Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Pfisters Mühle.

gemütlichen Promenade besaß, und daß die Büsche um die alten Kors as oou-
oours gesetzten Grabstellen sehr hoch und dicht ineinander verwachsen waren,
und daß Emmy und ich ganz genau sämtliche Flecke hinter ihnen zu kennen
glaubten, wo man sich auch gegen die Fenster und die Naseweisheit des um¬
liegenden Stadtteiles gedeckt hoffen konnte. Daß wir bald gern in diesen engen
grünen Gängen dem Papa den Vortritt ließen und etwas hinter ihm zurück¬
blieben, vorzüglich an den Wendungen der Wege, ist eine vergnügliche, wonnige
Thatsache. Und daß ich für meine Person es nie gewesen bin, der den Herrn
Nechnungsrat in seinen kuriosen Betrachtungen durch Fragen oder gar den Ruf:
So laufen Sie doch nicht so, werter Greis! unterbrach, ist gleichfalls ein Faktum.
Es war schon störend genug, daß zuerst Emmy mich unterbrach und, das rosige
Mündchen schen und schamig zurllckbiegend, ängstlich flüsterte:

O, wie kannst du nur so sein! . . o bitte! und gar hier auf dem Kirch¬
hofe! . .

Ja, es ist eine historische Thatsache, daß ich damals so gewesen bin, und
glücklicherweise ändert nichts, was uns in Zukunft noch begegnen mag, das Ge¬
ringste mehr dran. Und es ist richtig, daß ich auf jenem Kirchhofe so war,
nach welchem Emmy sich heute, während der Landregen ununterbrochen auf
Pfisters Mühle herabrauscht, süß-schmollend, so sehr und dazu so lieblich schmeichel¬
haft für mich zurücksehnt.

Und dessenungeachtet habe ich durchaus keine Lust, den ganzen heutigen
Tag mit ihr dort zuzubringen, welche Lust zu ähnlichem Verweilen ich auch
unter besagten Umständen damals dazu haben mochte. Wohl fällt ein goldnes
Licht, ein wonnigliches Glänzen aus der Zeit unsrer jungen Liebe auf jenes
Land Lemuria zwischen den nüchternen Häusermauern und unter den neugierigen
Fenstern der sich ins Unbestimmte ausbreitenden Stadt Berlin; aber wir sind
doch eigentlich nicht nach Pfisters Mühle gekommen, um nach dem Verbleiben
jenes Bildes zu fragen.

Was für ein Gesicht ich zu der letzten Überlegung geschnitten haben muß,
erfuhr ich nicht dadurch, daß ich in den Spiegel sah, sondern auf eine viel
angenehmere Weise. Es siel nämlich drüben an der andern Seite des kleinen
Tisches der langzackige Battist- oder Leinwandstreifen in den Schooß, und eine
kleine Hand kam über den Tisch herüber und strich mir über die Stirn, nachdem
mich zwei ihrer Finger an der Nase gefaßt hatten; und Frau Emmy Pfister,
geborene Schulze rief:

O, nun guck ihn einer an! . . . Willst du wohl?.... Daß du mir auf der
Stelle eine andre Miene machst! Das fehlte mir gerade noch! Drei Tage
Regen draußen und drei auf deinem Brummbärengesicht sind sechs, und das
solltest du mir selbst jetzt, wo wir schon so lange mit einander verheiratet sind,
nicht anthun wollen! -- Und ich that es der rechenkundigen Tochter meiner ver¬
storbenen Schwiegermutter und meines noch recht lebendigen Herrn Schwicger-


Grenzbotm IV. 1884. 13
Pfisters Mühle.

gemütlichen Promenade besaß, und daß die Büsche um die alten Kors as oou-
oours gesetzten Grabstellen sehr hoch und dicht ineinander verwachsen waren,
und daß Emmy und ich ganz genau sämtliche Flecke hinter ihnen zu kennen
glaubten, wo man sich auch gegen die Fenster und die Naseweisheit des um¬
liegenden Stadtteiles gedeckt hoffen konnte. Daß wir bald gern in diesen engen
grünen Gängen dem Papa den Vortritt ließen und etwas hinter ihm zurück¬
blieben, vorzüglich an den Wendungen der Wege, ist eine vergnügliche, wonnige
Thatsache. Und daß ich für meine Person es nie gewesen bin, der den Herrn
Nechnungsrat in seinen kuriosen Betrachtungen durch Fragen oder gar den Ruf:
So laufen Sie doch nicht so, werter Greis! unterbrach, ist gleichfalls ein Faktum.
Es war schon störend genug, daß zuerst Emmy mich unterbrach und, das rosige
Mündchen schen und schamig zurllckbiegend, ängstlich flüsterte:

O, wie kannst du nur so sein! . . o bitte! und gar hier auf dem Kirch¬
hofe! . .

