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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Notizen.

Wie schade wird das sein! Dann kehrt man dort
Den guten Kanzcloirat weg und seinen Stuhl,
Auf dem er fünfzig Jahr' lang kalkulirte.
Vergeblich wartet mit der Suppe seine Alte,
Nicht lange doch; denn plötzlich füllt ein zuliebe'ges
Gestäub die Gasse, dringt in Thür und Fenster --
Der Kebrichtstaub des Weltenuntergangs.

Hin, murmelte Adam Asche, an meiner Seite beide Ellenbogen ans das
Tischtuch stützend:


Sehr drollig wird das sein für den, der da zuletzt lacht,
Sieht er im Wirbel fliegen, was ihn quälte,
Bis selber ihn der letzte Kehraus faßt.

Zwei Stunden später saß er trotz der kalten Nacht noch längere Zeit in
unsrer Kammer unter dem Dache auf dem Bettrande, und einmal hörte ich ihn
vor sich hinbrummen:

Das ist wirklich ein merkwürdig nettes Mädchen -- ein ganz liebes Kind
und, wenn der erste Eindruck nicht vollkommen täuscht, auch garnicht dumm!

(Fortsetzung folgt.)




Notizen.

Noch ein Wort zum heutigen Zivilprozeß. Der Artikel "Das münd¬
liche Verfahren im Zivilprozeß" in Ur. 39 dieser Zeitschrift giebt uns Anlaß zu
einigen Bemerkungen über das Verfahren nach der Reichszivilprozeßordnung, welche,
auf praktischen Beobachtungen beruhend, nicht ganz ungeeignet sein dürften, als
Beitrag zur Kritik des gegenwärtigen Prozesses zu dienen. Während der erwähnte
Aufsatz die zwar nicht scharf bezeichnete, aber immerhin deutlich erkennbare Frage:
Schriftlichkeit oder Mündlichkeit? zum Zielpunkte hat, soll in dem vorliegenden die
Frage behandelt werden, ob und inwiefern das heutige Verfahren überhaupt ein
mündliches genannt werden kann.

Regelmäßig pflegt man den Grundsatz der Mündlichkeit als dem der Unmittel¬
barkeit des Verfahrens untergeordnet aufzufassen. Der natürlichen Anschauung
nach kann nun aber von einer Unmittelbarkeit des Verfahrens nach zwei Seiten
hin die Rede sein: einmal insofern das Gericht unmittelbar mit den Parteien ver¬
handelt, sodann insofern die Erkenntnismittel der Wahrheit dem Gerichte unmittel¬
bar vorgelegt werden.

Daß in dem ersten Sinne der jetzige Anwaltsprozeß, d. h. das Verfahren vor
den Kollegialgerichten, die Unmittelbarkeit nicht kennt, ist klar, dagegen verlangt
das Gesetz mündliche Verhandlung, d. h. mündliches Vortragen des gesamten Proze߬
materials, in der Weise, daß der Richter bei Fällung des Urteils nur auf das
mündlich Vorgetragene Rücksicht nehmen darf. Der mündlichen Verhandlung "sollen"
indessen Schriftsätze vorausgehen, welche nach der Absicht des Gesetzgebers den


Notizen.

Wie schade wird das sein! Dann kehrt man dort
Den guten Kanzcloirat weg und seinen Stuhl,
Auf dem er fünfzig Jahr' lang kalkulirte.
Vergeblich wartet mit der Suppe seine Alte,
Nicht lange doch; denn plötzlich füllt ein zuliebe'ges
Gestäub die Gasse, dringt in Thür und Fenster —
Der Kebrichtstaub des Weltenuntergangs.

Hin, murmelte Adam Asche, an meiner Seite beide Ellenbogen ans das
Tischtuch stützend:


Sehr drollig wird das sein für den, der da zuletzt lacht,
Sieht er im Wirbel fliegen, was ihn quälte,
Bis selber ihn der letzte Kehraus faßt.

Zwei Stunden später saß er trotz der kalten Nacht noch längere Zeit in
unsrer Kammer unter dem Dache auf dem Bettrande, und einmal hörte ich ihn
vor sich hinbrummen:

Das ist wirklich ein merkwürdig nettes Mädchen — ein ganz liebes Kind
und, wenn der erste Eindruck nicht vollkommen täuscht, auch garnicht dumm!

(Fortsetzung folgt.)




Notizen.

