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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Etwas von unsern Töchtern.

empfehlen. Aber richtig denken zu lernen und die Prinzipien der Erkenntnis
für alle Wissenschaften zu erfassen, das wäre allerdings eine Methode, die über
viele Schwierigkeiten hinweghelfen könnte. Dazu hätte man freilich nur bei
Kant an der richtigen Quelle zu schöpfen. Ehe man das aber kann, muß dieser
unser größter deutscher Geist auf deutschen Universitäten besser begriffen werden.




Etwas von unsern Töchtern.

le Erziehungslehre ist eine schwankende Wissenschaft, weil bei ihr
Prinzip und Systematik, diese Hauptkennzeichen jeder Wissenschaft,
durch die Flüssigkeit ihres Materials und den nie rastenden Strom
der Kultur häufigem Wechsel unterworfen sind. Insbesondre war
die Erziehung des weiblichen Geschlechts bis in dieses Jahrhun¬
dert sast nur auf glücklichen Instinkt und den Drang und Zwang der Lebensnot
angewiesen. Erst die neueste Zeit hat, namentlich in Deutschland, unter Schaf
sung eines weitverzweigten sogenannten Töchterschulwesens theoretisch vernünf¬
tigere Gesichtspunkte der Mädchenerziehung aufgestellt, freilich anch praktisch
teilweise die Richtung darauf kundgegeben, keinen grundsätzlichen, höchstens einen
graduellen Unterschied zwischen der Erziehung der männlichen und derjenigen der
weiblichen Jugend der gebildeten Stände gelten und so den gerade in der deut¬
schen Iran seit Urzeiten verehrten himmlischen Zauberfunken der Weiblichkeit
allmählich ersterben zu lassen. Ohnehin ist der Glanz dieses göttlichen Feuers
im Laufe der Jahrhunderte ermattet, nachdem von dem mittelalterlichen Minne¬
dienste, welcher ursprünglich von überirdischem Dufte weiblicher Ehre und Zucht
umwoben war, nur sein zweifelhaftes Schattenbild, die französische Galanterie
mit ihrer Hochachtung der Sitten als Etikette und ihrer Geringschätzung der
Sittlichkeit als Pflicht zurückgeblieben ist. Andrerseits sucht der moderne Ma¬
terialismus die Bestimmung der Frauen in das Gebiet der nackten Nützlichkeit
herabzudrücken; über jeder geistigen Beschäftigung oder Übung, welche man den
Mädchen zumutet, ruft er ein ängstliches "Blaustrumpf in Sicht!" und seine
Erinnerung an das goldne Mittelmaß verrät meist nur eine alles geistigen Me¬
talles bare Mittelmäßigkeit. So dürfte denn aus mehr als einem Grnnde eine
erneute Betrachtung der besondern geistigen Naturanlagen und des Berufes der
Frau in Hinsicht auf die gegenwärtige Kulturstufe, sowie auf die obersten Gesichts¬
punkte, welche sich hieraus für die Erziehung unsrer Töchter ergeben, dem einen
oder andern Leser dieser Blätter nicht unwillkommen erscheinen.


Etwas von unsern Töchtern.

empfehlen. Aber richtig denken zu lernen und die Prinzipien der Erkenntnis
für alle Wissenschaften zu erfassen, das wäre allerdings eine Methode, die über
viele Schwierigkeiten hinweghelfen könnte. Dazu hätte man freilich nur bei
Kant an der richtigen Quelle zu schöpfen. Ehe man das aber kann, muß dieser
unser größter deutscher Geist auf deutschen Universitäten besser begriffen werden.




Etwas von unsern Töchtern.

