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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte.

entzücken. Schmutz und Betteln achteten sie für große Tugenden, und über
den wichtigen Fragen, wieviel Knöpfe der Gürtel, welche Farbe die Kutte haben
und wie groß die Kapuze sein müsse, vergaßen sie die christlichen Gebote. Einst
aber werde Christus sprechen: "Woher dieses neue Geschlecht der Juden? Nicht
denen habe ich das Himmelreich versprochen, die in der Mönchskutte einher-
ziehen oder mit Rosenkränzen und Fasten mich anrufen, sondern die die Werke
des Glaubens und der Liebe verrichten." Über die Heuchelei und Anmaßung,
die marktschreierischen Predigten und die Verketzerungssucht der Mönche ergießt
Erasmus alle Bitterkeit des Witzes. Dann geht es an die Bischöfe, die nach
Geld und Gut, nach Pracht und Üppigkeit strebten, statt für das Seelenheil
ihrer Herde zu sorgen, und endlich an die Päpste, die Glanz und Freude für
sich behielten, Mühe und Sorgen dem Petrus und Paulus überließen und von
der Nachfolge Christi ganz abgewichen seien.

In den Augen der Ultramontanen war Erasmus auch "der geistige Vater
des umfangreichen Pamphlets," das uns unter dem Titel "Briefe der Dunkel¬
männer" bekannt ist. Nicht als ob er an der Abfassung Anteil gehabt hätte,
bemerkt Janssen (II, S7), aber ihrem wesentlichen Inhalte nach sind die Briefe
nur das ins Rohe und Persönliche übertragene "Lob der Narrheit." "Das
schmählichste in jenen wie in diesem ist der mit der heiligen Schrift getriebene
Spott. Erasmus mißbrauchte die heilige Schrift zu possenhaften Anführungen,
die "Briefe unberühmter Männer" legten den verhöhnten Mönchen daraus
Stellen in den Mund zur Beschönigung unzüchtiger Dinge. Erasmus, selbst
ohne tiefern sittlichen Ernst, warf sich zum rhetorischen Sittenprediger auf und
machte insbesondre den ganzen Mönchsstand verächtlich, aber er nannte
niemanden beim Namen, seine Nachfolger Crotus und Hütten spritzten den
Schmutz, worin sie wateten, bestimmten Persönlichkeiten ins Gesicht, sogar dem
makellosen Arnold von Tungern, den sie schändliches schreiben ließen und den
sie eines ehebrecherischen Verhältnisses mit der Frau des ihnen verhaßten
Pfefferkorn bezichtigten."

Mit diesen Worten leitet Janssen den Übergang ein zu einem der folgen¬
reichsten literarischen Ereignisse, deren die Weltgeschichte gedenkt, zu dem gro߬
artigen Kulturkampf zwischen den Reuchlinisten und den Kölner Dominikanern,
der sich durch viele Jahre hinzog, an dem nicht nur Kaiser und Reich, sondern
die gesamte gebildete Welt Europas sich beteiligte, und der endlich, als
der Papst allen wettern Federkrieg in der Sache untersagte, schließlich mit
dem Siege der Humanisten endigte, die dann, um sich zu rächen und zugleich
ihr Vorgehen zu rechtfertigen, in den Obskurantenbriefen die Blößen und
Schwächen der Gegenpartei schonungslos in herber Satire aufdeckten. Der
Verlauf und Ausgang des Streites war ein Triumph der Aufklärung und
freien Wissenschaft. Wie wird aber die mächtige nationale Angelegenheit von
Janssen behandelt? In seiner Darstellung erscheint Reuchlin anfangs als ein


Grenzboten II. 1884, 53
Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte.

entzücken. Schmutz und Betteln achteten sie für große Tugenden, und über
den wichtigen Fragen, wieviel Knöpfe der Gürtel, welche Farbe die Kutte haben
und wie groß die Kapuze sein müsse, vergaßen sie die christlichen Gebote. Einst
aber werde Christus sprechen: „Woher dieses neue Geschlecht der Juden? Nicht
denen habe ich das Himmelreich versprochen, die in der Mönchskutte einher-
ziehen oder mit Rosenkränzen und Fasten mich anrufen, sondern die die Werke
des Glaubens und der Liebe verrichten." Über die Heuchelei und Anmaßung,
die marktschreierischen Predigten und die Verketzerungssucht der Mönche ergießt
Erasmus alle Bitterkeit des Witzes. Dann geht es an die Bischöfe, die nach
Geld und Gut, nach Pracht und Üppigkeit strebten, statt für das Seelenheil
ihrer Herde zu sorgen, und endlich an die Päpste, die Glanz und Freude für
sich behielten, Mühe und Sorgen dem Petrus und Paulus überließen und von
der Nachfolge Christi ganz abgewichen seien.

In den Augen der Ultramontanen war Erasmus auch „der geistige Vater
des umfangreichen Pamphlets," das uns unter dem Titel „Briefe der Dunkel¬
männer" bekannt ist. Nicht als ob er an der Abfassung Anteil gehabt hätte,
bemerkt Janssen (II, S7), aber ihrem wesentlichen Inhalte nach sind die Briefe
nur das ins Rohe und Persönliche übertragene „Lob der Narrheit." „Das
schmählichste in jenen wie in diesem ist der mit der heiligen Schrift getriebene
Spott. Erasmus mißbrauchte die heilige Schrift zu possenhaften Anführungen,
die »Briefe unberühmter Männer« legten den verhöhnten Mönchen daraus
Stellen in den Mund zur Beschönigung unzüchtiger Dinge. Erasmus, selbst
ohne tiefern sittlichen Ernst, warf sich zum rhetorischen Sittenprediger auf und
machte insbesondre den ganzen Mönchsstand verächtlich, aber er nannte
niemanden beim Namen, seine Nachfolger Crotus und Hütten spritzten den
Schmutz, worin sie wateten, bestimmten Persönlichkeiten ins Gesicht, sogar dem
makellosen Arnold von Tungern, den sie schändliches schreiben ließen und den
sie eines ehebrecherischen Verhältnisses mit der Frau des ihnen verhaßten
Pfefferkorn bezichtigten."

Mit diesen Worten leitet Janssen den Übergang ein zu einem der folgen¬
reichsten literarischen Ereignisse, deren die Weltgeschichte gedenkt, zu dem gro߬
artigen Kulturkampf zwischen den Reuchlinisten und den Kölner Dominikanern,
der sich durch viele Jahre hinzog, an dem nicht nur Kaiser und Reich, sondern
die gesamte gebildete Welt Europas sich beteiligte, und der endlich, als
der Papst allen wettern Federkrieg in der Sache untersagte, schließlich mit
dem Siege der Humanisten endigte, die dann, um sich zu rächen und zugleich
ihr Vorgehen zu rechtfertigen, in den Obskurantenbriefen die Blößen und
Schwächen der Gegenpartei schonungslos in herber Satire aufdeckten. Der
Verlauf und Ausgang des Streites war ein Triumph der Aufklärung und
freien Wissenschaft. Wie wird aber die mächtige nationale Angelegenheit von
Janssen behandelt? In seiner Darstellung erscheint Reuchlin anfangs als ein


Grenzboten II. 1884, 53
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/425>, abgerufen am 18.05.2024.