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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Programmmusik, Tonmalerei und musikalischer Aolorismus.

dings eingeschränkt, aber sie ist anch nur ein nebensächlicher Zweck. Die wirkliche
Nachahmung des Vvgelgesnngs mag zur Praxis des Vogelstellers gehören oder
ein gesellschaftlicher Scherz sein, als Vorwurf der Kunst ist sie nur von unter¬
geordneter Bedeutung. Ebenso verhält es sich mit der musikalischen Nachbildung
des Meeresrauschens, bei dem wie angedeutet die Nachahmung des regelmäßigen
Wellenschlags eine hervorragende Rolle spielt, während der Gehörseindruck des
anhaltenden Rauschens und Sausens zurücktritt. Stilisirung ist es auch, wenn
Erscheinungen in verkürzter Form, in zeitlicher Zusannneudrängung nachgeahmt
werden, wie z. B. der Aufgang der Sonne, der durch Steigen der Tonhöhe
ausgedrückt werden kann, wie im "Oberen" durch die harmonische" Schritte der
Hörner; die Wirkung ist eine vortreffliche, durchaus entsprechende, obgleich hier
in eine beschränkte Anzahl Takte, d. h. in wenige Minuten ein Eindruck zu¬
sammengedrängt ist, der in Wirklichkeit vielleicht Stunden, jedenfalls Viertel¬
stunden erfordert. Unter steter Berücksichtigung des Prinzips der Stilisirung,
dessen Bedeutung ja nicht zu unterschätzen ist, finden wir also eine reiche Mög¬
lichkeit der Naturnachahmung durch die Musik. Die nächstliegenden Mittel der
Nachahmung sind:

1. Steigen der Tonhöhe für Abwärtsbewegung (Emporsliegen des Vogels,
Sichaufrichten eines Menschen, Wachsen der Bäume ^zusammengedrägtj),
Vorwärtsbewegung, Hellerwerden (vikarirend), überhaupt für positive
Bew egungsformen.
2. Fallen der Tonhöhe für Abwärtsbewegung, Dunkelwerden, Stillwerden,
überhaupt für negative Bewegungsformen.
3. Steigerung der Tonstärke sür positive Entwicklungen aller Art.
4. Minderung der Tonstärke für negative Entwicklungen aller Art.
5. Beschleunigung des Tempos (positiv).
6. Verlangsamung des Tempos (negativ).
7. Steigerung der Figurntion (positiv).
8. Abnahme der Figurntion (negativ).
9. Rhythmische Figuren aller Art zur Nachahmung bestimmter Bewegungs¬
formen (Galopp des Pferdes, Summen des Spinnrades ?e.) überhaupt
Nachahmung der Schallerscheinnngen in nächstliegeuder, direktester Weise.

Zu diesen Mitteln kommt nur, als gewöhnlich bei der Zusammenstellung
derselben übersehen, die Ausbeutung der ästhetischen Wirkung der Klangfarben,
des Kolorits. Dieselbe spielt gerade bei der Naturnachahmung eine hervor¬
ragende Rolle. Ich habe nicht nöthig, die eigenartige Wirkung jedes Instruments
seiner einzelnen Register und seiner sonstigen Klangmodifikation noch mehr hervvr-
zu heben, als ich bereits gethan. Jede Justrnmentntionslehre, besonders die von
Berlioz, die in Originalausgabe deutsch und französisch, sowie in kleinerer Aus¬
gabe deutsch von Dörffel (1864) erschien, giebt Spezialanfschlüsse in Menge.




Programmmusik, Tonmalerei und musikalischer Aolorismus.

dings eingeschränkt, aber sie ist anch nur ein nebensächlicher Zweck. Die wirkliche
Nachahmung des Vvgelgesnngs mag zur Praxis des Vogelstellers gehören oder
ein gesellschaftlicher Scherz sein, als Vorwurf der Kunst ist sie nur von unter¬
geordneter Bedeutung. Ebenso verhält es sich mit der musikalischen Nachbildung
des Meeresrauschens, bei dem wie angedeutet die Nachahmung des regelmäßigen
Wellenschlags eine hervorragende Rolle spielt, während der Gehörseindruck des
anhaltenden Rauschens und Sausens zurücktritt. Stilisirung ist es auch, wenn
Erscheinungen in verkürzter Form, in zeitlicher Zusannneudrängung nachgeahmt
werden, wie z. B. der Aufgang der Sonne, der durch Steigen der Tonhöhe
ausgedrückt werden kann, wie im „Oberen" durch die harmonische» Schritte der
Hörner; die Wirkung ist eine vortreffliche, durchaus entsprechende, obgleich hier
in eine beschränkte Anzahl Takte, d. h. in wenige Minuten ein Eindruck zu¬
sammengedrängt ist, der in Wirklichkeit vielleicht Stunden, jedenfalls Viertel¬
stunden erfordert. Unter steter Berücksichtigung des Prinzips der Stilisirung,
dessen Bedeutung ja nicht zu unterschätzen ist, finden wir also eine reiche Mög¬
lichkeit der Naturnachahmung durch die Musik. Die nächstliegenden Mittel der
Nachahmung sind:

1. Steigen der Tonhöhe für Abwärtsbewegung (Emporsliegen des Vogels,
Sichaufrichten eines Menschen, Wachsen der Bäume ^zusammengedrägtj),
Vorwärtsbewegung, Hellerwerden (vikarirend), überhaupt für positive
Bew egungsformen.
2. Fallen der Tonhöhe für Abwärtsbewegung, Dunkelwerden, Stillwerden,
überhaupt für negative Bewegungsformen.
3. Steigerung der Tonstärke sür positive Entwicklungen aller Art.
4. Minderung der Tonstärke für negative Entwicklungen aller Art.
5. Beschleunigung des Tempos (positiv).
6. Verlangsamung des Tempos (negativ).
7. Steigerung der Figurntion (positiv).
8. Abnahme der Figurntion (negativ).
9. Rhythmische Figuren aller Art zur Nachahmung bestimmter Bewegungs¬
formen (Galopp des Pferdes, Summen des Spinnrades ?e.) überhaupt
Nachahmung der Schallerscheinnngen in nächstliegeuder, direktester Weise.

Zu diesen Mitteln kommt nur, als gewöhnlich bei der Zusammenstellung
derselben übersehen, die Ausbeutung der ästhetischen Wirkung der Klangfarben,
des Kolorits. Dieselbe spielt gerade bei der Naturnachahmung eine hervor¬
ragende Rolle. Ich habe nicht nöthig, die eigenartige Wirkung jedes Instruments
seiner einzelnen Register und seiner sonstigen Klangmodifikation noch mehr hervvr-
zu heben, als ich bereits gethan. Jede Justrnmentntionslehre, besonders die von
Berlioz, die in Originalausgabe deutsch und französisch, sowie in kleinerer Aus¬
gabe deutsch von Dörffel (1864) erschien, giebt Spezialanfschlüsse in Menge.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/92>, abgerufen am 26.05.2024.