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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Belgische und holländische Verlegenheiten.

elgien und dem benachbarten Holland erging es nach allerhand
stürmischen Zeiten seit etwa einem Menschenalter wie guten Frauen,
von denen die Welt am wenigsten spricht. Sie gediehen zusehends,
wurden immer wohlhabender, fanden sich immer besser in das
Schicksal, das sie, die einst vereinten, getrennt hatte, und spielten
dabei weder in der großen Politik noch in den Spalten der auswärtigen Zeitungen
eine Rolle. In Holland gab es häufig Ministerwechscl, in Belgien hin und
wieder einen Zank der herrschenden Liberalen mit dem Vatikan und seinen
Parteigängern, aber niemand außerhalb dieser modernen Phäakenländer hatte
groß Acht auf jene an ihrem sonnigen Himmel zuweilen aufsteigenden und wieder
verschwindenden Wölkchen; sie schienen nur zu kommen, damit es den beiden
kleinen Völkern nicht allzuwohl ergehe und ihr Leben nicht zum Negctiren werde.

Jetzt ist diese behagliche Ruhe bei beiden plötzlich unterbrochen worden, in
Belgien durch das überraschende Ergebnis der Kammerwahlcn, das den Libera¬
lismus vom Staatsruder vertrieben, in Holland durch die schwere Erkrankung
eines Prinzen, welche das Land mit dem Aussterben seiner Dynastie bedroht
hat. Hier wie dort giebt es Beklemmungen, Verlegenheiten und Klagen, von
denen auch wir Deutschen einigermaßen Notiz nehmen müssen. Namentlich gilt
dies von dem Lande unsrer werten Vettern, der Mynheers, insofern gewisse
englische und französische Zeitungsstimmen die Verlegenheit derselben zum Anlaß
genommen haben, die deutsche Politik schlimmer Absichten in bezug auf deren
Selbständigkeit zu verdächtigen.

Vor ein paar Jahren feierte man in Brüssel den Gedenktag einer Scheidung,
die ein halbes Jahrhundert vorher die Ehe zwischen Holland und Belgien ge-


Grmzbotm III- 1834. 1


Belgische und holländische Verlegenheiten.

elgien und dem benachbarten Holland erging es nach allerhand
stürmischen Zeiten seit etwa einem Menschenalter wie guten Frauen,
von denen die Welt am wenigsten spricht. Sie gediehen zusehends,
wurden immer wohlhabender, fanden sich immer besser in das
Schicksal, das sie, die einst vereinten, getrennt hatte, und spielten
dabei weder in der großen Politik noch in den Spalten der auswärtigen Zeitungen
eine Rolle. In Holland gab es häufig Ministerwechscl, in Belgien hin und
wieder einen Zank der herrschenden Liberalen mit dem Vatikan und seinen
Parteigängern, aber niemand außerhalb dieser modernen Phäakenländer hatte
groß Acht auf jene an ihrem sonnigen Himmel zuweilen aufsteigenden und wieder
verschwindenden Wölkchen; sie schienen nur zu kommen, damit es den beiden
kleinen Völkern nicht allzuwohl ergehe und ihr Leben nicht zum Negctiren werde.

Jetzt ist diese behagliche Ruhe bei beiden plötzlich unterbrochen worden, in
Belgien durch das überraschende Ergebnis der Kammerwahlcn, das den Libera¬
lismus vom Staatsruder vertrieben, in Holland durch die schwere Erkrankung
eines Prinzen, welche das Land mit dem Aussterben seiner Dynastie bedroht
hat. Hier wie dort giebt es Beklemmungen, Verlegenheiten und Klagen, von
denen auch wir Deutschen einigermaßen Notiz nehmen müssen. Namentlich gilt
dies von dem Lande unsrer werten Vettern, der Mynheers, insofern gewisse
englische und französische Zeitungsstimmen die Verlegenheit derselben zum Anlaß
genommen haben, die deutsche Politik schlimmer Absichten in bezug auf deren
Selbständigkeit zu verdächtigen.

Vor ein paar Jahren feierte man in Brüssel den Gedenktag einer Scheidung,
die ein halbes Jahrhundert vorher die Ehe zwischen Holland und Belgien ge-


Grmzbotm III- 1834. 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/9>, abgerufen am 02.05.2024.