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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Line Geschichte der amerikanischen Literatur.

soll sich stets gegenwärtig halten, daß alles, was möglich ist, auch wirklich werden
kann. Sie sind für keine Zeit verloren, und wähnen wir uns den Gefahren
fern, von denen sie erzählen, so darf das nur ein Anlaß sein, sie leidenschafts¬
loser, nicht aber, sie weniger aufmerksam zu betrachten."




Eine Geschichte der amerikanischen Literatur.

er Professor der englischen Literatur an der Universität Glasgow,
John Nichol. hat einen beachtenswerten Versuch einer Darstellung
der nordamerikanischen Literatur gemacht.*) Er ist damit den
Amerikanern selber zuvorgekommen; denn bis heute giebt es keine
auf amerikanischem Boden entstandene Geschichte der amerikanischen
Literatur, welche den ganzen Gegenstand vom Anfang bis zur Gegenwart in
einer für den größern Leserkreis geschriebenen Form ausführlich und übersichtlich
behandelt. Die Schriften neuerer Kenner ihrer heimatlichen amerikanischen Li¬
teratur: Griswold, Curtis, Whipple, Stedmann u. a. beschäftigen sich meist
nur mit einzelnen Gruppen und Abschnitten, oder sie sind zu wenig erschöpfend
und kritisch; Duyckings großes Werk ist eine Encyklopädie, und Professor
Tylers amerikanische Literaturgeschichte ist so groß angelegt, daß eine Fort¬
führung bis zur Gegenwart nicht zu erwarten steht; die beiden ersten Bände,
die bis jetzt erschienen sind, gehen nicht über die Kolonialperiode hinaus. Da
die deutsche Literatur vollends arm ist an Beiträgen zur Geschichte der
amerikanischen, die wirklich aus den Quellen geschöpft sind, so ist umsomehr
Grund vorhanden, der Nicholschen Geschichte Beachtung zu schenken. Der Ver¬
fasser bezeichnet sein Werk nicht als Geschichte der amerikanischen Literatur, son¬
dern bescheidener als historische Skizze. Es steht das fast im Widerspruch mit
dem starken, gegen 500 Seiten betragenden Umfang des Werkes, kennzeichnet
aber richtig den versuchsartigen Charakter desselben. Zu einem vollkommenen
Geschichtsbilde sehlt demselben in der That manches. Man sieht ihm an, daß
es nicht aus einem Gusse entstanden ist. Einzelne Abschnitte sind aus Vor¬
lesungen hervorgegangen, andre sind wenig geänderte Abdrücke älterer für die
Lu<zMoxg,<ZÄig> witÄNineg. geschriebener Aufsätze. So waren Zeit, Anlaß und
Stimmung wechselnde, und die Überarbeitung hat dies nicht ganz aus dem
Buche verwischt. Seine persönlichen Eindrücke der amerikanischen Kultur hat



^msrioAi liiomwrv, ^ lüstoriMl "ItvtoK. 1620--1880. ZZäinImrg'Il, 1882.
Line Geschichte der amerikanischen Literatur.

soll sich stets gegenwärtig halten, daß alles, was möglich ist, auch wirklich werden
kann. Sie sind für keine Zeit verloren, und wähnen wir uns den Gefahren
fern, von denen sie erzählen, so darf das nur ein Anlaß sein, sie leidenschafts¬
loser, nicht aber, sie weniger aufmerksam zu betrachten."




Eine Geschichte der amerikanischen Literatur.

