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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die deutsche Bühne der Gegenwart.

gewesen. Etwas Habsucht, Eigennutz, Brutalität, Knauserei, sehr wenig kalt
Blut, immerhin; aber wider Recht und Billigkeit mit schlauer Benutzung der
Umstände der Gegner unehrenhaft zu verkürzen, das haben regelmäßig die Parteien
nicht gewollt; und Ausnahme" bestätigen die Regel. Steht erst die gegenseitige
Anerkennung der Ehrlichkeit fest, so ist auch weiterzukommen. Beide Teile haben
eine gemeinsame Kalamität erst zu tragen, dann zu überwinden. Nachdem die
unglücklichen Obligationen, so wie sie sind, ausgegeben und angenommen worden,
nachdem dann Deutschland zur Goldwährung übergegangen, und die Relation von
Silber zu Gold von 1:gefallen war auf 1:19 und darunter, da war auch
ein Verlust von fünf und mehr Millionen Silbcrgulden im Jahre für einen von
beiden unvermeidlich geworden: entweder die österreichischen Schuldner mußten um
soviel mehr zahlen, als sie erwartet hatten, oder die deutscheu Gläubiger mußten
um soviel weniger erhalten, als sie erwartet hatten. Diese böse Lage besteht
heute noch, und sie wird noch länger bleiben, wenn die Deutschen und Öster¬
reicher fortfahren, einander zu bekämpfen; viribus ranis aber würde sich doch
manches zur Verkürzung der Dauer thun lassen. Es wäre also die Aufgabe
der Presse, vorerst die nötige Stimmung zu schaffen, beide Teile zu überzeugen,
daß ein sehr komplizirter und schwer zu beurteilender Fall vorliegt, beide vor
Überhebung und Überschätzung der von den eignen Landcsgerichten für sie ge-
sprochnen Urteile zu warnen. Leids haben die Deutschen den Österreichern in
diesen Suchen auch schon genug zugefügt; ob das Recht auf ihrer Seite gewesen,
ist sehr zweifelhaft; ob die Billigkeit, mindestens noch nicht ganz gewiß. Die
österreichischen Eisenbahngesellschaften, die Vertreter eines der bedeutendsten In¬
dustriezweige des reiche" Kaiserstaates aber mögen sich überlegen, daß sie besser
gethan habe" würde", nicht ganz so jämmerlich zu schreie", als ob es gleich
aus Leben ginge, und überhaupt statt der Manieren des Kleinkrämers, der keinen
Kreuzer unbesehen aus der Kasse geben darf, etwas anzunehmen von den: Wesen
des großen Kaufmanns, dem sein Kredit mehr gilt als der Kasscnbestand."


M. sah.


Die deutsche Bühne der Gegenwart.
^. Spielweise und Inscenirnng.

icht Von alten Zeiten soll hier die Rede sein, und der Verfasser
denkt nicht daran^ die vftgehörte Klage über den Verfall der Schau¬
bühne anzustimmen, die in der Regel auf Grund eiuer sehr trü¬
gerischen Voraussetzung laut wird: der Schwärmerei und Jlln-
siousfähigteit der Jugendjahre -- oft leider nicht einmal der
^gelten Jugendjahre. Täuscht uns schon die eigene Erinnerung über den Wert


Die deutsche Bühne der Gegenwart.

gewesen. Etwas Habsucht, Eigennutz, Brutalität, Knauserei, sehr wenig kalt
Blut, immerhin; aber wider Recht und Billigkeit mit schlauer Benutzung der
Umstände der Gegner unehrenhaft zu verkürzen, das haben regelmäßig die Parteien
nicht gewollt; und Ausnahme» bestätigen die Regel. Steht erst die gegenseitige
Anerkennung der Ehrlichkeit fest, so ist auch weiterzukommen. Beide Teile haben
eine gemeinsame Kalamität erst zu tragen, dann zu überwinden. Nachdem die
unglücklichen Obligationen, so wie sie sind, ausgegeben und angenommen worden,
nachdem dann Deutschland zur Goldwährung übergegangen, und die Relation von
Silber zu Gold von 1:gefallen war auf 1:19 und darunter, da war auch
ein Verlust von fünf und mehr Millionen Silbcrgulden im Jahre für einen von
beiden unvermeidlich geworden: entweder die österreichischen Schuldner mußten um
soviel mehr zahlen, als sie erwartet hatten, oder die deutscheu Gläubiger mußten
um soviel weniger erhalten, als sie erwartet hatten. Diese böse Lage besteht
heute noch, und sie wird noch länger bleiben, wenn die Deutschen und Öster¬
reicher fortfahren, einander zu bekämpfen; viribus ranis aber würde sich doch
manches zur Verkürzung der Dauer thun lassen. Es wäre also die Aufgabe
der Presse, vorerst die nötige Stimmung zu schaffen, beide Teile zu überzeugen,
daß ein sehr komplizirter und schwer zu beurteilender Fall vorliegt, beide vor
Überhebung und Überschätzung der von den eignen Landcsgerichten für sie ge-
sprochnen Urteile zu warnen. Leids haben die Deutschen den Österreichern in
diesen Suchen auch schon genug zugefügt; ob das Recht auf ihrer Seite gewesen,
ist sehr zweifelhaft; ob die Billigkeit, mindestens noch nicht ganz gewiß. Die
österreichischen Eisenbahngesellschaften, die Vertreter eines der bedeutendsten In¬
dustriezweige des reiche» Kaiserstaates aber mögen sich überlegen, daß sie besser
gethan habe» würde», nicht ganz so jämmerlich zu schreie», als ob es gleich
aus Leben ginge, und überhaupt statt der Manieren des Kleinkrämers, der keinen
Kreuzer unbesehen aus der Kasse geben darf, etwas anzunehmen von den: Wesen
des großen Kaufmanns, dem sein Kredit mehr gilt als der Kasscnbestand."


