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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Literatur,

Stimme gewährt. In meiner einsamen Behausung und auf meinen Wanderungen
an dieser mir nun so interessanten Küste verfolge ich immer nur dies teure
Bild, das mir jetzt gegenwärtig ist, Sie glauben nicht, wie welcher Beharr¬
lichkeit ich Ihnen in Gedanken nachgehe. Das selige Entzücken, das ich an
jenem Morgen empfinden durfte, wo mir zuerst diese Augen ihr Geheimnis
verrieten und diese Lippen es bestätigten, brennt in meinem Herzen unauslösch¬
lich "ach. Ich folge von weitem jedem Ihrer Schritte und begleite Sie bei
allen Ihren Beschäftigungen im Laufe der langen Stunden, wo ich von Ihnen
getrennt bin. Ich denke mit inniger Teilnahme an die Beweise Ihres Herzens
von unerschöpflicher Güte. Jetzt, denke ich, ist meine Dorothea von der Sorge
für die armen Leute erfüllt, deren traurige Lage sie verbessern will, und ich be¬
neide jeden von diesen Tagelöhnern und jedes dieser von Arbeit gebückten Weiber,
denen Ihre Gedanken sich zuwenden, jetzt, hoffe ich, ist sie wohl auf dem Balkon
und blickt -- verzeihen Sie meiner Kühnheit -- in der Richtung aus, von der
ich kommen könnte. Und oft denke ich mit Zittern und Traurigkeit daran, daß
ich vergessen sein könnte, und daß ein Herz, an welches so viele Ansprüche er¬
hoben werden, würdigere Ziele als meine Erinnerung wählen könnte.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Der Geisterbanner von Rothenburg ob der Tauber. Eine Erzählung aus den
Jahren 1407 und 1408. Von I. Bonn et. Wiesbaden, Julius niedrer, 1888.

Dieses Buch giebt sich als erster Band von Erzählungen aus alten deutschen
Städten, der Zweck desselben ist also mehr ein didaktischer als ein poetischer, und
wenn auch der Verfasser in der Vorrede den Satz aufstellt, die Poesie dürfe nicht
vergessen, daß sie sich im geschwisterlichen Bunde mit der Geschichte Selbstzweck
bleibe, so lassen sich doch zwei Zwecke nebeneinander schwer erreichen, ohne daß der
eine den andern überwiegt oder beide sich gegenseitig beeinträchtigen. In der
Regel muß man denn auch viel Belehrung mit in den Kauf nehmen, die mit dem
dichterischen Zwecke nicht in unmittelbarer Verbindung steht; und andrerseits fällt
die geschichtliche Belehrung, soweit sie nicht unmittelbar und geradezu gegeben wird,
unter der Einwirkung der Dichtung leicht etwas unklar und schielend aus. Doch
wozu den vergeblichen Kampf gegen die Mißbildung der "archäologischen Erzählung"
(so nennt der Verfasser selbst seine Schöpfung) mit den alten Gründen immer und
immer wieder aufnehmen? Gegen Einwendungen dieser Art ist der Verfasser ge¬
feit, denn er spricht sich in den ersten Sätzen seiner Vorrede sehr schneidig gegen
die Tadler im allgemeine" aus; wenn er trotzdem "auf die billige Nachsicht einer
verständigen Kritik" hofft, so meint er damit wohl eben eine, die ihm seine Vor¬
aussetzungen über die Berechtigung der ganzen Gattung zugiebt.


Literatur,

Stimme gewährt. In meiner einsamen Behausung und auf meinen Wanderungen
an dieser mir nun so interessanten Küste verfolge ich immer nur dies teure
Bild, das mir jetzt gegenwärtig ist, Sie glauben nicht, wie welcher Beharr¬
lichkeit ich Ihnen in Gedanken nachgehe. Das selige Entzücken, das ich an
jenem Morgen empfinden durfte, wo mir zuerst diese Augen ihr Geheimnis
verrieten und diese Lippen es bestätigten, brennt in meinem Herzen unauslösch¬
lich »ach. Ich folge von weitem jedem Ihrer Schritte und begleite Sie bei
allen Ihren Beschäftigungen im Laufe der langen Stunden, wo ich von Ihnen
getrennt bin. Ich denke mit inniger Teilnahme an die Beweise Ihres Herzens
von unerschöpflicher Güte. Jetzt, denke ich, ist meine Dorothea von der Sorge
für die armen Leute erfüllt, deren traurige Lage sie verbessern will, und ich be¬
neide jeden von diesen Tagelöhnern und jedes dieser von Arbeit gebückten Weiber,
denen Ihre Gedanken sich zuwenden, jetzt, hoffe ich, ist sie wohl auf dem Balkon
und blickt — verzeihen Sie meiner Kühnheit — in der Richtung aus, von der
ich kommen könnte. Und oft denke ich mit Zittern und Traurigkeit daran, daß
ich vergessen sein könnte, und daß ein Herz, an welches so viele Ansprüche er¬
hoben werden, würdigere Ziele als meine Erinnerung wählen könnte.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Der Geisterbanner von Rothenburg ob der Tauber. Eine Erzählung aus den
Jahren 1407 und 1408. Von I. Bonn et. Wiesbaden, Julius niedrer, 1888.

