Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Allerhand Musikunfug.

Damit Wird das junge Tontalent ruinirt, wenn es nur schwach ist, und das
starke mindestens gefährdet; das Geld aber ist hinausgeworfen. Dem gegen¬
über machen wir darauf aufmerksam, daß die Anschaffung eines brauchbaren,
neuen Instruments in neuerer Zeit sehr erleichtert ist, indem viele Fabrikanten
und Händler gegen kleine und bequeme Ratenzahlungen verkaufen. Auch wäre
für die reinen Fingerzwecke die allgemeine Einführung stummer Klaviaturen zu
empfehlen. Das würde eine Wohlthat für die väterliche Kasse und auch für die
Hausgenossen der angehenden Kunstjünger sein. Wir würden noch an die
kleinen tragbaren Klaviere erinnern, welche im 17. und 18. Jahrhundert für
den Privatgebrauch gebaut und benutzt wurden, wenn wir für derartige Vor¬
schläge bei den Jnstrumentenbauern ein geneigtes Gehör voraussetzen dürften.
Bei diesen aber steht zur Zeit nichts fester als die Idee, daß ein rechtschaffenes
Klavier unter sieben Oktaven nicht zu denken sei. Unser Pianofortebau hat
im letzten Jahrhundert in Bezug auf Größe und Modulationsfähigkeit des
Baues erstaunliche Fortschritte gemacht, die ausschließliche Verfolgung dieses
Zieles hat aber auch eine Kalamität hervorgerufen, unter welcher das Publikum
stark anleitet. Auf keinem Gebiete der Industrie kann der "Kampf ums
Dasein" stärker wüten als in der gegenwärtigen Pianofortefabrikation. Da
alle dieselbe Straße ziehen, so ist der Platz sehr schmal geworden. Wer vor¬
wärts kommen will, braucht eine Unterstützung von der Seite her; auch die
tüchtigsten und genialsten Klavicrfabrikanten können der Reklame und der Agi¬
tation der Presse nicht entraten. Daß deren Gunst aber immer auf den
würdigsten fiele, kann man nicht verlangen.

Vor einigen Jahren that sich in einer sächsischen Residenzstadt eine neue
Pianofortefabrik mit größtem Pomp auf. Bis in die kleinsten Winkelstädtchen
des musikalischen Deutschlands waren die Prospekte des neuen Etablissements
verbreitet worden, am Orte selbst führte Herr Levysohn -- wie wir ihn nennen
wollen -- einen Hauptkoup dadurch aus, daß er einen eignen und schönen
Konzertsaal einrichten ließ, der den Klaviervirtuosen gratis zur Verfügung ge¬
stellt wurde, natürlich mit dem Vorbehalt, daß sie Instrumente von Levysohn
spielten. Die Zeitungen der Residenz brachten wenn nicht tägliche, so doch wenigstens
wöchentliche, die auswärtigen Journale und Lokalblätter monatliche Bülletins
über die glänzende Entwicklung der Firma Levysohn. Der Erfolg blieb auch
nicht aus. In jeder Stadt bemühte sich ein oder der andre Pianofortehändler
um die Vertretung von Levysohn; war in einem Hause Bedarf nach einem
neuen Klavier, so wurde der Musiklehrer über die phänomenalen Erzeugnisse des
Hauses L, interpellirt, L. würde heute unter den "Spitzen der Klavierfabri¬
kation" der Unsterblichkeit sicher sein, wenn er neben seinen großen geschäftlichen
Fähigkeiten noch das kleine Talent besessen hätte, auf die Haltbarkeit seiner
Instrumente zu sehen. Dem war aber nicht so, und darum endete die junge
Herrlichkeit schnell mit einem eklatanten Bankrott.


Allerhand Musikunfug.

Damit Wird das junge Tontalent ruinirt, wenn es nur schwach ist, und das
starke mindestens gefährdet; das Geld aber ist hinausgeworfen. Dem gegen¬
über machen wir darauf aufmerksam, daß die Anschaffung eines brauchbaren,
neuen Instruments in neuerer Zeit sehr erleichtert ist, indem viele Fabrikanten
und Händler gegen kleine und bequeme Ratenzahlungen verkaufen. Auch wäre
für die reinen Fingerzwecke die allgemeine Einführung stummer Klaviaturen zu
empfehlen. Das würde eine Wohlthat für die väterliche Kasse und auch für die
Hausgenossen der angehenden Kunstjünger sein. Wir würden noch an die
kleinen tragbaren Klaviere erinnern, welche im 17. und 18. Jahrhundert für
den Privatgebrauch gebaut und benutzt wurden, wenn wir für derartige Vor¬
schläge bei den Jnstrumentenbauern ein geneigtes Gehör voraussetzen dürften.
Bei diesen aber steht zur Zeit nichts fester als die Idee, daß ein rechtschaffenes
Klavier unter sieben Oktaven nicht zu denken sei. Unser Pianofortebau hat
im letzten Jahrhundert in Bezug auf Größe und Modulationsfähigkeit des
Baues erstaunliche Fortschritte gemacht, die ausschließliche Verfolgung dieses
Zieles hat aber auch eine Kalamität hervorgerufen, unter welcher das Publikum
stark anleitet. Auf keinem Gebiete der Industrie kann der „Kampf ums
Dasein" stärker wüten als in der gegenwärtigen Pianofortefabrikation. Da
alle dieselbe Straße ziehen, so ist der Platz sehr schmal geworden. Wer vor¬
wärts kommen will, braucht eine Unterstützung von der Seite her; auch die
tüchtigsten und genialsten Klavicrfabrikanten können der Reklame und der Agi¬
tation der Presse nicht entraten. Daß deren Gunst aber immer auf den
würdigsten fiele, kann man nicht verlangen.

