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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte.

schwacher Gelehrter, der nicht recht weiß, wie er sich in dem Gutachten, das
der Erzbischof von Mainz als Reichskanzler ihm abverlangte, benehmen
sollte, der, als der "Augenspiegel" veröffentlicht worden war und Aufsehen
erregte, an die angesehensten Theologen der Kölner Universität, Tungern, Collin,
Hochstwten, entschuldigende Briefe schrieb mit der Versicherung, "daß er in
treuen: Glauben verharren wolle und Irriges zu verbessern bereit sei." Erst
allmählich hätten sich die destruktiven Geister, der Humanisteukreis der "Poeten,"
der Sache bemächtigt und Reuchlin mit ihren Netzen umstrickt, und nun sei
"unter der Einwirkung streitsüchtiger und kirchenfeindlicher Männer eine völlige
Änderung seiner Stellung wie seiner Sprache eingetreten." Er habe nicht nur
seine Behauptungen aufrechtgehalten und die Kölner indirekt in spitzen Be¬
merkungen angegriffen, er habe sich auch der deutschen Sprache bedient, um
seine Ansichten unter dem Volke zu verbreiten. Den in lateinischer Sprache
verfaßten ruhig und würdig gehaltenen Schriften der Kölner habe der gereizte
Gelehrte Schmähungen, Verleumdungen und ehrenrührige Beschuldigungen
entgegengestellt. Seitdem sei Reuchlin von der Poetcnlegion als Fahnenträger
ihrer Sache, als der "siegreiche Herkules über die barbarischen Ungeheuer"
gefeiert worden. Die lautesten Rufer seien Crotus Mutianus und Ulrich vou
Hütten gewesen, ihr Triumphgesang die höhnische Satire der Episteln, durch
welche ehrbare, würdige und rechtschaffene Männer dem Spotte der Freigeister
und des literarischen Pöbels preisgegeben worden seien. Zu diesen übermütigen
Schöngeistern habe sich auch der Kurfürst Erzbischof Albrecht von Mainz ge¬
halten, der Hütten in seine Dienste gezogen und gleich den Mediceern seinen
Hof zum "Sammelplatz von Humanisten und Künstlern" herangebildet habe.

Vor einigen Jahrzehnten gingen aus dem Heerlager der Jesuiten Geschichts¬
bücher hervor, in denen die Verbreitung der französischen Revolution in deu
Rheingegenden hauptsächlich dem Mainzer Erzbischof Karl Josef von Erthal
Schuld gegeben wurde, weil er den Aufklärungsideen gehuldigt, Toleranz geübt
und mehrere literarische Berühmtheiten protestantischen Glaubens wie Johannes
Müller, Forster, Sömmering, Heinse in seine Nähe berufen. Man sieht: "Alles
wiederholt sich nur im Leben." Die Ultramontanen sahen die Quelle der
Sündflut und des Umsturzes nicht in dem Verderbnis und Ärgernis, das
vorausgegangen, sondern in den böswilligen Agitationen einiger Aufwiegler und
unruhigen Köpfe. Aber die Flamme greift nur dann um sich und wird un-
auslöschbar, wenn sie reichliches Brennmaterial vorfindet.


4.

Während in den lateinischen Gedichten der Humanisten ein lebendiger, wenn
auch nicht schwunghafter, doch die Luft reinigender Geist wehte, ging die epische
Ritterpoesie einem raschen und tiefen Verfall entgegen. Ein bitterer Klageton
durchzieht die Verse eines Teichner und Suchcnwirt, daß die echte Minne mit


Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte.

schwacher Gelehrter, der nicht recht weiß, wie er sich in dem Gutachten, das
der Erzbischof von Mainz als Reichskanzler ihm abverlangte, benehmen
sollte, der, als der „Augenspiegel" veröffentlicht worden war und Aufsehen
erregte, an die angesehensten Theologen der Kölner Universität, Tungern, Collin,
Hochstwten, entschuldigende Briefe schrieb mit der Versicherung, „daß er in
treuen: Glauben verharren wolle und Irriges zu verbessern bereit sei." Erst
allmählich hätten sich die destruktiven Geister, der Humanisteukreis der „Poeten,"
der Sache bemächtigt und Reuchlin mit ihren Netzen umstrickt, und nun sei
„unter der Einwirkung streitsüchtiger und kirchenfeindlicher Männer eine völlige
Änderung seiner Stellung wie seiner Sprache eingetreten." Er habe nicht nur
seine Behauptungen aufrechtgehalten und die Kölner indirekt in spitzen Be¬
merkungen angegriffen, er habe sich auch der deutschen Sprache bedient, um
seine Ansichten unter dem Volke zu verbreiten. Den in lateinischer Sprache
verfaßten ruhig und würdig gehaltenen Schriften der Kölner habe der gereizte
Gelehrte Schmähungen, Verleumdungen und ehrenrührige Beschuldigungen
entgegengestellt. Seitdem sei Reuchlin von der Poetcnlegion als Fahnenträger
ihrer Sache, als der „siegreiche Herkules über die barbarischen Ungeheuer"
gefeiert worden. Die lautesten Rufer seien Crotus Mutianus und Ulrich vou
Hütten gewesen, ihr Triumphgesang die höhnische Satire der Episteln, durch
welche ehrbare, würdige und rechtschaffene Männer dem Spotte der Freigeister
und des literarischen Pöbels preisgegeben worden seien. Zu diesen übermütigen
Schöngeistern habe sich auch der Kurfürst Erzbischof Albrecht von Mainz ge¬
halten, der Hütten in seine Dienste gezogen und gleich den Mediceern seinen
Hof zum „Sammelplatz von Humanisten und Künstlern" herangebildet habe.

