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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfi'Secrs Mühle.

Papas wahrhaftig nicht an. Ich zog sofort meinen Stuhl um den Tisch herum
an ihre Seite und legte naturgemäß den Arm um sie; und sie hatte den Kopf
an meine Schulter gelegt, und der Regen regnete immer zu, und wir ließen
ihn glückselig dabei.

O, wie konntest du nur so sein, und denken, daß ich es nicht ganz genau
weiß, wie gut und lieb wir das jetzt hier haben in deiner Mühle, und wie
traurig das ist, daß wir es hier nie so wieder haben können! flüsterte sie. Und
es ist auch ganz recht von dir, daß du jetzt im letzten Augenblick noch einmal
alles aufschreibst, was du in ihr erlebt hast, und ich freue mich auch schon ans
den Winter in der Stadt, wo du es mir hoffentlich im Zusammenhang vorlesen
wirst, wenn auch Herr und Frau Asche dabei sein werden; aber ein klein, klein
bischen mehr könntest du wirklich wohl jetzt mit mir darüber reden, wo ich
allein bei dir bin und wir alles rundum so himmlisch behaglich und melancho¬
lisch für uns allein haben. Ob es dabei regnet, schneit, oder ob die Sonne
scheint, das ist mir ganz einerlei, du alter, scheußlicher Langweiler!

Das liebe Wort oder vielmehr die reizende Strafpredigt des Kindes hatte
ihre Berechtigung; aber an "jenem Tage" hatte sie nur die Wirkung, die das
Buch Galeotto beim scheußlichen alten Langweiler Dante Alighieri auf seinen
Paul Böskopf aus Rimini und sein zärtlich Fränzchen von Mehlbrei aus Ra-
venna ausübte. Wir fanden etwas besseres zu thun, als einander gegenüber
oder neben einander zu lesen, Putzmacherei zu treiben oder gar närrisches Zeug
für den Winterofen zu Papiere zu bringen. Aber sein Recht und seinen Willen
bekam das liebe Herz zwischen gutem und schlechtem Wetter, zwischen Tagen
und Nächten, im Hause und draußen, unter den Gartenbäumen an den stillen
Tischen, unter den Weiden dem Bach entlang, auf den Wiesen und zwischen den
Ahrenfeldern. Ich habe es meiner Frau ziemlich genau von Mund zu Ohr er¬
zählt, was ich zwischendurch denn doch auch auf diesen Blättern für den mög¬
lichen Winter meines Lebens an lustigen und traurigen, tröstlichen, warnenden,
belehrenden Erinnerungen in meines Vaters Mühle dauerhaft in bleibenden
Bildern in goldnem Rahmen zusammensuchte und trug.


Daß man der Dornen acht',
Das haben die Rosen gemacht.



Siebentes Blatt.
Da trippelten den Bach entlang
Gar wunderliche Gäste

heißt es in dem Liede, und zwar "bei Sonnenuntergang", wie es in demselben
wunderlichen Liede heißt. Mir lag freilich noch die volle Morgen- und Mittags¬
sonne auf meines Vaters Hause und der Umgegend, während um den Vater
selbst die Schatten schon wuchsen. Aber es war noch mein Recht, keine Ahnung
davon zu haben oder doch nicht darauf zu achten: ich habe noch nach der glück-


Pfi'Secrs Mühle.

Papas wahrhaftig nicht an. Ich zog sofort meinen Stuhl um den Tisch herum
an ihre Seite und legte naturgemäß den Arm um sie; und sie hatte den Kopf
an meine Schulter gelegt, und der Regen regnete immer zu, und wir ließen
ihn glückselig dabei.

O, wie konntest du nur so sein, und denken, daß ich es nicht ganz genau
weiß, wie gut und lieb wir das jetzt hier haben in deiner Mühle, und wie
traurig das ist, daß wir es hier nie so wieder haben können! flüsterte sie. Und
es ist auch ganz recht von dir, daß du jetzt im letzten Augenblick noch einmal
alles aufschreibst, was du in ihr erlebt hast, und ich freue mich auch schon ans
den Winter in der Stadt, wo du es mir hoffentlich im Zusammenhang vorlesen
wirst, wenn auch Herr und Frau Asche dabei sein werden; aber ein klein, klein
bischen mehr könntest du wirklich wohl jetzt mit mir darüber reden, wo ich
allein bei dir bin und wir alles rundum so himmlisch behaglich und melancho¬
lisch für uns allein haben. Ob es dabei regnet, schneit, oder ob die Sonne
scheint, das ist mir ganz einerlei, du alter, scheußlicher Langweiler!

