zappeln
kleinlicher Regungen, das Lindau für seelische Entwicklung ausgeben möchte,
dünkt ihm so spaßhaft kurios wie ein Wassertropfen unter dem Mikroskop; er
wird weder kalt noch warm dabei, erlustigt sich anf Kosten des gutmütigen
Helden, über dessen thörichte Sentimentalität er sich ärgert, und hält sich im
übrigen an die kleinen und großen Kulisfenspüße, die der gefällige Verfasser zur
Erholung freigebig bereit hält. Ein Kritiker hat rühmend hervorgehoben, daß
Lindau hier sogar Kalauer habe unterdrücken können, wo sie nicht hingehören;
aber Kalauer gehören überhaupt nicht in die Novelle. Wein Kalauern so zum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193615"/>
            <fw type="header" place="top"> Das heutige Feuilleton.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878" next="#ID_880"> sprechenden Formen früherer Zeiten erscheinen wie Nußschalen gegen mächtige<lb/>
Segelschiffe. Wir schweigen von den wie üppiges Unkraut wuchernden Novellen; es<lb/>
möchte unbillig sein, die Sünden unbekannter Schmierer, deren Erzeugnisse im<lb/>
Ernst nicht zur Literatur zu rechnen sind, der ganzen Gattung zur Last zu<lb/>
legen, die sich wirklich eigenartig reich entwickelt hat. In der That haben sich<lb/>
unsre gute» Novellisten, Heyse, Wilbrandt, Storm, Gottfried Keller, Wilhelm<lb/>
Raabe, Imsen, Fontane von den gerügten Zeitnngslastern frei gehalten.<lb/>
Über die eigentümliche Erscheinung, die, zwischen Novelle, Roman, Schauer¬<lb/>
geschichte und anekdotenhaften Erlebnis hin- und wiederschielend, ein unentbehr¬<lb/>
licher Bestandteil der heutigen Feuilletonfütternng geworden ist, wollen wir noch<lb/>
sprechen. Doch können wirs uns nicht versagen, als ein Beispiel für viele,<lb/>
eine sogenannnte Novelle, Paul Lindaus neuestes Werk: &#x201E;Herr und Frau<lb/>
Bewer," das bezeichnend binnen kurzem fünf Auflagen erlebt hat, nachdem es<lb/>
in &#x201E;Nord und Süd" bereits vielfach gen offen ist, als Beispiel jener feuille-<lb/>
tonistischen, sein wollenden Novelle anzuführen. Lindau, der in &#x201E;allen Branchen<lb/>
bewanderte Handlnngsreisende," hat es fertig gebracht, in diesem Erzeugnis den<lb/>
dürftigen Stoff eines pikanten, sozialgesellschaftlichen Feuilletons nach der<lb/>
Weise des Berliner Montagsblattes zu eiuer langatmigen, seitenrcichen,<lb/>
und doch, dank mannichfacher, amüsanter Kunstkniffchen, kurzweiligen Novelle<lb/>
auszuspinnen. Er erläutert die neue Wahrheit, daß zu einer glücklichen Ehe<lb/>
nicht Gleichheit des Standes und der Geburt, sondern Gleichheit der Bil¬<lb/>
dung, der geistigen und sittlichen (?) gehören, an einem Anekdötchen (anders<lb/>
kann murs beim besten Willen nicht nennen) von einem deutschen Millionär<lb/>
ans Sumatra, der sich mitten aus zweideutigem Walhallakulissentreibeu heraus<lb/>
in eine Heirat mit einer Chansonettensängerin niedern Grades stürzt; natürlich<lb/>
füllt diese &#x201E;Liebesehe" wegen Bildungsungleichheit unglücklich ans. In einem<lb/>
zierlichen Feuilletonartikel mit kalauernder Bosheit vorgetragen möchte sich das<lb/>
Geschichtchen als komische Möglichkeit leidlich amüsant ausgenommen haben; aber<lb/>
es gefällt Herrn Lindau, dies winzige Problemchen zu einer rührenden Herzens-<lb/>
gcschichte aufzubauschen und nach allen Regeln fenilletonistischer Kleinkunst mit<lb/>
umständlich kleinlichen Federstrichen auszuzeichnen. Den armen Leser mutet solch<lb/>
aufdringlich aufgetakelte Nichtigkeit an, wie ein zu den Mnßverhültnissen der<lb/>
großen Historie hinaufgeschraubtes Genrebildchen; das Krabbeln und Zappeln<lb/>
kleinlicher Regungen, das Lindau für seelische Entwicklung ausgeben möchte,<lb/>
dünkt ihm so spaßhaft kurios wie ein Wassertropfen unter dem Mikroskop; er<lb/>
wird weder kalt noch warm dabei, erlustigt sich anf Kosten des gutmütigen<lb/>
