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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Staatsanwalt und Fortschritt.

er Prozeß Dickhoff in Berlin hat dem Staatsanzeiger für Wür-
temberg, dem amtlichen Organ der würtembergischen Regierung,
in seiner Nummer 273 vom 23. November 1883 Veranlassung
zu folgender Äußerung gegeben:

-s" Dieser Prozeß hat Zustände der Berliner Verbrecherwelt beleuchtet,
die dem Publikum und leider auch der Kriminalpolizei unbekannt waren. Die Kreuz¬
zeitung meint, diese schlimme Entwicklung sei im wesentlichen das Erzeugnis der
letzten zehn Jahre, einer Zeit mithin, welche in ihrer ersten Hälfte wenigstens ganz
unter der Herrschaft des politischen und wirtschaftlichen Mcmchestertnms stand 'und
deshalb aller Waffen entbehrte, wie sie zur wirksamen Bekämpfung so entsetzlicher
Übel nötig sind. Hiergegen schreibt die Frankfurter Zeitung: "Der Ausspruch der
Kreuzzeitung ist eine sinnlose, unerhörte Schmähung und Verdächtigung politischer
Gegner, denn die Zeitung kann nicht behaupten, daß das Manchestertum an den
Gesetzen, welche die Verfolgung und Bestrafung von Mördern betreffen, irgend
etwas geändert habe." Man kann das zugeben, aber es doch charakteristisch finden,
daß der Liberalismus stets geneigt ist, die Rcichsstrafprozeßordnung deshalb zu be¬
mängeln, weil sie angeblich der Staatsanwaltschaft zuviel Recht gegenüber dem
Angeklagten einräume. Wenn es dem Liberalismus noch nicht gelungen ist, an
den die Verfolgung von Mördern bezweckenden Gesetzen etwas zu ändern, so
fehlt es wenigstens demselben nicht an dem guten Willen dazu.

In derselben Nummer des Staatsanzeigers war das am 21. November in
Stuttgart verübte Verbrechen eines von vier Burschen in einer belebten Straße
mit ganz hervorragender Frechheit begangenen Naubmordanfallcs auf einen
Bankier und auf eine weitere Person mitgeteilt, welche kurz vor sechs Uhr
abends in dem erleuchteten, von der Straße aus übersehbaren Geschäftsräume
von den Räubern mit Bleihämmern niedergeschlagen, lebensgefährlich verletzt und
un> etwa 10000 Mark beraubt worden siud.


Grmzl-oder IV. 1883. 81


Staatsanwalt und Fortschritt.

er Prozeß Dickhoff in Berlin hat dem Staatsanzeiger für Wür-
temberg, dem amtlichen Organ der würtembergischen Regierung,
in seiner Nummer 273 vom 23. November 1883 Veranlassung
zu folgender Äußerung gegeben:

-s» Dieser Prozeß hat Zustände der Berliner Verbrecherwelt beleuchtet,
die dem Publikum und leider auch der Kriminalpolizei unbekannt waren. Die Kreuz¬
zeitung meint, diese schlimme Entwicklung sei im wesentlichen das Erzeugnis der
letzten zehn Jahre, einer Zeit mithin, welche in ihrer ersten Hälfte wenigstens ganz
unter der Herrschaft des politischen und wirtschaftlichen Mcmchestertnms stand 'und
deshalb aller Waffen entbehrte, wie sie zur wirksamen Bekämpfung so entsetzlicher
Übel nötig sind. Hiergegen schreibt die Frankfurter Zeitung: „Der Ausspruch der
Kreuzzeitung ist eine sinnlose, unerhörte Schmähung und Verdächtigung politischer
Gegner, denn die Zeitung kann nicht behaupten, daß das Manchestertum an den
Gesetzen, welche die Verfolgung und Bestrafung von Mördern betreffen, irgend
etwas geändert habe." Man kann das zugeben, aber es doch charakteristisch finden,
daß der Liberalismus stets geneigt ist, die Rcichsstrafprozeßordnung deshalb zu be¬
mängeln, weil sie angeblich der Staatsanwaltschaft zuviel Recht gegenüber dem
Angeklagten einräume. Wenn es dem Liberalismus noch nicht gelungen ist, an
den die Verfolgung von Mördern bezweckenden Gesetzen etwas zu ändern, so
fehlt es wenigstens demselben nicht an dem guten Willen dazu.

In derselben Nummer des Staatsanzeigers war das am 21. November in
Stuttgart verübte Verbrechen eines von vier Burschen in einer belebten Straße
mit ganz hervorragender Frechheit begangenen Naubmordanfallcs auf einen
Bankier und auf eine weitere Person mitgeteilt, welche kurz vor sechs Uhr
abends in dem erleuchteten, von der Straße aus übersehbaren Geschäftsräume
von den Räubern mit Bleihämmern niedergeschlagen, lebensgefährlich verletzt und
un> etwa 10000 Mark beraubt worden siud.


Grmzl-oder IV. 1883. 81
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[0651] [Abbildung] Staatsanwalt und Fortschritt. er Prozeß Dickhoff in Berlin hat dem Staatsanzeiger für Wür- temberg, dem amtlichen Organ der würtembergischen Regierung, in seiner Nummer 273 vom 23. November 1883 Veranlassung zu folgender Äußerung gegeben: -s» Dieser Prozeß hat Zustände der Berliner Verbrecherwelt beleuchtet, die dem Publikum und leider auch der Kriminalpolizei unbekannt waren. Die Kreuz¬ zeitung meint, diese schlimme Entwicklung sei im wesentlichen das Erzeugnis der letzten zehn Jahre, einer Zeit mithin, welche in ihrer ersten Hälfte wenigstens ganz unter der Herrschaft des politischen und wirtschaftlichen Mcmchestertnms stand 'und deshalb aller Waffen entbehrte, wie sie zur wirksamen Bekämpfung so entsetzlicher Übel nötig sind. Hiergegen schreibt die Frankfurter Zeitung: „Der Ausspruch der Kreuzzeitung ist eine sinnlose, unerhörte Schmähung und Verdächtigung politischer Gegner, denn die Zeitung kann nicht behaupten, daß das Manchestertum an den Gesetzen, welche die Verfolgung und Bestrafung von Mördern betreffen, irgend etwas geändert habe." Man kann das zugeben, aber es doch charakteristisch finden, daß der Liberalismus stets geneigt ist, die Rcichsstrafprozeßordnung deshalb zu be¬ mängeln, weil sie angeblich der Staatsanwaltschaft zuviel Recht gegenüber dem Angeklagten einräume. Wenn es dem Liberalismus noch nicht gelungen ist, an den die Verfolgung von Mördern bezweckenden Gesetzen etwas zu ändern, so fehlt es wenigstens demselben nicht an dem guten Willen dazu. In derselben Nummer des Staatsanzeigers war das am 21. November in Stuttgart verübte Verbrechen eines von vier Burschen in einer belebten Straße mit ganz hervorragender Frechheit begangenen Naubmordanfallcs auf einen Bankier und auf eine weitere Person mitgeteilt, welche kurz vor sechs Uhr abends in dem erleuchteten, von der Straße aus übersehbaren Geschäftsräume von den Räubern mit Bleihämmern niedergeschlagen, lebensgefährlich verletzt und un> etwa 10000 Mark beraubt worden siud. Grmzl-oder IV. 1883. 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/651>, abgerufen am 03.05.2024.