Dieses Buch giebt sich als erster Band von Erzählungen aus alten deutschen
Städten, der Zweck desselben ist also mehr ein didaktischer als ein poetischer, und
wenn auch der Verfasser in der Vorrede den Satz aufstellt, die Poesie dürfe nicht
vergessen, daß sie sich im geschwisterlichen Bunde mit der Geschichte Selbstzweck
bleibe, so lassen sich doch zwei Zwecke nebeneinander schwer erreichen, ohne daß der
eine den andern überwiegt oder beide sich gegenseitig beeinträchtigen. In der
Regel muß man denn auch viel Belehrung mit in den Kauf nehmen, die mit dem
dichterischen Zwecke nicht in unmittelbarer Verbindung steht; und andrerseits fällt
die geschichtliche Belehrung, soweit sie nicht unmittelbar und geradezu gegeben wird,
unter der Einwirkung der Dichtung leicht etwas unklar und schielend aus. Doch
wozu den vergeblichen Kampf gegen die Mißbildung der „archäologischen Erzählung"
(so nennt der Verfasser selbst seine Schöpfung) mit den alten Gründen immer und
immer wieder aufnehmen? Gegen Einwendungen dieser Art ist der Verfasser ge¬
feit, denn er spricht sich in den ersten Sätzen seiner Vorrede sehr schneidig gegen
die Tadler im allgemeine» aus; wenn er trotzdem „auf die billige Nachsicht einer
verständigen Kritik" hofft, so meint er damit wohl eben eine, die ihm seine Vor¬
aussetzungen über die Berechtigung der ganzen Gattung zugiebt.


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[0604] Literatur, Stimme gewährt. In meiner einsamen Behausung und auf meinen Wanderungen an dieser mir nun so interessanten Küste verfolge ich immer nur dies teure Bild, das mir jetzt gegenwärtig ist, Sie glauben nicht, wie welcher Beharr¬ lichkeit ich Ihnen in Gedanken nachgehe. Das selige Entzücken, das ich an jenem Morgen empfinden durfte, wo mir zuerst diese Augen ihr Geheimnis verrieten und diese Lippen es bestätigten, brennt in meinem Herzen unauslösch¬ lich »ach. Ich folge von weitem jedem Ihrer Schritte und begleite Sie bei allen Ihren Beschäftigungen im Laufe der langen Stunden, wo ich von Ihnen getrennt bin. Ich denke mit inniger Teilnahme an die Beweise Ihres Herzens von unerschöpflicher Güte. Jetzt, denke ich, ist meine Dorothea von der Sorge für die armen Leute erfüllt, deren traurige Lage sie verbessern will, und ich be¬ neide jeden von diesen Tagelöhnern und jedes dieser von Arbeit gebückten Weiber, denen Ihre Gedanken sich zuwenden, jetzt, hoffe ich, ist sie wohl auf dem Balkon und blickt — verzeihen Sie meiner Kühnheit — in der Richtung aus, von der ich kommen könnte. Und oft denke ich mit Zittern und Traurigkeit daran, daß ich vergessen sein könnte, und daß ein Herz, an welches so viele Ansprüche er¬ hoben werden, würdigere Ziele als meine Erinnerung wählen könnte. (Fortsetzung folgt.) Literatur. Der Geisterbanner von Rothenburg ob der Tauber. Eine Erzählung aus den Jahren 1407 und 1408. Von I. Bonn et. Wiesbaden, Julius niedrer, 1888. Dieses Buch giebt sich als erster Band von Erzählungen aus alten deutschen Städten, der Zweck desselben ist also mehr ein didaktischer als ein poetischer, und wenn auch der Verfasser in der Vorrede den Satz aufstellt, die Poesie dürfe nicht vergessen, daß sie sich im geschwisterlichen Bunde mit der Geschichte Selbstzweck bleibe, so lassen sich doch zwei Zwecke nebeneinander schwer erreichen, ohne daß der eine den andern überwiegt oder beide sich gegenseitig beeinträchtigen. In der Regel muß man denn auch viel Belehrung mit in den Kauf nehmen, die mit dem dichterischen Zwecke nicht in unmittelbarer Verbindung steht; und andrerseits fällt die geschichtliche Belehrung, soweit sie nicht unmittelbar und geradezu gegeben wird, unter der Einwirkung der Dichtung leicht etwas unklar und schielend aus. Doch wozu den vergeblichen Kampf gegen die Mißbildung der „archäologischen Erzählung" (so nennt der Verfasser selbst seine Schöpfung) mit den alten Gründen immer und immer wieder aufnehmen? Gegen Einwendungen dieser Art ist der Verfasser ge¬ feit, denn er spricht sich in den ersten Sätzen seiner Vorrede sehr schneidig gegen die Tadler im allgemeine» aus; wenn er trotzdem „auf die billige Nachsicht einer verständigen Kritik" hofft, so meint er damit wohl eben eine, die ihm seine Vor¬ aussetzungen über die Berechtigung der ganzen Gattung zugiebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/604>, abgerufen am 06.05.2024.