Vor einigen Jahren that sich in einer sächsischen Residenzstadt eine neue
Pianofortefabrik mit größtem Pomp auf. Bis in die kleinsten Winkelstädtchen
des musikalischen Deutschlands waren die Prospekte des neuen Etablissements
verbreitet worden, am Orte selbst führte Herr Levysohn — wie wir ihn nennen
wollen — einen Hauptkoup dadurch aus, daß er einen eignen und schönen
Konzertsaal einrichten ließ, der den Klaviervirtuosen gratis zur Verfügung ge¬
stellt wurde, natürlich mit dem Vorbehalt, daß sie Instrumente von Levysohn
spielten. Die Zeitungen der Residenz brachten wenn nicht tägliche, so doch wenigstens
wöchentliche, die auswärtigen Journale und Lokalblätter monatliche Bülletins
über die glänzende Entwicklung der Firma Levysohn. Der Erfolg blieb auch
nicht aus. In jeder Stadt bemühte sich ein oder der andre Pianofortehändler
um die Vertretung von Levysohn; war in einem Hause Bedarf nach einem
neuen Klavier, so wurde der Musiklehrer über die phänomenalen Erzeugnisse des
Hauses L, interpellirt, L. würde heute unter den „Spitzen der Klavierfabri¬
kation" der Unsterblichkeit sicher sein, wenn er neben seinen großen geschäftlichen
Fähigkeiten noch das kleine Talent besessen hätte, auf die Haltbarkeit seiner
Instrumente zu sehen. Dem war aber nicht so, und darum endete die junge
Herrlichkeit schnell mit einem eklatanten Bankrott.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155627"/>
          <fw type="header" place="top"> Allerhand Musikunfug.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_118" prev="#ID_117"> Damit Wird das junge Tontalent ruinirt, wenn es nur schwach ist, und das<lb/>
starke mindestens gefährdet; das Geld aber ist hinausgeworfen. Dem gegen¬<lb/>
über machen wir darauf aufmerksam, daß die Anschaffung eines brauchbaren,<lb/>
neuen Instruments in neuerer Zeit sehr erleichtert ist, indem viele Fabrikanten<lb/>
und Händler gegen kleine und bequeme Ratenzahlungen verkaufen. Auch wäre<lb/>
für die reinen Fingerzwecke die allgemeine Einführung stummer Klaviaturen zu<lb/>
empfehlen. Das würde eine Wohlthat für die väterliche Kasse und auch für die<lb/>
Hausgenossen der angehenden Kunstjünger sein. Wir würden noch an die<lb/>
kleinen tragbaren Klaviere erinnern, welche im 17. und 18. Jahrhundert für<lb/>
den Privatgebrauch gebaut und benutzt wurden, wenn wir für derartige Vor¬<lb/>
schläge bei den Jnstrumentenbauern ein geneigtes Gehör voraussetzen dürften.<lb/>
Bei diesen aber steht zur Zeit nichts fester als die Idee, daß ein rechtschaffenes<lb/>
Klavier unter sieben Oktaven nicht zu denken sei. Unser Pianofortebau hat<lb/>
im letzten Jahrhundert in Bezug auf Größe und Modulationsfähigkeit des<lb/>
Baues erstaunliche Fortschritte gemacht, die ausschließliche Verfolgung dieses<lb/>
Zieles hat aber auch eine Kalamität hervorgerufen, unter welcher das Publikum<lb/>
stark anleitet. Auf keinem Gebiete der Industrie kann der &#x201E;Kampf ums<lb/>
Dasein" stärker wüten als in der gegenwärtigen Pianofortefabrikation. Da<lb/>
alle dieselbe Straße ziehen, so ist der Platz sehr schmal geworden. Wer vor¬<lb/>
wärts kommen will, braucht eine Unterstützung von der Seite her; auch die<lb/>
tüchtigsten und genialsten Klavicrfabrikanten können der Reklame und der Agi¬<lb/>
tation der Presse nicht entraten. Daß deren Gunst aber immer auf den<lb/>
würdigsten fiele, kann man nicht verlangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_119"> Vor einigen Jahren that sich in einer sächsischen Residenzstadt eine neue<lb/>
Pianofortefabrik mit größtem Pomp auf. Bis in die kleinsten Winkelstädtchen<lb/>
des musikalischen Deutschlands waren die Prospekte des neuen Etablissements<lb/>
verbreitet worden, am Orte selbst führte Herr Levysohn &#x2014; wie wir ihn nennen<lb/>
wollen &#x2014; einen Hauptkoup dadurch aus, daß er einen eignen und schönen<lb/>
Konzertsaal einrichten ließ, der den Klaviervirtuosen gratis zur Verfügung ge¬<lb/>
stellt wurde, natürlich mit dem Vorbehalt, daß sie Instrumente von Levysohn<lb/>
spielten. Die Zeitungen der Residenz brachten wenn nicht tägliche, so doch wenigstens<lb/>