Noch ein Wort zum heutigen Zivilprozeß. Der Artikel „Das münd¬
liche Verfahren im Zivilprozeß" in Ur. 39 dieser Zeitschrift giebt uns Anlaß zu
einigen Bemerkungen über das Verfahren nach der Reichszivilprozeßordnung, welche,
auf praktischen Beobachtungen beruhend, nicht ganz ungeeignet sein dürften, als
Beitrag zur Kritik des gegenwärtigen Prozesses zu dienen. Während der erwähnte
Aufsatz die zwar nicht scharf bezeichnete, aber immerhin deutlich erkennbare Frage:
Schriftlichkeit oder Mündlichkeit? zum Zielpunkte hat, soll in dem vorliegenden die
Frage behandelt werden, ob und inwiefern das heutige Verfahren überhaupt ein
mündliches genannt werden kann.

Regelmäßig pflegt man den Grundsatz der Mündlichkeit als dem der Unmittel¬
barkeit des Verfahrens untergeordnet aufzufassen. Der natürlichen Anschauung
nach kann nun aber von einer Unmittelbarkeit des Verfahrens nach zwei Seiten
hin die Rede sein: einmal insofern das Gericht unmittelbar mit den Parteien ver¬
handelt, sodann insofern die Erkenntnismittel der Wahrheit dem Gerichte unmittel¬
bar vorgelegt werden.

Daß in dem ersten Sinne der jetzige Anwaltsprozeß, d. h. das Verfahren vor
den Kollegialgerichten, die Unmittelbarkeit nicht kennt, ist klar, dagegen verlangt
das Gesetz mündliche Verhandlung, d. h. mündliches Vortragen des gesamten Proze߬
materials, in der Weise, daß der Richter bei Fällung des Urteils nur auf das
mündlich Vorgetragene Rücksicht nehmen darf. Der mündlichen Verhandlung „sollen"
indessen Schriftsätze vorausgehen, welche nach der Absicht des Gesetzgebers den


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[0298] Notizen. Wie schade wird das sein! Dann kehrt man dort Den guten Kanzcloirat weg und seinen Stuhl, Auf dem er fünfzig Jahr' lang kalkulirte. Vergeblich wartet mit der Suppe seine Alte, Nicht lange doch; denn plötzlich füllt ein zuliebe'ges Gestäub die Gasse, dringt in Thür und Fenster — Der Kebrichtstaub des Weltenuntergangs. Hin, murmelte Adam Asche, an meiner Seite beide Ellenbogen ans das Tischtuch stützend: Sehr drollig wird das sein für den, der da zuletzt lacht, Sieht er im Wirbel fliegen, was ihn quälte, Bis selber ihn der letzte Kehraus faßt. Zwei Stunden später saß er trotz der kalten Nacht noch längere Zeit in unsrer Kammer unter dem Dache auf dem Bettrande, und einmal hörte ich ihn vor sich hinbrummen: Das ist wirklich ein merkwürdig nettes Mädchen — ein ganz liebes Kind und, wenn der erste Eindruck nicht vollkommen täuscht, auch garnicht dumm! (Fortsetzung folgt.) Notizen. Noch ein Wort zum heutigen Zivilprozeß. Der Artikel „Das münd¬ liche Verfahren im Zivilprozeß" in Ur. 39 dieser Zeitschrift giebt uns Anlaß zu einigen Bemerkungen über das Verfahren nach der Reichszivilprozeßordnung, welche, auf praktischen Beobachtungen beruhend, nicht ganz ungeeignet sein dürften, als Beitrag zur Kritik des gegenwärtigen Prozesses zu dienen. Während der erwähnte Aufsatz die zwar nicht scharf bezeichnete, aber immerhin deutlich erkennbare Frage: Schriftlichkeit oder Mündlichkeit? zum Zielpunkte hat, soll in dem vorliegenden die Frage behandelt werden, ob und inwiefern das heutige Verfahren überhaupt ein mündliches genannt werden kann. Regelmäßig pflegt man den Grundsatz der Mündlichkeit als dem der Unmittel¬ barkeit des Verfahrens untergeordnet aufzufassen. Der natürlichen Anschauung nach kann nun aber von einer Unmittelbarkeit des Verfahrens nach zwei Seiten hin die Rede sein: einmal insofern das Gericht unmittelbar mit den Parteien ver¬ handelt, sodann insofern die Erkenntnismittel der Wahrheit dem Gerichte unmittel¬ bar vorgelegt werden. Daß in dem ersten Sinne der jetzige Anwaltsprozeß, d. h. das Verfahren vor den Kollegialgerichten, die Unmittelbarkeit nicht kennt, ist klar, dagegen verlangt das Gesetz mündliche Verhandlung, d. h. mündliches Vortragen des gesamten Proze߬ materials, in der Weise, daß der Richter bei Fällung des Urteils nur auf das mündlich Vorgetragene Rücksicht nehmen darf. Der mündlichen Verhandlung „sollen" indessen Schriftsätze vorausgehen, welche nach der Absicht des Gesetzgebers den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/298>, abgerufen am 07.05.2024.