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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Allerhand Musikunfug.

'>5?<^s giebt bekanntlich offene Kunstverächter, nüchterne Köpfe, die
Izwar an ihrem Platze brav und redlich das ihrige thun, denen
'aber die Natur das spezifische Organ vorenthalten hat, ver¬
mittelst dessen es allein möglich ist, die Werke der reinen Schön-
heit zu verstehen und aus ihnen geistigen Nutzen zu ziehe".
Gelegentlich rekrutiren sich aus ihren Kreisen die tollen Gesellen, welche in
Tempel und Bibliotheken die Brandfackel werfen und einen Bildersturm arran-
giren; in ruhigen Zeiten sind sie jedoch ungefährlich. Viel mehr als durch sie
wird Wirkung und Entwicklung der Kunst durch ihre falschen Freunde gehemmt
und geschädigt, durch einen Troß von Spekulanten und Narren, die sich in der
Öffentlichkeit lärmend als Priester der Kunst geriren.

In der Musik, als der zur Zeit verbreiterten Kunst, ist auch die Zahl
dieser falschen Freunde am größten. Sie lärmen vordringlich um sie herum
und sind in erster Reihe daran schuld, wenn Mißbräuche und Vorurteile, von
denen wir die Pflege der edeln Tonkunst begleitet sehen, nicht als solche erkannt
werden. Wir können hier nur vor einem Teil des gemeinschädlichem Musik¬
unfuges warnen. Um aber dabei der gründlichen Methode doch wenigstens
unsern Respekt zu erweisen, beginnen wir ad ovo, d. i. mit der musikalischen
Erziehung.

In den Jnseratenspalten unsrer großen und mittlern Lokalblätter findet
sich eine in der Regel gutbesetzte Rubrik, in der gebrauchte Klaviere angeboten
oder "gefragt" werden. Wer sich einmal die Mühe nimmt, eine solche zer¬
streute Ausstellung in Augenschein zu nehmen, wird darüber erstaunen, wie
groß unter der Menge der angebotenen Instrumente die Zahl der wirklich ausge¬
dienter ist. Längst erloschene Firmen (Wiener), aufgegebene Formen tauchen
auf, und unter den modernen Pianinos erscheinen Exemplare von mitleidswerter
Altersschwäche. Ihre Tasten hinken und sinken, kein Stimmstock steht mehr fest
genug, um Saite und Ton zu halten. Und doch werden viele dieser ehrwürdigen
Kandidaten für musikalische Altertumsmuseen immer noch einmal im Dienst
gestellt. Für wen wohl? "Nur für Mariechen, Karlchen ze." "Es" -- oder
auch "man" drängt die lieben Kleinen zur Musik. Da lautet nun eine alte
Tradition: "Für Anfänger braucht man kein so gutes Instrument." Das soll
vernünftigerweise heißen: keins von der Sorte zu tausend und fünfzehnhundert
Thalern, wie sie für den Gebrauch in großen Konzertsälen verwendet werden.
Aber leider machen viele Eltern daraus: ein schlechtes Instrument genügt.


Allerhand Musikunfug.

'>5?<^s giebt bekanntlich offene Kunstverächter, nüchterne Köpfe, die
Izwar an ihrem Platze brav und redlich das ihrige thun, denen
'aber die Natur das spezifische Organ vorenthalten hat, ver¬
mittelst dessen es allein möglich ist, die Werke der reinen Schön-
heit zu verstehen und aus ihnen geistigen Nutzen zu ziehe».
Gelegentlich rekrutiren sich aus ihren Kreisen die tollen Gesellen, welche in
Tempel und Bibliotheken die Brandfackel werfen und einen Bildersturm arran-
giren; in ruhigen Zeiten sind sie jedoch ungefährlich. Viel mehr als durch sie
wird Wirkung und Entwicklung der Kunst durch ihre falschen Freunde gehemmt
und geschädigt, durch einen Troß von Spekulanten und Narren, die sich in der
Öffentlichkeit lärmend als Priester der Kunst geriren.

In der Musik, als der zur Zeit verbreiterten Kunst, ist auch die Zahl
dieser falschen Freunde am größten. Sie lärmen vordringlich um sie herum
und sind in erster Reihe daran schuld, wenn Mißbräuche und Vorurteile, von
denen wir die Pflege der edeln Tonkunst begleitet sehen, nicht als solche erkannt
werden. Wir können hier nur vor einem Teil des gemeinschädlichem Musik¬
unfuges warnen. Um aber dabei der gründlichen Methode doch wenigstens
unsern Respekt zu erweisen, beginnen wir ad ovo, d. i. mit der musikalischen
Erziehung.