wöchentliche, die auswärtigen Journale und Lokalblätter monatliche Bülletins<lb/>
über die glänzende Entwicklung der Firma Levysohn. Der Erfolg blieb auch<lb/>
nicht aus. In jeder Stadt bemühte sich ein oder der andre Pianofortehändler<lb/>
um die Vertretung von Levysohn; war in einem Hause Bedarf nach einem<lb/>
neuen Klavier, so wurde der Musiklehrer über die phänomenalen Erzeugnisse des<lb/>
Hauses L, interpellirt, L. würde heute unter den &#x201E;Spitzen der Klavierfabri¬<lb/>
kation" der Unsterblichkeit sicher sein, wenn er neben seinen großen geschäftlichen<lb/>
Fähigkeiten noch das kleine Talent besessen hätte, auf die Haltbarkeit seiner<lb/>
Instrumente zu sehen. Dem war aber nicht so, und darum endete die junge<lb/>
Herrlichkeit schnell mit einem eklatanten Bankrott.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0046] Allerhand Musikunfug. Damit Wird das junge Tontalent ruinirt, wenn es nur schwach ist, und das starke mindestens gefährdet; das Geld aber ist hinausgeworfen. Dem gegen¬ über machen wir darauf aufmerksam, daß die Anschaffung eines brauchbaren, neuen Instruments in neuerer Zeit sehr erleichtert ist, indem viele Fabrikanten und Händler gegen kleine und bequeme Ratenzahlungen verkaufen. Auch wäre für die reinen Fingerzwecke die allgemeine Einführung stummer Klaviaturen zu empfehlen. Das würde eine Wohlthat für die väterliche Kasse und auch für die Hausgenossen der angehenden Kunstjünger sein. Wir würden noch an die kleinen tragbaren Klaviere erinnern, welche im 17. und 18. Jahrhundert für den Privatgebrauch gebaut und benutzt wurden, wenn wir für derartige Vor¬ schläge bei den Jnstrumentenbauern ein geneigtes Gehör voraussetzen dürften. Bei diesen aber steht zur Zeit nichts fester als die Idee, daß ein rechtschaffenes Klavier unter sieben Oktaven nicht zu denken sei. Unser Pianofortebau hat im letzten Jahrhundert in Bezug auf Größe und Modulationsfähigkeit des Baues erstaunliche Fortschritte gemacht, die ausschließliche Verfolgung dieses Zieles hat aber auch eine Kalamität hervorgerufen, unter welcher das Publikum stark anleitet. Auf keinem Gebiete der Industrie kann der „Kampf ums Dasein" stärker wüten als in der gegenwärtigen Pianofortefabrikation. Da alle dieselbe Straße ziehen, so ist der Platz sehr schmal geworden. Wer vor¬ wärts kommen will, braucht eine Unterstützung von der Seite her; auch die tüchtigsten und genialsten Klavicrfabrikanten können der Reklame und der Agi¬ tation der Presse nicht entraten. Daß deren Gunst aber immer auf den würdigsten fiele, kann man nicht verlangen. Vor einigen Jahren that sich in einer sächsischen Residenzstadt eine neue Pianofortefabrik mit größtem Pomp auf. Bis in die kleinsten Winkelstädtchen des musikalischen Deutschlands waren die Prospekte des neuen Etablissements verbreitet worden, am Orte selbst führte Herr Levysohn — wie wir ihn nennen wollen — einen Hauptkoup dadurch aus, daß er einen eignen und schönen Konzertsaal einrichten ließ, der den Klaviervirtuosen gratis zur Verfügung ge¬ stellt wurde, natürlich mit dem Vorbehalt, daß sie Instrumente von Levysohn spielten. Die Zeitungen der Residenz brachten wenn nicht tägliche, so doch wenigstens wöchentliche, die auswärtigen Journale und Lokalblätter monatliche Bülletins über die glänzende Entwicklung der Firma Levysohn. Der Erfolg blieb auch nicht aus. In jeder Stadt bemühte sich ein oder der andre Pianofortehändler um die Vertretung von Levysohn; war in einem Hause Bedarf nach einem neuen Klavier, so wurde der Musiklehrer über die phänomenalen Erzeugnisse des Hauses L, interpellirt, L. würde heute unter den „Spitzen der Klavierfabri¬ kation" der Unsterblichkeit sicher sein, wenn er neben seinen großen geschäftlichen Fähigkeiten noch das kleine Talent besessen hätte, auf die Haltbarkeit seiner Instrumente zu sehen. Dem war aber nicht so, und darum endete die junge Herrlichkeit schnell mit einem eklatanten Bankrott.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/46
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/46>, abgerufen am 20.05.2024.