Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.Notizen. uns dabei die Beobachtung, daß bei der Anrede der um etwa zwanzig Jahre jüngere Spricht -- dies nebenbei zum Schlüsse -- die Frau vom Manne, so gebraucht Nachschrift. Soeben erhalten wir einen Brief, dessen Anfang noch einen Nochmals die Lessingstelle. Von Herrn or. H. Stürcnburg in Leipzig Zusatz der Redaktion. Da durch die vorstehende Zusendung die Frage noch Notizen. uns dabei die Beobachtung, daß bei der Anrede der um etwa zwanzig Jahre jüngere Spricht — dies nebenbei zum Schlüsse — die Frau vom Manne, so gebraucht Nachschrift. Soeben erhalten wir einen Brief, dessen Anfang noch einen Nochmals die Lessingstelle. Von Herrn or. H. Stürcnburg in Leipzig Zusatz der Redaktion. Da durch die vorstehende Zusendung die Frage noch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156052"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1868" prev="#ID_1867"> uns dabei die Beobachtung, daß bei der Anrede der um etwa zwanzig Jahre jüngere<lb/> Mann (er ist 46 Jahre alt) an seinen Vorgänger stets die Anrede „Ihr," nicht<lb/> „Sie" gebrauchte; und der so redende gehört ohne Frage zu den im Sprechen wie<lb/> im Schreiben gewandtesten Vorstehern der ganzen Gegend. Es war uns aufs neue<lb/> ein im eigentlichsten Sinne des Wortes „sprechender" Beweis dafür, wie tief das<lb/> „Ihr" noch im Volksleben wurzelt. Auch dein Vorsteher oder Bürgermeister des<lb/> Dorfes gegenüber gebrauchen die jüngeren Ortseinwohner immer nur die Ansprache<lb/> „Ihr," die ältern und die etwa gleichaltrigen das „Du." Selbst das „Er" taucht in<lb/> ländlichen Kreisen noch hin und wieder auf und bringt uns die Zeit des großen<lb/> Friedrich ins Gedächtnis.</p><lb/> <p xml:id="ID_1869"> Spricht — dies nebenbei zum Schlüsse — die Frau vom Manne, so gebraucht<lb/> sie nicht selten die Bezeichnung „der Herr" (Hausherr); redet der Mann von seiner<lb/> Frau, so sagt er kurzweg „sie" oder auch „es" (das Weib?). Nur im Verkehr mit<lb/> den Juden, welche den Bauer leider öfter heimsuchen als dem Volksfreunde lieb<lb/> sein kann, wird, gleichviel ob einer jung oder alt ist, fast allgemein das „Du" ge¬<lb/> braucht. Wo immer sich ein Jude blicken läßt, gilt das „Du" als selbstverständ¬<lb/> lich — wahrscheinlich als redendes Zeichen der Ehrerbietung und des tiefen Re¬<lb/> spektes vor der uneigennützigsten Nation.</p><lb/> <p xml:id="ID_1870"> Nachschrift. Soeben erhalten wir einen Brief, dessen Anfang noch einen<lb/> prächtigen Beleg zu dem hier ausgeführten giebt: „Niederalben den 10. Mai 1384.<lb/> Werthester Herr ......., Eiren Brief habe ich richtig erhalten, und habe darin<lb/> gesehen, daß ihr das Kapietal verlangen, ich kann es ihnen auf der Stelle<lb/> gerade nicht geben, aber ich will es ihnen sagen, daß ich biß den nächsten Harbst<lb/> biß Michaelie es ihnen besorgen will ?c." Also „Ihr" und „Sie" bunt durch¬<lb/> einander! — Nicderalben liegt im Kreis Se. Wendet im Regierungsbezirk Trier.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Nochmals die Lessingstelle.</head> <p xml:id="ID_1871"> Von Herrn or. H. Stürcnburg in Leipzig<lb/> erhalten wir folgende Zuschrift: Der geehrten Redaktion wird es nicht uninter¬<lb/> essant sein, zu erfahren, daß die in Ur. 18, S. 263 besprochene überschüssige Ne¬<lb/> gation bei Lessing doch schon länger bemerkt war. Ich selbst bin schon in den<lb/> sechziger Jahren darauf aufmerksam gemacht worden und entsinne mich, sie seitdem<lb/> öfter besprochen gefunden zu haben. Zur Hemd ist mir z. Z. die Erklärung von<lb/> Wolff-Bellermann zu Sophokles' Antigone (3. Aufl. 1378). Vers 4 ovV a^e^<lb/> vo^ «r^s et're^»: „Zu vergleichen sind Verbindungen aus neuern Schriftstellern,<lb/> die denselben Fehler zeigen, wie Lessings Emilia Galotti 2, 6: Wie wild er schon<lb/> war u. s. w., Schiller an Goethe (23. November 179ö): Da man sich nie bedacht<lb/> hat, die Meinung über meine Fehler zu unterdrücken." Wit der letztem Stelle<lb/> verhält es sich allerdings etwas anders, da „sich bedenken" durchaus nicht nur<lb/> „Bedenken tragen" ist. S. Grimm, Deutsches Wörterbuch, I, 1223.> Derselbe<lb/> Bellermann hatte schon in der Berliner Zeitschrift für Gymnasialwesen 1872,<lb/> S. 608 fig. und 922 die Lessingsche Stelle herangezogen, und Polle fügt eben¬<lb/> daselbst 1378, S. 641 weitere Beispiele hinzu, von denen gleich das erste ein<lb/> „nicht unschwer" aus Mösers Patriotischen Phantasien ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1872" next="#ID_1873"> Zusatz der Redaktion. Da durch die vorstehende Zusendung die Frage noch<lb/> einmal angeregt worden ist, so teilen wir nachträglich auch das von uns aufge¬<lb/> stochene „nicht unschwer" noch mit, das uns durch Zufall wieder in die Hände<lb/> gelaufen ist. Es stammte nicht, wie wir meinten, aus der Feder eines unsrer<lb/> namhaftesten Historiker, sondern aus der eines Schülers eines unsrer namhaftesten<lb/> Historiker. Im Vorwort zu L. von Heinemanns „Heinrich von Braunschweig"</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Notizen.