Ja, es ist eine historische Thatsache, daß ich damals so gewesen bin, und
glücklicherweise ändert nichts, was uns in Zukunft noch begegnen mag, das Ge¬
ringste mehr dran. Und es ist richtig, daß ich auf jenem Kirchhofe so war,
nach welchem Emmy sich heute, während der Landregen ununterbrochen auf
Pfisters Mühle herabrauscht, süß-schmollend, so sehr und dazu so lieblich schmeichel¬
haft für mich zurücksehnt.

Und dessenungeachtet habe ich durchaus keine Lust, den ganzen heutigen
Tag mit ihr dort zuzubringen, welche Lust zu ähnlichem Verweilen ich auch
unter besagten Umständen damals dazu haben mochte. Wohl fällt ein goldnes
Licht, ein wonnigliches Glänzen aus der Zeit unsrer jungen Liebe auf jenes
Land Lemuria zwischen den nüchternen Häusermauern und unter den neugierigen
Fenstern der sich ins Unbestimmte ausbreitenden Stadt Berlin; aber wir sind
doch eigentlich nicht nach Pfisters Mühle gekommen, um nach dem Verbleiben
jenes Bildes zu fragen.

Was für ein Gesicht ich zu der letzten Überlegung geschnitten haben muß,
erfuhr ich nicht dadurch, daß ich in den Spiegel sah, sondern auf eine viel
angenehmere Weise. Es siel nämlich drüben an der andern Seite des kleinen
Tisches der langzackige Battist- oder Leinwandstreifen in den Schooß, und eine
kleine Hand kam über den Tisch herüber und strich mir über die Stirn, nachdem
mich zwei ihrer Finger an der Nase gefaßt hatten; und Frau Emmy Pfister,
geborene Schulze rief:

O, nun guck ihn einer an! . . . Willst du wohl?.... Daß du mir auf der
Stelle eine andre Miene machst! Das fehlte mir gerade noch! Drei Tage
Regen draußen und drei auf deinem Brummbärengesicht sind sechs, und das
solltest du mir selbst jetzt, wo wir schon so lange mit einander verheiratet sind,
nicht anthun wollen! — Und ich that es der rechenkundigen Tochter meiner ver¬
storbenen Schwiegermutter und meines noch recht lebendigen Herrn Schwicger-