Helden, über dessen thörichte Sentimentalität er sich ärgert, und hält sich im<lb/>
übrigen an die kleinen und großen Kulisfenspüße, die der gefällige Verfasser zur<lb/>
Erholung freigebig bereit hält. Ein Kritiker hat rühmend hervorgehoben, daß<lb/>
Lindau hier sogar Kalauer habe unterdrücken können, wo sie nicht hingehören;<lb/>
aber Kalauer gehören überhaupt nicht in die Novelle. Wein Kalauern so zum</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] Das heutige Feuilleton. sprechenden Formen früherer Zeiten erscheinen wie Nußschalen gegen mächtige Segelschiffe. Wir schweigen von den wie üppiges Unkraut wuchernden Novellen; es möchte unbillig sein, die Sünden unbekannter Schmierer, deren Erzeugnisse im Ernst nicht zur Literatur zu rechnen sind, der ganzen Gattung zur Last zu legen, die sich wirklich eigenartig reich entwickelt hat. In der That haben sich unsre gute» Novellisten, Heyse, Wilbrandt, Storm, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Imsen, Fontane von den gerügten Zeitnngslastern frei gehalten. Über die eigentümliche Erscheinung, die, zwischen Novelle, Roman, Schauer¬ geschichte und anekdotenhaften Erlebnis hin- und wiederschielend, ein unentbehr¬ licher Bestandteil der heutigen Feuilletonfütternng geworden ist, wollen wir noch sprechen. Doch können wirs uns nicht versagen, als ein Beispiel für viele, eine sogenannnte Novelle, Paul Lindaus neuestes Werk: „Herr und Frau Bewer," das bezeichnend binnen kurzem fünf Auflagen erlebt hat, nachdem es in „Nord und Süd" bereits vielfach gen offen ist, als Beispiel jener feuille- tonistischen, sein wollenden Novelle anzuführen. Lindau, der in „allen Branchen bewanderte Handlnngsreisende," hat es fertig gebracht, in diesem Erzeugnis den dürftigen Stoff eines pikanten, sozialgesellschaftlichen Feuilletons nach der Weise des Berliner Montagsblattes zu eiuer langatmigen, seitenrcichen, und doch, dank mannichfacher, amüsanter Kunstkniffchen, kurzweiligen Novelle auszuspinnen. Er erläutert die neue Wahrheit, daß zu einer glücklichen Ehe nicht Gleichheit des Standes und der Geburt, sondern Gleichheit der Bil¬ dung, der geistigen und sittlichen (?) gehören, an einem Anekdötchen (anders kann murs beim besten Willen nicht nennen) von einem deutschen Millionär ans Sumatra, der sich mitten aus zweideutigem Walhallakulissentreibeu heraus in eine Heirat mit einer Chansonettensängerin niedern Grades stürzt; natürlich füllt diese „Liebesehe" wegen Bildungsungleichheit unglücklich ans. In einem zierlichen Feuilletonartikel mit kalauernder Bosheit vorgetragen möchte sich das Geschichtchen als komische Möglichkeit leidlich amüsant ausgenommen haben; aber es gefällt Herrn Lindau, dies winzige Problemchen zu einer rührenden Herzens- gcschichte aufzubauschen und nach allen Regeln fenilletonistischer Kleinkunst mit umständlich kleinlichen Federstrichen auszuzeichnen. Den armen Leser mutet solch aufdringlich aufgetakelte Nichtigkeit an, wie ein zu den Mnßverhültnissen der großen Historie hinaufgeschraubtes Genrebildchen; das Krabbeln und Zappeln kleinlicher Regungen, das Lindau für seelische Entwicklung ausgeben möchte, dünkt ihm so spaßhaft kurios wie ein Wassertropfen unter dem Mikroskop; er wird weder kalt noch warm dabei, erlustigt sich anf Kosten des gutmütigen Helden, über dessen thörichte Sentimentalität er sich ärgert, und hält sich im übrigen an die kleinen und großen Kulisfenspüße, die der gefällige Verfasser zur Erholung freigebig bereit hält. Ein Kritiker hat rühmend hervorgehoben, daß Lindau hier sogar Kalauer habe unterdrücken können, wo sie nicht hingehören; aber Kalauer gehören überhaupt nicht in die Novelle. Wein Kalauern so zum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/274>, abgerufen am 24.05.2024.