Vor einigen Jahrzehnten gingen aus dem Heerlager der Jesuiten Geschichts¬
bücher hervor, in denen die Verbreitung der französischen Revolution in deu
Rheingegenden hauptsächlich dem Mainzer Erzbischof Karl Josef von Erthal
Schuld gegeben wurde, weil er den Aufklärungsideen gehuldigt, Toleranz geübt
und mehrere literarische Berühmtheiten protestantischen Glaubens wie Johannes
Müller, Forster, Sömmering, Heinse in seine Nähe berufen. Man sieht: „Alles
wiederholt sich nur im Leben." Die Ultramontanen sahen die Quelle der
Sündflut und des Umsturzes nicht in dem Verderbnis und Ärgernis, das
vorausgegangen, sondern in den böswilligen Agitationen einiger Aufwiegler und
unruhigen Köpfe. Aber die Flamme greift nur dann um sich und wird un-
auslöschbar, wenn sie reichliches Brennmaterial vorfindet.


4.

Während in den lateinischen Gedichten der Humanisten ein lebendiger, wenn
auch nicht schwunghafter, doch die Luft reinigender Geist wehte, ging die epische
Ritterpoesie einem raschen und tiefen Verfall entgegen. Ein bitterer Klageton
durchzieht die Verse eines Teichner und Suchcnwirt, daß die echte Minne mit


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[0426] Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte. schwacher Gelehrter, der nicht recht weiß, wie er sich in dem Gutachten, das der Erzbischof von Mainz als Reichskanzler ihm abverlangte, benehmen sollte, der, als der „Augenspiegel" veröffentlicht worden war und Aufsehen erregte, an die angesehensten Theologen der Kölner Universität, Tungern, Collin, Hochstwten, entschuldigende Briefe schrieb mit der Versicherung, „daß er in treuen: Glauben verharren wolle und Irriges zu verbessern bereit sei." Erst allmählich hätten sich die destruktiven Geister, der Humanisteukreis der „Poeten," der Sache bemächtigt und Reuchlin mit ihren Netzen umstrickt, und nun sei „unter der Einwirkung streitsüchtiger und kirchenfeindlicher Männer eine völlige Änderung seiner Stellung wie seiner Sprache eingetreten." Er habe nicht nur seine Behauptungen aufrechtgehalten und die Kölner indirekt in spitzen Be¬ merkungen angegriffen, er habe sich auch der deutschen Sprache bedient, um seine Ansichten unter dem Volke zu verbreiten. Den in lateinischer Sprache verfaßten ruhig und würdig gehaltenen Schriften der Kölner habe der gereizte Gelehrte Schmähungen, Verleumdungen und ehrenrührige Beschuldigungen entgegengestellt. Seitdem sei Reuchlin von der Poetcnlegion als Fahnenträger ihrer Sache, als der „siegreiche Herkules über die barbarischen Ungeheuer" gefeiert worden. Die lautesten Rufer seien Crotus Mutianus und Ulrich vou Hütten gewesen, ihr Triumphgesang die höhnische Satire der Episteln, durch welche ehrbare, würdige und rechtschaffene Männer dem Spotte der Freigeister und des literarischen Pöbels preisgegeben worden seien. Zu diesen übermütigen Schöngeistern habe sich auch der Kurfürst Erzbischof Albrecht von Mainz ge¬ halten, der Hütten in seine Dienste gezogen und gleich den Mediceern seinen Hof zum „Sammelplatz von Humanisten und Künstlern" herangebildet habe. Vor einigen Jahrzehnten gingen aus dem Heerlager der Jesuiten Geschichts¬ bücher hervor, in denen die Verbreitung der französischen Revolution in deu Rheingegenden hauptsächlich dem Mainzer Erzbischof Karl Josef von Erthal Schuld gegeben wurde, weil er den Aufklärungsideen gehuldigt, Toleranz geübt und mehrere literarische Berühmtheiten protestantischen Glaubens wie Johannes Müller, Forster, Sömmering, Heinse in seine Nähe berufen. Man sieht: „Alles wiederholt sich nur im Leben." Die Ultramontanen sahen die Quelle der Sündflut und des Umsturzes nicht in dem Verderbnis und Ärgernis, das vorausgegangen, sondern in den böswilligen Agitationen einiger Aufwiegler und unruhigen Köpfe. Aber die Flamme greift nur dann um sich und wird un- auslöschbar, wenn sie reichliches Brennmaterial vorfindet. 4. Während in den lateinischen Gedichten der Humanisten ein lebendiger, wenn auch nicht schwunghafter, doch die Luft reinigender Geist wehte, ging die epische Ritterpoesie einem raschen und tiefen Verfall entgegen. Ein bitterer Klageton durchzieht die Verse eines Teichner und Suchcnwirt, daß die echte Minne mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/426>, abgerufen am 02.05.2024.