er Professor der englischen Literatur an der Universität Glasgow,
John Nichol. hat einen beachtenswerten Versuch einer Darstellung
der nordamerikanischen Literatur gemacht.*) Er ist damit den
Amerikanern selber zuvorgekommen; denn bis heute giebt es keine
auf amerikanischem Boden entstandene Geschichte der amerikanischen
Literatur, welche den ganzen Gegenstand vom Anfang bis zur Gegenwart in
einer für den größern Leserkreis geschriebenen Form ausführlich und übersichtlich
behandelt. Die Schriften neuerer Kenner ihrer heimatlichen amerikanischen Li¬
teratur: Griswold, Curtis, Whipple, Stedmann u. a. beschäftigen sich meist
nur mit einzelnen Gruppen und Abschnitten, oder sie sind zu wenig erschöpfend
und kritisch; Duyckings großes Werk ist eine Encyklopädie, und Professor
Tylers amerikanische Literaturgeschichte ist so groß angelegt, daß eine Fort¬
führung bis zur Gegenwart nicht zu erwarten steht; die beiden ersten Bände,
die bis jetzt erschienen sind, gehen nicht über die Kolonialperiode hinaus. Da
die deutsche Literatur vollends arm ist an Beiträgen zur Geschichte der
amerikanischen, die wirklich aus den Quellen geschöpft sind, so ist umsomehr
Grund vorhanden, der Nicholschen Geschichte Beachtung zu schenken. Der Ver¬
fasser bezeichnet sein Werk nicht als Geschichte der amerikanischen Literatur, son¬
dern bescheidener als historische Skizze. Es steht das fast im Widerspruch mit
dem starken, gegen 500 Seiten betragenden Umfang des Werkes, kennzeichnet
aber richtig den versuchsartigen Charakter desselben. Zu einem vollkommenen
Geschichtsbilde sehlt demselben in der That manches. Man sieht ihm an, daß
es nicht aus einem Gusse entstanden ist. Einzelne Abschnitte sind aus Vor¬
lesungen hervorgegangen, andre sind wenig geänderte Abdrücke älterer für die
Lu<zMoxg,<ZÄig> witÄNineg. geschriebener Aufsätze. So waren Zeit, Anlaß und
Stimmung wechselnde, und die Überarbeitung hat dies nicht ganz aus dem
Buche verwischt. Seine persönlichen Eindrücke der amerikanischen Kultur hat



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[0566] Line Geschichte der amerikanischen Literatur. soll sich stets gegenwärtig halten, daß alles, was möglich ist, auch wirklich werden kann. Sie sind für keine Zeit verloren, und wähnen wir uns den Gefahren fern, von denen sie erzählen, so darf das nur ein Anlaß sein, sie leidenschafts¬ loser, nicht aber, sie weniger aufmerksam zu betrachten." Eine Geschichte der amerikanischen Literatur. er Professor der englischen Literatur an der Universität Glasgow, John Nichol. hat einen beachtenswerten Versuch einer Darstellung der nordamerikanischen Literatur gemacht.*) Er ist damit den Amerikanern selber zuvorgekommen; denn bis heute giebt es keine auf amerikanischem Boden entstandene Geschichte der amerikanischen Literatur, welche den ganzen Gegenstand vom Anfang bis zur Gegenwart in einer für den größern Leserkreis geschriebenen Form ausführlich und übersichtlich behandelt. Die Schriften neuerer Kenner ihrer heimatlichen amerikanischen Li¬ teratur: Griswold, Curtis, Whipple, Stedmann u. a. beschäftigen sich meist nur mit einzelnen Gruppen und Abschnitten, oder sie sind zu wenig erschöpfend und kritisch; Duyckings großes Werk ist eine Encyklopädie, und Professor Tylers amerikanische Literaturgeschichte ist so groß angelegt, daß eine Fort¬ führung bis zur Gegenwart nicht zu erwarten steht; die beiden ersten Bände, die bis jetzt erschienen sind, gehen nicht über die Kolonialperiode hinaus. Da die deutsche Literatur vollends arm ist an Beiträgen zur Geschichte der amerikanischen, die wirklich aus den Quellen geschöpft sind, so ist umsomehr Grund vorhanden, der Nicholschen Geschichte Beachtung zu schenken. Der Ver¬ fasser bezeichnet sein Werk nicht als Geschichte der amerikanischen Literatur, son¬ dern bescheidener als historische Skizze. Es steht das fast im Widerspruch mit dem starken, gegen 500 Seiten betragenden Umfang des Werkes, kennzeichnet aber richtig den versuchsartigen Charakter desselben. Zu einem vollkommenen Geschichtsbilde sehlt demselben in der That manches. Man sieht ihm an, daß es nicht aus einem Gusse entstanden ist. Einzelne Abschnitte sind aus Vor¬ lesungen hervorgegangen, andre sind wenig geänderte Abdrücke älterer für die Lu<zMoxg,<ZÄig> witÄNineg. geschriebener Aufsätze. So waren Zeit, Anlaß und Stimmung wechselnde, und die Überarbeitung hat dies nicht ganz aus dem Buche verwischt. Seine persönlichen Eindrücke der amerikanischen Kultur hat ^msrioAi liiomwrv, ^ lüstoriMl »ItvtoK. 1620—1880. ZZäinImrg'Il, 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/566>, abgerufen am 03.05.2024.