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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal.

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Gladstone und Irland.

le Zustände in Irland sind, seit wir uns das letztemal mit ihnen
beschäftigt, beinahe mit jedem Monate bedenklicher für die Re¬
gierung geworden, und die letztere wird sich wahrscheinlich dem¬
nächst entschließen müssen, dem Übel mit andern als den bisher
angewandten Mitteln zu Leibe zu gehen; denn so erschreckend auch
die Lage gegenwärtig schon ist, so droht sie sich doch noch weiter zu verschlimmern.
Die Kur, welche das liberale Kabinet versuchte, eine Verbindung von Gewalt¬
maßregeln und versöhnlichem Vorgehen, ist -- darüber kann kaum noch ein
Zweifel bestehen - gänzlich mißlungen. Die Glndstonesche Politik hat, wie
selbst dessen Parteifreunde eingestehen, das Land nicht nur nicht beruhigt, sondern
das gefährliche Fieber, das an ihm zehrt, mit Ausnahme weniger Stellen des
Körpers nur noch gesteigert. Allenthalben im Süden und Westen der Insel
weitverbreitete Unordnung, Unsicherheit des Eigentums der Reichen wie der
Armen, Einschüchterung und Bedrohung, Predigen schandbarer Lehren, kalt¬
blütiger, ruchloser Meuchelmord und andre Missethaten, die man halb entschuldigt,
wenn man sie "agrarische Verbrechen" nennt. Die schleichende antisoziale Re¬
volution hat bis jetzt triumphirt, der Zustand Irlands ist ärger als im Dezember
1880 nach einem sechsmonatlichen Feldzuge der fenischen Landliga. Es ist
Pflicht für das liberale Ministerium, so rasch wie möglich die wirksamste Methode
zu gründlicher Abhilfe aufzusuchen und sie dann ohne Zandern anzuwenden.
Bis jetzt hat das Parlament Herrn Gladstone und seinen Kollegen in dieser
schweren Verlegenheit alles bewilligt, was sie verlangten, Zwangsmittel und
andrerseits ein Agrargesetz so günstig für die Pächter, daß es vielfach als Uu-
lulligkeit gegen die Grundherren bezeichnet wurde, und es ist kein Grund zu
der Annahme vorhanden, daß die Landesvertretung weiteren Forderungen zur


Grenzboten it. I88L, 26


Gladstone und Irland.

le Zustände in Irland sind, seit wir uns das letztemal mit ihnen
beschäftigt, beinahe mit jedem Monate bedenklicher für die Re¬
gierung geworden, und die letztere wird sich wahrscheinlich dem¬
nächst entschließen müssen, dem Übel mit andern als den bisher
angewandten Mitteln zu Leibe zu gehen; denn so erschreckend auch
die Lage gegenwärtig schon ist, so droht sie sich doch noch weiter zu verschlimmern.
Die Kur, welche das liberale Kabinet versuchte, eine Verbindung von Gewalt¬
maßregeln und versöhnlichem Vorgehen, ist — darüber kann kaum noch ein
Zweifel bestehen - gänzlich mißlungen. Die Glndstonesche Politik hat, wie
selbst dessen Parteifreunde eingestehen, das Land nicht nur nicht beruhigt, sondern
das gefährliche Fieber, das an ihm zehrt, mit Ausnahme weniger Stellen des
Körpers nur noch gesteigert. Allenthalben im Süden und Westen der Insel
weitverbreitete Unordnung, Unsicherheit des Eigentums der Reichen wie der
Armen, Einschüchterung und Bedrohung, Predigen schandbarer Lehren, kalt¬
blütiger, ruchloser Meuchelmord und andre Missethaten, die man halb entschuldigt,
wenn man sie „agrarische Verbrechen" nennt. Die schleichende antisoziale Re¬
volution hat bis jetzt triumphirt, der Zustand Irlands ist ärger als im Dezember
1880 nach einem sechsmonatlichen Feldzuge der fenischen Landliga. Es ist
Pflicht für das liberale Ministerium, so rasch wie möglich die wirksamste Methode
zu gründlicher Abhilfe aufzusuchen und sie dann ohne Zandern anzuwenden.
Bis jetzt hat das Parlament Herrn Gladstone und seinen Kollegen in dieser
schweren Verlegenheit alles bewilligt, was sie verlangten, Zwangsmittel und
andrerseits ein Agrargesetz so günstig für die Pächter, daß es vielfach als Uu-
lulligkeit gegen die Grundherren bezeichnet wurde, und es ist kein Grund zu
der Annahme vorhanden, daß die Landesvertretung weiteren Forderungen zur


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[0205] [Abbildung] Gladstone und Irland. le Zustände in Irland sind, seit wir uns das letztemal mit ihnen beschäftigt, beinahe mit jedem Monate bedenklicher für die Re¬ gierung geworden, und die letztere wird sich wahrscheinlich dem¬ nächst entschließen müssen, dem Übel mit andern als den bisher angewandten Mitteln zu Leibe zu gehen; denn so erschreckend auch die Lage gegenwärtig schon ist, so droht sie sich doch noch weiter zu verschlimmern. Die Kur, welche das liberale Kabinet versuchte, eine Verbindung von Gewalt¬ maßregeln und versöhnlichem Vorgehen, ist — darüber kann kaum noch ein Zweifel bestehen - gänzlich mißlungen. Die Glndstonesche Politik hat, wie selbst dessen Parteifreunde eingestehen, das Land nicht nur nicht beruhigt, sondern das gefährliche Fieber, das an ihm zehrt, mit Ausnahme weniger Stellen des Körpers nur noch gesteigert. Allenthalben im Süden und Westen der Insel weitverbreitete Unordnung, Unsicherheit des Eigentums der Reichen wie der Armen, Einschüchterung und Bedrohung, Predigen schandbarer Lehren, kalt¬ blütiger, ruchloser Meuchelmord und andre Missethaten, die man halb entschuldigt, wenn man sie „agrarische Verbrechen" nennt. Die schleichende antisoziale Re¬ volution hat bis jetzt triumphirt, der Zustand Irlands ist ärger als im Dezember 1880 nach einem sechsmonatlichen Feldzuge der fenischen Landliga. Es ist Pflicht für das liberale Ministerium, so rasch wie möglich die wirksamste Methode zu gründlicher Abhilfe aufzusuchen und sie dann ohne Zandern anzuwenden. Bis jetzt hat das Parlament Herrn Gladstone und seinen Kollegen in dieser schweren Verlegenheit alles bewilligt, was sie verlangten, Zwangsmittel und andrerseits ein Agrargesetz so günstig für die Pächter, daß es vielfach als Uu- lulligkeit gegen die Grundherren bezeichnet wurde, und es ist kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Landesvertretung weiteren Forderungen zur Grenzboten it. I88L, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89806/205>, abgerufen am 01.05.2024.