In den Jnseratenspalten unsrer großen und mittlern Lokalblätter findet
sich eine in der Regel gutbesetzte Rubrik, in der gebrauchte Klaviere angeboten
oder „gefragt" werden. Wer sich einmal die Mühe nimmt, eine solche zer¬
streute Ausstellung in Augenschein zu nehmen, wird darüber erstaunen, wie
groß unter der Menge der angebotenen Instrumente die Zahl der wirklich ausge¬
dienter ist. Längst erloschene Firmen (Wiener), aufgegebene Formen tauchen
auf, und unter den modernen Pianinos erscheinen Exemplare von mitleidswerter
Altersschwäche. Ihre Tasten hinken und sinken, kein Stimmstock steht mehr fest
genug, um Saite und Ton zu halten. Und doch werden viele dieser ehrwürdigen
Kandidaten für musikalische Altertumsmuseen immer noch einmal im Dienst
gestellt. Für wen wohl? „Nur für Mariechen, Karlchen ze." „Es" — oder
auch „man" drängt die lieben Kleinen zur Musik. Da lautet nun eine alte
Tradition: „Für Anfänger braucht man kein so gutes Instrument." Das soll
vernünftigerweise heißen: keins von der Sorte zu tausend und fünfzehnhundert
Thalern, wie sie für den Gebrauch in großen Konzertsälen verwendet werden.
Aber leider machen viele Eltern daraus: ein schlechtes Instrument genügt.


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[0045] Allerhand Musikunfug. '>5?<^s giebt bekanntlich offene Kunstverächter, nüchterne Köpfe, die Izwar an ihrem Platze brav und redlich das ihrige thun, denen 'aber die Natur das spezifische Organ vorenthalten hat, ver¬ mittelst dessen es allein möglich ist, die Werke der reinen Schön- heit zu verstehen und aus ihnen geistigen Nutzen zu ziehe». Gelegentlich rekrutiren sich aus ihren Kreisen die tollen Gesellen, welche in Tempel und Bibliotheken die Brandfackel werfen und einen Bildersturm arran- giren; in ruhigen Zeiten sind sie jedoch ungefährlich. Viel mehr als durch sie wird Wirkung und Entwicklung der Kunst durch ihre falschen Freunde gehemmt und geschädigt, durch einen Troß von Spekulanten und Narren, die sich in der Öffentlichkeit lärmend als Priester der Kunst geriren. In der Musik, als der zur Zeit verbreiterten Kunst, ist auch die Zahl dieser falschen Freunde am größten. Sie lärmen vordringlich um sie herum und sind in erster Reihe daran schuld, wenn Mißbräuche und Vorurteile, von denen wir die Pflege der edeln Tonkunst begleitet sehen, nicht als solche erkannt werden. Wir können hier nur vor einem Teil des gemeinschädlichem Musik¬ unfuges warnen. Um aber dabei der gründlichen Methode doch wenigstens unsern Respekt zu erweisen, beginnen wir ad ovo, d. i. mit der musikalischen Erziehung. In den Jnseratenspalten unsrer großen und mittlern Lokalblätter findet sich eine in der Regel gutbesetzte Rubrik, in der gebrauchte Klaviere angeboten oder „gefragt" werden. Wer sich einmal die Mühe nimmt, eine solche zer¬ streute Ausstellung in Augenschein zu nehmen, wird darüber erstaunen, wie groß unter der Menge der angebotenen Instrumente die Zahl der wirklich ausge¬ dienter ist. Längst erloschene Firmen (Wiener), aufgegebene Formen tauchen auf, und unter den modernen Pianinos erscheinen Exemplare von mitleidswerter Altersschwäche. Ihre Tasten hinken und sinken, kein Stimmstock steht mehr fest genug, um Saite und Ton zu halten. Und doch werden viele dieser ehrwürdigen Kandidaten für musikalische Altertumsmuseen immer noch einmal im Dienst gestellt. Für wen wohl? „Nur für Mariechen, Karlchen ze." „Es" — oder auch „man" drängt die lieben Kleinen zur Musik. Da lautet nun eine alte Tradition: „Für Anfänger braucht man kein so gutes Instrument." Das soll vernünftigerweise heißen: keins von der Sorte zu tausend und fünfzehnhundert Thalern, wie sie für den Gebrauch in großen Konzertsälen verwendet werden. Aber leider machen viele Eltern daraus: ein schlechtes Instrument genügt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/45>, abgerufen am 03.05.2024.