uns dabei die Beobachtung, daß bei der Anrede der um etwa zwanzig Jahre jüngere
Mann (er ist 46 Jahre alt) an seinen Vorgänger stets die Anrede „Ihr," nicht
„Sie" gebrauchte; und der so redende gehört ohne Frage zu den im Sprechen wie
im Schreiben gewandtesten Vorstehern der ganzen Gegend. Es war uns aufs neue
ein im eigentlichsten Sinne des Wortes „sprechender" Beweis dafür, wie tief das
„Ihr" noch im Volksleben wurzelt. Auch dein Vorsteher oder Bürgermeister des
Dorfes gegenüber gebrauchen die jüngeren Ortseinwohner immer nur die Ansprache
„Ihr," die ältern und die etwa gleichaltrigen das „Du." Selbst das „Er" taucht in
ländlichen Kreisen noch hin und wieder auf und bringt uns die Zeit des großen
Friedrich ins Gedächtnis.
Spricht — dies nebenbei zum Schlüsse — die Frau vom Manne, so gebraucht
sie nicht selten die Bezeichnung „der Herr" (Hausherr); redet der Mann von seiner
Frau, so sagt er kurzweg „sie" oder auch „es" (das Weib?). Nur im Verkehr mit
den Juden, welche den Bauer leider öfter heimsuchen als dem Volksfreunde lieb
sein kann, wird, gleichviel ob einer jung oder alt ist, fast allgemein das „Du" ge¬
braucht. Wo immer sich ein Jude blicken läßt, gilt das „Du" als selbstverständ¬
lich — wahrscheinlich als redendes Zeichen der Ehrerbietung und des tiefen Re¬
spektes vor der uneigennützigsten Nation.
Nachschrift. Soeben erhalten wir einen Brief, dessen Anfang noch einen
prächtigen Beleg zu dem hier ausgeführten giebt: „Niederalben den 10. Mai 1384.
Werthester Herr ......., Eiren Brief habe ich richtig erhalten, und habe darin
gesehen, daß ihr das Kapietal verlangen, ich kann es ihnen auf der Stelle
gerade nicht geben, aber ich will es ihnen sagen, daß ich biß den nächsten Harbst
biß Michaelie es ihnen besorgen will ?c." Also „Ihr" und „Sie" bunt durch¬
einander! — Nicderalben liegt im Kreis Se. Wendet im Regierungsbezirk Trier.
Nochmals die Lessingstelle. Von Herrn or. H. Stürcnburg in Leipzig
erhalten wir folgende Zuschrift: Der geehrten Redaktion wird es nicht uninter¬
essant sein, zu erfahren, daß die in Ur. 18, S. 263 besprochene überschüssige Ne¬
gation bei Lessing doch schon länger bemerkt war. Ich selbst bin schon in den
sechziger Jahren darauf aufmerksam gemacht worden und entsinne mich, sie seitdem
öfter besprochen gefunden zu haben. Zur Hemd ist mir z. Z. die Erklärung von
Wolff-Bellermann zu Sophokles' Antigone (3. Aufl. 1378). Vers 4 ovV a^e^
vo^ «r^s et're^»: „Zu vergleichen sind Verbindungen aus neuern Schriftstellern,
die denselben Fehler zeigen, wie Lessings Emilia Galotti 2, 6: Wie wild er schon
war u. s. w., Schiller an Goethe (23. November 179ö): Da man sich nie bedacht
hat, die Meinung über meine Fehler zu unterdrücken." Wit der letztem Stelle
verhält es sich allerdings etwas anders, da „sich bedenken" durchaus nicht nur
„Bedenken tragen" ist. S. Grimm, Deutsches Wörterbuch, I, 1223.> Derselbe
Bellermann hatte schon in der Berliner Zeitschrift für Gymnasialwesen 1872,
S. 608 fig. und 922 die Lessingsche Stelle herangezogen, und Polle fügt eben¬
daselbst 1378, S. 641 weitere Beispiele hinzu, von denen gleich das erste ein
„nicht unschwer" aus Mösers Patriotischen Phantasien ist.
Zusatz der Redaktion. Da durch die vorstehende Zusendung die Frage noch
einmal angeregt worden ist, so teilen wir nachträglich auch das von uns aufge¬
stochene „nicht unschwer" noch mit, das uns durch Zufall wieder in die Hände
gelaufen ist. Es stammte nicht, wie wir meinten, aus der Feder eines unsrer
namhaftesten Historiker, sondern aus der eines Schülers eines unsrer namhaftesten
Historiker. Im Vorwort zu L. von Heinemanns „Heinrich von Braunschweig"
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