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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Mttenberger pastoralkonferenz.

cum wir unter den vielen im Laufe eines Jahres abgehaltenen
Konferenzen in diesen Blattern auf die am 26. nud 27. Juni in
Wittenberg veranstaltete Pastoralkonserenz aufmerksam machen,
so geschieht es, weil dieselbe in der That eine signifikante und
erfreuliche Zeiterscheinung ist. Es handelte sich in derselben um
eine Kundgebung gegen das Überwuchert! der Parteiinteressen unter Vetouung
der eigentlich Pastoralen Aufgaben. Wir möchten dies Unternehmen in jetziger
Zeit, welche dem äußersten Parteigetriebe verfallen zu sein scheint, ein Gesun¬
dungssymptom nennen und wünschen, daß sich auch auf andern Gebieten, na¬
mentlich dem politischen, ähnliche Erscheinungen zeigen möchten.

Es ist nicht zu bestreiten, unser gesmnmtes öffentliches Leben steht nnter
der Herrschaft der Partei. Was wahr ist oder falsch, ersprießlich oder uner¬
sprießlich, wird weniger durch objektives Urteil oder die Erfahrung, als durch
den Parteivorteil entschieden. Nach taktischen Gesichtspunkten Verfahren heißt
nnr zu oft: im Interesse der Partei die Dinge auf den Kopf stellen. Man hat
sogar das Axiom, daß jede gute Sache sich durch Gegensätze durchkämpfen
müsse -- via" Hegels Thesis und Antithesis. In Praxi pflegt der guten Sache
dabei die Haut abgeschuudeu, pflegen viele gute Kräfte nutzlos vergeudet zu
werden. Die Entscheidung aber erfolgt -- dnrch Majorität, also darnach,
wie die einzelnen Parteien sich, ihren Spezialinteressen folgend, gerade gruppirt
haben. Das siud bedenkliche Erscheinungen, die einem Staatsmanne wie Bis-
marck wohl das Recht geben, von dem Marasmus der Partei zu sprechen und
die zersplitterten Kräfte zu wahrhaft nationalem Dienste aufzubieten.

Wenn auf kirchlichem Gebiete das Parteitreuen nur verhältnismäßig enge
Kreise in Mitleidenschaft gezogen hat, die Pnstoreu und eine Anzahl den kirch¬
lichen Fragen nahestehender Laien, so sind die Wirkungen doch nicht weniger be¬
klagenswert als auf dem oben bezeichneten Gebiete. Die Beteiligten, welche gerade
in uusern Tagen dringliche und schwierige Aufgaben der Volkserziehung zu erledige"
haben, verlieren über dem Streiten nur zu leicht die Klarheit und Weite des
Blickes, die Wärme des Willens und den Schwung der That. Es kommt hinzu,
daß die Gemeinden, welche die streitigen Pnnkte absolut uicht verstehen, irre
werdeu, wenn sie lesen, wie diese hervorragende und jene verehrungswürdige
Person mit einander Krieg führen. Es muß doch der eine oder andere von
ihnen Unrecht haben, sie müssen doch das nicht wirklich sein, wofür man sie gehalten;
sonst würden sie nicht so bittere Sachen einander vorwerfen.

In der Provinz Sachsen bestanden seit längerer Zeit die Richtungen der
Konfessionelle" und der Unirten, Parteien, die ihren Ursprung aus der Be-


Die Mttenberger pastoralkonferenz.

cum wir unter den vielen im Laufe eines Jahres abgehaltenen
Konferenzen in diesen Blattern auf die am 26. nud 27. Juni in
Wittenberg veranstaltete Pastoralkonserenz aufmerksam machen,
so geschieht es, weil dieselbe in der That eine signifikante und
erfreuliche Zeiterscheinung ist. Es handelte sich in derselben um
eine Kundgebung gegen das Überwuchert! der Parteiinteressen unter Vetouung
der eigentlich Pastoralen Aufgaben. Wir möchten dies Unternehmen in jetziger
Zeit, welche dem äußersten Parteigetriebe verfallen zu sein scheint, ein Gesun¬
dungssymptom nennen und wünschen, daß sich auch auf andern Gebieten, na¬
mentlich dem politischen, ähnliche Erscheinungen zeigen möchten.

Es ist nicht zu bestreiten, unser gesmnmtes öffentliches Leben steht nnter
der Herrschaft der Partei. Was wahr ist oder falsch, ersprießlich oder uner¬
sprießlich, wird weniger durch objektives Urteil oder die Erfahrung, als durch
den Parteivorteil entschieden. Nach taktischen Gesichtspunkten Verfahren heißt
nnr zu oft: im Interesse der Partei die Dinge auf den Kopf stellen. Man hat
sogar das Axiom, daß jede gute Sache sich durch Gegensätze durchkämpfen
müsse — via« Hegels Thesis und Antithesis. In Praxi pflegt der guten Sache
dabei die Haut abgeschuudeu, pflegen viele gute Kräfte nutzlos vergeudet zu
werden. Die Entscheidung aber erfolgt — dnrch Majorität, also darnach,
wie die einzelnen Parteien sich, ihren Spezialinteressen folgend, gerade gruppirt
haben. Das siud bedenkliche Erscheinungen, die einem Staatsmanne wie Bis-
marck wohl das Recht geben, von dem Marasmus der Partei zu sprechen und
die zersplitterten Kräfte zu wahrhaft nationalem Dienste aufzubieten.