Das liebe Wort oder vielmehr die reizende Strafpredigt des Kindes hatte
ihre Berechtigung; aber an „jenem Tage" hatte sie nur die Wirkung, die das
Buch Galeotto beim scheußlichen alten Langweiler Dante Alighieri auf seinen
Paul Böskopf aus Rimini und sein zärtlich Fränzchen von Mehlbrei aus Ra-
venna ausübte. Wir fanden etwas besseres zu thun, als einander gegenüber
oder neben einander zu lesen, Putzmacherei zu treiben oder gar närrisches Zeug
für den Winterofen zu Papiere zu bringen. Aber sein Recht und seinen Willen
bekam das liebe Herz zwischen gutem und schlechtem Wetter, zwischen Tagen
und Nächten, im Hause und draußen, unter den Gartenbäumen an den stillen
Tischen, unter den Weiden dem Bach entlang, auf den Wiesen und zwischen den
Ahrenfeldern. Ich habe es meiner Frau ziemlich genau von Mund zu Ohr er¬
zählt, was ich zwischendurch denn doch auch auf diesen Blättern für den mög¬
lichen Winter meines Lebens an lustigen und traurigen, tröstlichen, warnenden,
belehrenden Erinnerungen in meines Vaters Mühle dauerhaft in bleibenden
Bildern in goldnem Rahmen zusammensuchte und trug.


Daß man der Dornen acht',
Das haben die Rosen gemacht.



Siebentes Blatt.
Da trippelten den Bach entlang
Gar wunderliche Gäste

heißt es in dem Liede, und zwar „bei Sonnenuntergang", wie es in demselben
wunderlichen Liede heißt. Mir lag freilich noch die volle Morgen- und Mittags¬
sonne auf meines Vaters Hause und der Umgegend, während um den Vater
selbst die Schatten schon wuchsen. Aber es war noch mein Recht, keine Ahnung
davon zu haben oder doch nicht darauf zu achten: ich habe noch nach der glück-


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[0106] Pfi'Secrs Mühle. Papas wahrhaftig nicht an. Ich zog sofort meinen Stuhl um den Tisch herum an ihre Seite und legte naturgemäß den Arm um sie; und sie hatte den Kopf an meine Schulter gelegt, und der Regen regnete immer zu, und wir ließen ihn glückselig dabei. O, wie konntest du nur so sein, und denken, daß ich es nicht ganz genau weiß, wie gut und lieb wir das jetzt hier haben in deiner Mühle, und wie traurig das ist, daß wir es hier nie so wieder haben können! flüsterte sie. Und es ist auch ganz recht von dir, daß du jetzt im letzten Augenblick noch einmal alles aufschreibst, was du in ihr erlebt hast, und ich freue mich auch schon ans den Winter in der Stadt, wo du es mir hoffentlich im Zusammenhang vorlesen wirst, wenn auch Herr und Frau Asche dabei sein werden; aber ein klein, klein bischen mehr könntest du wirklich wohl jetzt mit mir darüber reden, wo ich allein bei dir bin und wir alles rundum so himmlisch behaglich und melancho¬ lisch für uns allein haben. Ob es dabei regnet, schneit, oder ob die Sonne scheint, das ist mir ganz einerlei, du alter, scheußlicher Langweiler! Das liebe Wort oder vielmehr die reizende Strafpredigt des Kindes hatte ihre Berechtigung; aber an „jenem Tage" hatte sie nur die Wirkung, die das Buch Galeotto beim scheußlichen alten Langweiler Dante Alighieri auf seinen Paul Böskopf aus Rimini und sein zärtlich Fränzchen von Mehlbrei aus Ra- venna ausübte. Wir fanden etwas besseres zu thun, als einander gegenüber oder neben einander zu lesen, Putzmacherei zu treiben oder gar närrisches Zeug für den Winterofen zu Papiere zu bringen. Aber sein Recht und seinen Willen bekam das liebe Herz zwischen gutem und schlechtem Wetter, zwischen Tagen und Nächten, im Hause und draußen, unter den Gartenbäumen an den stillen Tischen, unter den Weiden dem Bach entlang, auf den Wiesen und zwischen den Ahrenfeldern. Ich habe es meiner Frau ziemlich genau von Mund zu Ohr er¬ zählt, was ich zwischendurch denn doch auch auf diesen Blättern für den mög¬ lichen Winter meines Lebens an lustigen und traurigen, tröstlichen, warnenden, belehrenden Erinnerungen in meines Vaters Mühle dauerhaft in bleibenden Bildern in goldnem Rahmen zusammensuchte und trug. Daß man der Dornen acht', Das haben die Rosen gemacht. Siebentes Blatt. Da trippelten den Bach entlang Gar wunderliche Gäste heißt es in dem Liede, und zwar „bei Sonnenuntergang", wie es in demselben wunderlichen Liede heißt. Mir lag freilich noch die volle Morgen- und Mittags¬ sonne auf meines Vaters Hause und der Umgegend, während um den Vater selbst die Schatten schon wuchsen. Aber es war noch mein Recht, keine Ahnung davon zu haben oder doch nicht darauf zu achten: ich habe noch nach der glück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/106>, abgerufen am 07.05.2024.