le Erziehungslehre ist eine schwankende Wissenschaft, weil bei ihr
Prinzip und Systematik, diese Hauptkennzeichen jeder Wissenschaft,
durch die Flüssigkeit ihres Materials und den nie rastenden Strom
der Kultur häufigem Wechsel unterworfen sind. Insbesondre war
die Erziehung des weiblichen Geschlechts bis in dieses Jahrhun¬
dert sast nur auf glücklichen Instinkt und den Drang und Zwang der Lebensnot
angewiesen. Erst die neueste Zeit hat, namentlich in Deutschland, unter Schaf
sung eines weitverzweigten sogenannten Töchterschulwesens theoretisch vernünf¬
tigere Gesichtspunkte der Mädchenerziehung aufgestellt, freilich anch praktisch
teilweise die Richtung darauf kundgegeben, keinen grundsätzlichen, höchstens einen
graduellen Unterschied zwischen der Erziehung der männlichen und derjenigen der
weiblichen Jugend der gebildeten Stände gelten und so den gerade in der deut¬
schen Iran seit Urzeiten verehrten himmlischen Zauberfunken der Weiblichkeit
allmählich ersterben zu lassen. Ohnehin ist der Glanz dieses göttlichen Feuers
im Laufe der Jahrhunderte ermattet, nachdem von dem mittelalterlichen Minne¬
dienste, welcher ursprünglich von überirdischem Dufte weiblicher Ehre und Zucht
umwoben war, nur sein zweifelhaftes Schattenbild, die französische Galanterie
mit ihrer Hochachtung der Sitten als Etikette und ihrer Geringschätzung der
Sittlichkeit als Pflicht zurückgeblieben ist. Andrerseits sucht der moderne Ma¬
terialismus die Bestimmung der Frauen in das Gebiet der nackten Nützlichkeit
herabzudrücken; über jeder geistigen Beschäftigung oder Übung, welche man den
Mädchen zumutet, ruft er ein ängstliches „Blaustrumpf in Sicht!" und seine
Erinnerung an das goldne Mittelmaß verrät meist nur eine alles geistigen Me¬
talles bare Mittelmäßigkeit. So dürfte denn aus mehr als einem Grnnde eine
erneute Betrachtung der besondern geistigen Naturanlagen und des Berufes der
Frau in Hinsicht auf die gegenwärtige Kulturstufe, sowie auf die obersten Gesichts¬
punkte, welche sich hieraus für die Erziehung unsrer Töchter ergeben, dem einen
oder andern Leser dieser Blätter nicht unwillkommen erscheinen.


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[0392] Etwas von unsern Töchtern. empfehlen. Aber richtig denken zu lernen und die Prinzipien der Erkenntnis für alle Wissenschaften zu erfassen, das wäre allerdings eine Methode, die über viele Schwierigkeiten hinweghelfen könnte. Dazu hätte man freilich nur bei Kant an der richtigen Quelle zu schöpfen. Ehe man das aber kann, muß dieser unser größter deutscher Geist auf deutschen Universitäten besser begriffen werden. Etwas von unsern Töchtern. le Erziehungslehre ist eine schwankende Wissenschaft, weil bei ihr Prinzip und Systematik, diese Hauptkennzeichen jeder Wissenschaft, durch die Flüssigkeit ihres Materials und den nie rastenden Strom der Kultur häufigem Wechsel unterworfen sind. Insbesondre war die Erziehung des weiblichen Geschlechts bis in dieses Jahrhun¬ dert sast nur auf glücklichen Instinkt und den Drang und Zwang der Lebensnot angewiesen. Erst die neueste Zeit hat, namentlich in Deutschland, unter Schaf sung eines weitverzweigten sogenannten Töchterschulwesens theoretisch vernünf¬ tigere Gesichtspunkte der Mädchenerziehung aufgestellt, freilich anch praktisch teilweise die Richtung darauf kundgegeben, keinen grundsätzlichen, höchstens einen graduellen Unterschied zwischen der Erziehung der männlichen und derjenigen der weiblichen Jugend der gebildeten Stände gelten und so den gerade in der deut¬ schen Iran seit Urzeiten verehrten himmlischen Zauberfunken der Weiblichkeit allmählich ersterben zu lassen. Ohnehin ist der Glanz dieses göttlichen Feuers im Laufe der Jahrhunderte ermattet, nachdem von dem mittelalterlichen Minne¬ dienste, welcher ursprünglich von überirdischem Dufte weiblicher Ehre und Zucht umwoben war, nur sein zweifelhaftes Schattenbild, die französische Galanterie mit ihrer Hochachtung der Sitten als Etikette und ihrer Geringschätzung der Sittlichkeit als Pflicht zurückgeblieben ist. Andrerseits sucht der moderne Ma¬ terialismus die Bestimmung der Frauen in das Gebiet der nackten Nützlichkeit herabzudrücken; über jeder geistigen Beschäftigung oder Übung, welche man den Mädchen zumutet, ruft er ein ängstliches „Blaustrumpf in Sicht!" und seine Erinnerung an das goldne Mittelmaß verrät meist nur eine alles geistigen Me¬ talles bare Mittelmäßigkeit. So dürfte denn aus mehr als einem Grnnde eine erneute Betrachtung der besondern geistigen Naturanlagen und des Berufes der Frau in Hinsicht auf die gegenwärtige Kulturstufe, sowie auf die obersten Gesichts¬ punkte, welche sich hieraus für die Erziehung unsrer Töchter ergeben, dem einen oder andern Leser dieser Blätter nicht unwillkommen erscheinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/392>, abgerufen am 05.05.2024.