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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das vergangne Jahr.

as Jahr, welches in diesen Tagen zu Ende geht, erscheint nicht
eben als ein epochemachendes in'der Geschichte, Weder einen
großen Krieg noch eine politische Umwälzung noch eine neue
Staatenbildung hat es gesehen. Dennoch war es keine Zeit des
Stillstandes, die es im Leben zivilisirter Völker überhaupt nicht
giebt, und wie in ihm manches vollendet wurde, was vor .ihm ins Werk gesetzt
worden ist, so wurde andres in ihm begonnen, was eine nähere oder fernere
Zukunft zur Reife bringen wird.

Dies gilt vor allem von Deutschland, auf das wir, wie billig, bei unsrer
Rückschau zunächst die Blicke wenden. Gleich die erste Woche des Jahres brachte
den königlichen Erlaß vom 4. Januar, der, gleichsam ein Kommentar zu der
kaiserlichen Botschaft, mit welcher der neugewählte Reichstag eröffnet worden
war, die staatsrechtliche Stellung der Könige von Preußen, wie sie sich aus
der Verfassung ergiebt, in klaren, bündigen Worten charakterisirte und in seinem
zweiten Teile das Verhältnis des Staatsoberhauptes zu seinen Beamten definirte.
Das Manifest richtete sich gegen die Liberalen, namentlich gegen die Fortschritts¬
partei, deren parlamentarische Koryphäen und deren Prcßorganc bemüht gewesen
waren, jenes verfassungsmäßige Recht und jenes Verhältnis zu verdunkeln. Zum
erstenmale erging unmittelbar aus königlichem Munde an die Minister, die
Parlamente und das Volk in Preußen und ganz Deutschland das Wort: Der
König, der Kaiser herrscht nicht bloß, wie in England, svfldern regiert auch,
seine Äußerungen und Handlungen sind selbständige Willensnkte, er ist kein
stummes Prinzip, kein bloßer Repräsentant der Monarchie, sondern eine leben¬
dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht


Grenzboten 1. 1883. 1


Das vergangne Jahr.

as Jahr, welches in diesen Tagen zu Ende geht, erscheint nicht
eben als ein epochemachendes in'der Geschichte, Weder einen
großen Krieg noch eine politische Umwälzung noch eine neue
Staatenbildung hat es gesehen. Dennoch war es keine Zeit des
Stillstandes, die es im Leben zivilisirter Völker überhaupt nicht
giebt, und wie in ihm manches vollendet wurde, was vor .ihm ins Werk gesetzt
worden ist, so wurde andres in ihm begonnen, was eine nähere oder fernere
Zukunft zur Reife bringen wird.

Dies gilt vor allem von Deutschland, auf das wir, wie billig, bei unsrer
Rückschau zunächst die Blicke wenden. Gleich die erste Woche des Jahres brachte
den königlichen Erlaß vom 4. Januar, der, gleichsam ein Kommentar zu der
kaiserlichen Botschaft, mit welcher der neugewählte Reichstag eröffnet worden
war, die staatsrechtliche Stellung der Könige von Preußen, wie sie sich aus
der Verfassung ergiebt, in klaren, bündigen Worten charakterisirte und in seinem
zweiten Teile das Verhältnis des Staatsoberhauptes zu seinen Beamten definirte.
Das Manifest richtete sich gegen die Liberalen, namentlich gegen die Fortschritts¬
partei, deren parlamentarische Koryphäen und deren Prcßorganc bemüht gewesen
waren, jenes verfassungsmäßige Recht und jenes Verhältnis zu verdunkeln. Zum
erstenmale erging unmittelbar aus königlichem Munde an die Minister, die
Parlamente und das Volk in Preußen und ganz Deutschland das Wort: Der
König, der Kaiser herrscht nicht bloß, wie in England, svfldern regiert auch,
seine Äußerungen und Handlungen sind selbständige Willensnkte, er ist kein
stummes Prinzip, kein bloßer Repräsentant der Monarchie, sondern eine leben¬
dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht


Grenzboten 1. 1883. 1
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[0009] [Abbildung] Das vergangne Jahr. as Jahr, welches in diesen Tagen zu Ende geht, erscheint nicht eben als ein epochemachendes in'der Geschichte, Weder einen großen Krieg noch eine politische Umwälzung noch eine neue Staatenbildung hat es gesehen. Dennoch war es keine Zeit des Stillstandes, die es im Leben zivilisirter Völker überhaupt nicht giebt, und wie in ihm manches vollendet wurde, was vor .ihm ins Werk gesetzt worden ist, so wurde andres in ihm begonnen, was eine nähere oder fernere Zukunft zur Reife bringen wird. Dies gilt vor allem von Deutschland, auf das wir, wie billig, bei unsrer Rückschau zunächst die Blicke wenden. Gleich die erste Woche des Jahres brachte den königlichen Erlaß vom 4. Januar, der, gleichsam ein Kommentar zu der kaiserlichen Botschaft, mit welcher der neugewählte Reichstag eröffnet worden war, die staatsrechtliche Stellung der Könige von Preußen, wie sie sich aus der Verfassung ergiebt, in klaren, bündigen Worten charakterisirte und in seinem zweiten Teile das Verhältnis des Staatsoberhauptes zu seinen Beamten definirte. Das Manifest richtete sich gegen die Liberalen, namentlich gegen die Fortschritts¬ partei, deren parlamentarische Koryphäen und deren Prcßorganc bemüht gewesen waren, jenes verfassungsmäßige Recht und jenes Verhältnis zu verdunkeln. Zum erstenmale erging unmittelbar aus königlichem Munde an die Minister, die Parlamente und das Volk in Preußen und ganz Deutschland das Wort: Der König, der Kaiser herrscht nicht bloß, wie in England, svfldern regiert auch, seine Äußerungen und Handlungen sind selbständige Willensnkte, er ist kein stummes Prinzip, kein bloßer Repräsentant der Monarchie, sondern eine leben¬ dige Persönlichkeit mit einer Meinung und einem Willen, mit denen er nicht Grenzboten 1. 1883. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/9>, abgerufen am 06.05.2024.