M. sah.


Die deutsche Bühne der Gegenwart.
^. Spielweise und Inscenirnng.

icht Von alten Zeiten soll hier die Rede sein, und der Verfasser
denkt nicht daran^ die vftgehörte Klage über den Verfall der Schau¬
bühne anzustimmen, die in der Regel auf Grund eiuer sehr trü¬
gerischen Voraussetzung laut wird: der Schwärmerei und Jlln-
siousfähigteit der Jugendjahre — oft leider nicht einmal der
^gelten Jugendjahre. Täuscht uns schon die eigene Erinnerung über den Wert


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[0031] Die deutsche Bühne der Gegenwart. gewesen. Etwas Habsucht, Eigennutz, Brutalität, Knauserei, sehr wenig kalt Blut, immerhin; aber wider Recht und Billigkeit mit schlauer Benutzung der Umstände der Gegner unehrenhaft zu verkürzen, das haben regelmäßig die Parteien nicht gewollt; und Ausnahme» bestätigen die Regel. Steht erst die gegenseitige Anerkennung der Ehrlichkeit fest, so ist auch weiterzukommen. Beide Teile haben eine gemeinsame Kalamität erst zu tragen, dann zu überwinden. Nachdem die unglücklichen Obligationen, so wie sie sind, ausgegeben und angenommen worden, nachdem dann Deutschland zur Goldwährung übergegangen, und die Relation von Silber zu Gold von 1:gefallen war auf 1:19 und darunter, da war auch ein Verlust von fünf und mehr Millionen Silbcrgulden im Jahre für einen von beiden unvermeidlich geworden: entweder die österreichischen Schuldner mußten um soviel mehr zahlen, als sie erwartet hatten, oder die deutscheu Gläubiger mußten um soviel weniger erhalten, als sie erwartet hatten. Diese böse Lage besteht heute noch, und sie wird noch länger bleiben, wenn die Deutschen und Öster¬ reicher fortfahren, einander zu bekämpfen; viribus ranis aber würde sich doch manches zur Verkürzung der Dauer thun lassen. Es wäre also die Aufgabe der Presse, vorerst die nötige Stimmung zu schaffen, beide Teile zu überzeugen, daß ein sehr komplizirter und schwer zu beurteilender Fall vorliegt, beide vor Überhebung und Überschätzung der von den eignen Landcsgerichten für sie ge- sprochnen Urteile zu warnen. Leids haben die Deutschen den Österreichern in diesen Suchen auch schon genug zugefügt; ob das Recht auf ihrer Seite gewesen, ist sehr zweifelhaft; ob die Billigkeit, mindestens noch nicht ganz gewiß. Die österreichischen Eisenbahngesellschaften, die Vertreter eines der bedeutendsten In¬ dustriezweige des reiche» Kaiserstaates aber mögen sich überlegen, daß sie besser gethan habe» würde», nicht ganz so jämmerlich zu schreie», als ob es gleich aus Leben ginge, und überhaupt statt der Manieren des Kleinkrämers, der keinen Kreuzer unbesehen aus der Kasse geben darf, etwas anzunehmen von den: Wesen des großen Kaufmanns, dem sein Kredit mehr gilt als der Kasscnbestand." M. sah. Die deutsche Bühne der Gegenwart. ^. Spielweise und Inscenirnng. icht Von alten Zeiten soll hier die Rede sein, und der Verfasser denkt nicht daran^ die vftgehörte Klage über den Verfall der Schau¬ bühne anzustimmen, die in der Regel auf Grund eiuer sehr trü¬ gerischen Voraussetzung laut wird: der Schwärmerei und Jlln- siousfähigteit der Jugendjahre — oft leider nicht einmal der ^gelten Jugendjahre. Täuscht uns schon die eigene Erinnerung über den Wert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/31>, abgerufen am 06.05.2024.