Wenn auf kirchlichem Gebiete das Parteitreuen nur verhältnismäßig enge
Kreise in Mitleidenschaft gezogen hat, die Pnstoreu und eine Anzahl den kirch¬
lichen Fragen nahestehender Laien, so sind die Wirkungen doch nicht weniger be¬
klagenswert als auf dem oben bezeichneten Gebiete. Die Beteiligten, welche gerade
in uusern Tagen dringliche und schwierige Aufgaben der Volkserziehung zu erledige»
haben, verlieren über dem Streiten nur zu leicht die Klarheit und Weite des
Blickes, die Wärme des Willens und den Schwung der That. Es kommt hinzu,
daß die Gemeinden, welche die streitigen Pnnkte absolut uicht verstehen, irre
werdeu, wenn sie lesen, wie diese hervorragende und jene verehrungswürdige
Person mit einander Krieg führen. Es muß doch der eine oder andere von
ihnen Unrecht haben, sie müssen doch das nicht wirklich sein, wofür man sie gehalten;
sonst würden sie nicht so bittere Sachen einander vorwerfen.

In der Provinz Sachsen bestanden seit längerer Zeit die Richtungen der
Konfessionelle« und der Unirten, Parteien, die ihren Ursprung aus der Be-


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[0093] Die Mttenberger pastoralkonferenz. cum wir unter den vielen im Laufe eines Jahres abgehaltenen Konferenzen in diesen Blattern auf die am 26. nud 27. Juni in Wittenberg veranstaltete Pastoralkonserenz aufmerksam machen, so geschieht es, weil dieselbe in der That eine signifikante und erfreuliche Zeiterscheinung ist. Es handelte sich in derselben um eine Kundgebung gegen das Überwuchert! der Parteiinteressen unter Vetouung der eigentlich Pastoralen Aufgaben. Wir möchten dies Unternehmen in jetziger Zeit, welche dem äußersten Parteigetriebe verfallen zu sein scheint, ein Gesun¬ dungssymptom nennen und wünschen, daß sich auch auf andern Gebieten, na¬ mentlich dem politischen, ähnliche Erscheinungen zeigen möchten. Es ist nicht zu bestreiten, unser gesmnmtes öffentliches Leben steht nnter der Herrschaft der Partei. Was wahr ist oder falsch, ersprießlich oder uner¬ sprießlich, wird weniger durch objektives Urteil oder die Erfahrung, als durch den Parteivorteil entschieden. Nach taktischen Gesichtspunkten Verfahren heißt nnr zu oft: im Interesse der Partei die Dinge auf den Kopf stellen. Man hat sogar das Axiom, daß jede gute Sache sich durch Gegensätze durchkämpfen müsse — via« Hegels Thesis und Antithesis. In Praxi pflegt der guten Sache dabei die Haut abgeschuudeu, pflegen viele gute Kräfte nutzlos vergeudet zu werden. Die Entscheidung aber erfolgt — dnrch Majorität, also darnach, wie die einzelnen Parteien sich, ihren Spezialinteressen folgend, gerade gruppirt haben. Das siud bedenkliche Erscheinungen, die einem Staatsmanne wie Bis- marck wohl das Recht geben, von dem Marasmus der Partei zu sprechen und die zersplitterten Kräfte zu wahrhaft nationalem Dienste aufzubieten. Wenn auf kirchlichem Gebiete das Parteitreuen nur verhältnismäßig enge Kreise in Mitleidenschaft gezogen hat, die Pnstoreu und eine Anzahl den kirch¬ lichen Fragen nahestehender Laien, so sind die Wirkungen doch nicht weniger be¬ klagenswert als auf dem oben bezeichneten Gebiete. Die Beteiligten, welche gerade in uusern Tagen dringliche und schwierige Aufgaben der Volkserziehung zu erledige» haben, verlieren über dem Streiten nur zu leicht die Klarheit und Weite des Blickes, die Wärme des Willens und den Schwung der That. Es kommt hinzu, daß die Gemeinden, welche die streitigen Pnnkte absolut uicht verstehen, irre werdeu, wenn sie lesen, wie diese hervorragende und jene verehrungswürdige Person mit einander Krieg führen. Es muß doch der eine oder andere von ihnen Unrecht haben, sie müssen doch das nicht wirklich sein, wofür man sie gehalten; sonst würden sie nicht so bittere Sachen einander vorwerfen. In der Provinz Sachsen bestanden seit längerer Zeit die Richtungen der Konfessionelle« und der Unirten, Parteien, die ihren Ursprung aus der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/93>, abgerufen am 04.05.2024.