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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die österreichischen Kuponprocesse.

le Aenderung des Wertverhältnisses zwischen Gold und Silber,
welche im letzten Jahrzehnt eingetreten ist, hat -- das wird heute
niemand mehr leugnen -- viele Unannehmlichkeiten für den geschäft¬
lichen Verkehr mit sich gebracht. Am meisten Aufmerksamkeit haben
in Deutschland und in Oesterreich wohl die Kuponstreitigkeiteu
der österreichischen Eisenbahngesellschaften erregt, weil hüben wie drüben der
Kreis der Interessenten ein sehr großer war und weil die Entscheidungen der
Gerichte so verschieden ausfielen wie selten in irgend einer Frage. Die ganze
Angelegenheit ist nenerdings von dem Heidelberger Pandektisten Becker in einer
umfangreichen Schrift,*) an welche das Folgende sich anschließt, behandelt
worden, und Bekkers juristische Erörterungen sind wieder wesentlich von den
frühern verschieden. Die österreichischen Gerichte entschieden zu Gunsten der
österreichischen Schuldner, die deutschen umgekehrt zu Gunsten der deutschen
Gläubiger. Bekker giebt im großen und ganzen den Eisenbahngesellschaften
Recht, geißelt aber zugleich die Haltlosigkeit der österreichischen Erkenntnisse in
schärfster Weise. Wo liegt nun das Recht?

Die Ursachen der Kuponprocesse sind bekannt. Unsre Nachbarn konnten
die Kapitalien zum Bau ihrer Eisenbahnen nicht im Inlande selbst auftreiben.
Oesterreich war in dieser Beziehung fast ausschließlich auf das Ausland ange¬
wiesen, und nicht mit österreichischen Gulden, sondern mit Franken, Thalern und
englischen Pfunden ist der weitaus größte Teil seiner Eisenbahnen gebaut und
bezahlt worden. So oft daher eine neue Bahn angelegt werden sollte, mußte
das Hauptaugenmerk der Unternehmer darauf gerichtet sein, das ausländische
Kapital heranzuziehen. Dies war nicht so einfach wie es scheinen könnte. Um
die Anziehungskraft zu erhöhen, versprach man ausdrücklich, die aufgelösten
Obligationen, die fälligen Kupons nicht nur mit einer festen Summe von Gulden,
sondern ebenso von Thalern und Franken einzulösen. So heißt es auf den
von der Franz-Josef-Bahn ausgegebenen "Schuldverschreibungen über 200 Gulden
vsterr. Wahr. Silber, gleich 233 l/, Gulden süddeutscher Währung, oder 133^/.,
Thaler der Thaler-Währung, oder 500 Franken":


Die Auszahlung der Zinsen erfolgt ohne allen Abzug für Einkommensteuer gegen
Rückstellung der darüber ausgestellten Zinscnkupons nach Wahl der Besitzer ent¬
weder in Wien bei ver Hauptkassc der k. k. priv. Kaiser Franz-Josef-Bahn oder
der k. k. priv. österreichischen Kreditanstalt für Handel und Gewerbe mit fünf Gulden


*) lieber die Kuponsprocesse der österreichischen Eisenbahngesellschaften
und über die internationalen Schuldverschreibungen. Von E. I. Bekker. Weimar, 1381.
XII, 196 S.
Die österreichischen Kuponprocesse.

le Aenderung des Wertverhältnisses zwischen Gold und Silber,
welche im letzten Jahrzehnt eingetreten ist, hat — das wird heute
niemand mehr leugnen — viele Unannehmlichkeiten für den geschäft¬
lichen Verkehr mit sich gebracht. Am meisten Aufmerksamkeit haben
in Deutschland und in Oesterreich wohl die Kuponstreitigkeiteu
der österreichischen Eisenbahngesellschaften erregt, weil hüben wie drüben der
Kreis der Interessenten ein sehr großer war und weil die Entscheidungen der
Gerichte so verschieden ausfielen wie selten in irgend einer Frage. Die ganze
Angelegenheit ist nenerdings von dem Heidelberger Pandektisten Becker in einer
umfangreichen Schrift,*) an welche das Folgende sich anschließt, behandelt
worden, und Bekkers juristische Erörterungen sind wieder wesentlich von den
frühern verschieden. Die österreichischen Gerichte entschieden zu Gunsten der
österreichischen Schuldner, die deutschen umgekehrt zu Gunsten der deutschen
Gläubiger. Bekker giebt im großen und ganzen den Eisenbahngesellschaften
Recht, geißelt aber zugleich die Haltlosigkeit der österreichischen Erkenntnisse in
schärfster Weise. Wo liegt nun das Recht?

Die Ursachen der Kuponprocesse sind bekannt. Unsre Nachbarn konnten
die Kapitalien zum Bau ihrer Eisenbahnen nicht im Inlande selbst auftreiben.
Oesterreich war in dieser Beziehung fast ausschließlich auf das Ausland ange¬
wiesen, und nicht mit österreichischen Gulden, sondern mit Franken, Thalern und
englischen Pfunden ist der weitaus größte Teil seiner Eisenbahnen gebaut und
bezahlt worden. So oft daher eine neue Bahn angelegt werden sollte, mußte
das Hauptaugenmerk der Unternehmer darauf gerichtet sein, das ausländische
Kapital heranzuziehen. Dies war nicht so einfach wie es scheinen könnte. Um
die Anziehungskraft zu erhöhen, versprach man ausdrücklich, die aufgelösten
Obligationen, die fälligen Kupons nicht nur mit einer festen Summe von Gulden,
sondern ebenso von Thalern und Franken einzulösen. So heißt es auf den
von der Franz-Josef-Bahn ausgegebenen „Schuldverschreibungen über 200 Gulden
vsterr. Wahr. Silber, gleich 233 l/, Gulden süddeutscher Währung, oder 133^/.,
Thaler der Thaler-Währung, oder 500 Franken":


Die Auszahlung der Zinsen erfolgt ohne allen Abzug für Einkommensteuer gegen
Rückstellung der darüber ausgestellten Zinscnkupons nach Wahl der Besitzer ent¬
weder in Wien bei ver Hauptkassc der k. k. priv. Kaiser Franz-Josef-Bahn oder
der k. k. priv. österreichischen Kreditanstalt für Handel und Gewerbe mit fünf Gulden


*) lieber die Kuponsprocesse der österreichischen Eisenbahngesellschaften
und über die internationalen Schuldverschreibungen. Von E. I. Bekker. Weimar, 1381.
XII, 196 S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/18>, abgerufen am 06.05.2024.