Grenzbotm IV. 1884. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157030"/>
            <fw type="header" place="top"> Pfisters Mühle.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_338" prev="#ID_337"> gemütlichen Promenade besaß, und daß die Büsche um die alten Kors as oou-<lb/>
oours gesetzten Grabstellen sehr hoch und dicht ineinander verwachsen waren,<lb/>
und daß Emmy und ich ganz genau sämtliche Flecke hinter ihnen zu kennen<lb/>
glaubten, wo man sich auch gegen die Fenster und die Naseweisheit des um¬<lb/>
liegenden Stadtteiles gedeckt hoffen konnte. Daß wir bald gern in diesen engen<lb/>
grünen Gängen dem Papa den Vortritt ließen und etwas hinter ihm zurück¬<lb/>
blieben, vorzüglich an den Wendungen der Wege, ist eine vergnügliche, wonnige<lb/>
Thatsache. Und daß ich für meine Person es nie gewesen bin, der den Herrn<lb/>
Nechnungsrat in seinen kuriosen Betrachtungen durch Fragen oder gar den Ruf:<lb/>
So laufen Sie doch nicht so, werter Greis! unterbrach, ist gleichfalls ein Faktum.<lb/>
Es war schon störend genug, daß zuerst Emmy mich unterbrach und, das rosige<lb/>
Mündchen schen und schamig zurllckbiegend, ängstlich flüsterte:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_339"> O, wie kannst du nur so sein! . . o bitte! und gar hier auf dem Kirch¬<lb/>
hofe! . .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_340"> Ja, es ist eine historische Thatsache, daß ich damals so gewesen bin, und<lb/>
glücklicherweise ändert nichts, was uns in Zukunft noch begegnen mag, das Ge¬<lb/>
ringste mehr dran. Und es ist richtig, daß ich auf jenem Kirchhofe so war,<lb/>
nach welchem Emmy sich heute, während der Landregen ununterbrochen auf<lb/>
Pfisters Mühle herabrauscht, süß-schmollend, so sehr und dazu so lieblich schmeichel¬<lb/>
haft für mich zurücksehnt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_341"> Und dessenungeachtet habe ich durchaus keine Lust, den ganzen heutigen<lb/>
Tag mit ihr dort zuzubringen, welche Lust zu ähnlichem Verweilen ich auch<lb/>
unter besagten Umständen damals dazu haben mochte. Wohl fällt ein goldnes<lb/>
Licht, ein wonnigliches Glänzen aus der Zeit unsrer jungen Liebe auf jenes<lb/>
Land Lemuria zwischen den nüchternen Häusermauern und unter den neugierigen<lb/>
Fenstern der sich ins Unbestimmte ausbreitenden Stadt Berlin; aber wir sind<lb/>
doch eigentlich nicht nach Pfisters Mühle gekommen, um nach dem Verbleiben<lb/>
jenes Bildes zu fragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_342"> Was für ein Gesicht ich zu der letzten Überlegung geschnitten haben muß,<lb/>
erfuhr ich nicht dadurch, daß ich in den Spiegel sah, sondern auf eine viel<lb/>
angenehmere Weise. Es siel nämlich drüben an der andern Seite des kleinen<lb/>
Tisches der langzackige Battist- oder Leinwandstreifen in den Schooß, und eine<lb/>
kleine Hand kam über den Tisch herüber und strich mir über die Stirn, nachdem<lb/>
mich zwei ihrer Finger an der Nase gefaßt hatten; und Frau Emmy Pfister,<lb/>
geborene Schulze rief:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_343" next="#ID_344"> O, nun guck ihn einer an! . . . Willst du wohl?.... Daß du mir auf der<lb/>
Stelle eine andre Miene machst! Das fehlte mir gerade noch! Drei Tage<lb/>
Regen draußen und drei auf deinem Brummbärengesicht sind sechs, und das<lb/>
solltest du mir selbst jetzt, wo wir schon so lange mit einander verheiratet sind,<lb/>
nicht anthun wollen! &#x2014; Und ich that es der rechenkundigen Tochter meiner ver¬<lb/>
storbenen Schwiegermutter und meines noch recht lebendigen Herrn Schwicger-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm IV. 1884. 13</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] Pfisters Mühle. gemütlichen Promenade besaß, und daß die Büsche um die alten Kors as oou- oours gesetzten Grabstellen sehr hoch und dicht ineinander verwachsen waren, und daß Emmy und ich ganz genau sämtliche Flecke hinter ihnen zu kennen glaubten, wo man sich auch gegen die Fenster und die Naseweisheit des um¬ liegenden Stadtteiles gedeckt hoffen konnte. Daß wir bald gern in diesen engen grünen Gängen dem Papa den Vortritt ließen und etwas hinter ihm zurück¬ blieben, vorzüglich an den Wendungen der Wege, ist eine vergnügliche, wonnige Thatsache. Und daß ich für meine Person es nie gewesen bin, der den Herrn Nechnungsrat in seinen kuriosen Betrachtungen durch Fragen oder gar den Ruf: So laufen Sie doch nicht so, werter Greis! unterbrach, ist gleichfalls ein Faktum. Es war schon störend genug, daß zuerst Emmy mich unterbrach und, das rosige Mündchen schen und schamig zurllckbiegend, ängstlich flüsterte: O, wie kannst du nur so sein! . . o bitte! und gar hier auf dem Kirch¬ hofe! . . Ja, es ist eine historische Thatsache, daß ich damals so gewesen bin, und glücklicherweise ändert nichts, was uns in Zukunft noch begegnen mag, das Ge¬ ringste mehr dran. Und es ist richtig, daß ich auf jenem Kirchhofe so war, nach welchem Emmy sich heute, während der Landregen ununterbrochen auf Pfisters Mühle herabrauscht, süß-schmollend, so sehr und dazu so lieblich schmeichel¬ haft für mich zurücksehnt. Und dessenungeachtet habe ich durchaus keine Lust, den ganzen heutigen Tag mit ihr dort zuzubringen, welche Lust zu ähnlichem Verweilen ich auch unter besagten Umständen damals dazu haben mochte. Wohl fällt ein goldnes Licht, ein wonnigliches Glänzen aus der Zeit unsrer jungen Liebe auf jenes Land Lemuria zwischen den nüchternen Häusermauern und unter den neugierigen Fenstern der sich ins Unbestimmte ausbreitenden Stadt Berlin; aber wir sind doch eigentlich nicht nach Pfisters Mühle gekommen, um nach dem Verbleiben jenes Bildes zu fragen. Was für ein Gesicht ich zu der letzten Überlegung geschnitten haben muß, erfuhr ich nicht dadurch, daß ich in den Spiegel sah, sondern auf eine viel angenehmere Weise. Es siel nämlich drüben an der andern Seite des kleinen Tisches der langzackige Battist- oder Leinwandstreifen in den Schooß, und eine kleine Hand kam über den Tisch herüber und strich mir über die Stirn, nachdem mich zwei ihrer Finger an der Nase gefaßt hatten; und Frau Emmy Pfister, geborene Schulze rief: O, nun guck ihn einer an! . . . Willst du wohl?.... Daß du mir auf der Stelle eine andre Miene machst! Das fehlte mir gerade noch! Drei Tage Regen draußen und drei auf deinem Brummbärengesicht sind sechs, und das solltest du mir selbst jetzt, wo wir schon so lange mit einander verheiratet sind, nicht anthun wollen! — Und ich that es der rechenkundigen Tochter meiner ver¬ storbenen Schwiegermutter und meines noch recht lebendigen Herrn Schwicger- Grenzbotm IV. 1884. 13

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/105>, abgerufen am 19.05.2024.