Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der schmalkaldische Krieg.

on Anfang seiner Regierung an hat Karl der Fünfte nicht die
geringsten persönlichen Sympathien für die Sache der deutschen
Reformation gehabt.*) Alle früher bekannten Urkunden beweisen
dies, und ebenso was neuerdings von Bakar in den Nouumsntg,
rskorinÄtionis I^ntNörM^e (Regensburg, Pustel, 1883) veröffentlicht
worden ist. Aleander nennt den Kaiser am 26. Mai 1521 ig, iinMor xsrsong,
äst irirmäo und ist überzeugt, daß alle scheinbare Nachgiebigkeit Karls des Fünften
gegen die Ketzerei bloß den Zweck gehabt habe, von den Deutschen 24000 Mann
gegen Frankreich herauszuschlagen und dann erst die Maske fallen zu lassen,
wenn es unnötig geworden sein würde, sie länger vorzunehmen. Wenn der
Kaiser trotzdem siebenundzwanzig Jahre auf dem Throne saß, ehe er gegen die
Protestanten den Degen zog, so hatte das zwei Gründe. Fürs erste besaß Karl
vor dem Frieden zu Crespy (24. September 1544) niemals die volle Aktions¬
freiheit, ohne welche ein Krieg in Deutschland schlechterdings nicht zu führen
war. Von Franzosen und Osmanen, von Baiern und der Kurie waren ihm so
ost Steine in den Weg gewälzt worden, daß er noch nie auch nur in die Lage
gekommen war, ernstlich über einen Krieg gegen die Schmalkaldener nachzu¬
denken. Dann aber hatte er auch immer sich darauf verlassen können, daß die
Bäume der Ketzer nicht in den Himmel wachsen würden, daß auf allen Reichs¬
tagen die offizielle Mehrheit der sitz- und stimmberechtigten Fürsten altgläubig
sein würde; mochte auch von den Städten die größere Zahl, wie denn gerade
jetzt auch Regensburg abfiel, lutherisch sein, und mochte auch die ziffermäßige
Majorität im Volke überall sich der neuen Lehre zuneigen, so hatte das auf
die Reichsversammlungen keinen unmittelbaren Einfluß. Hier wog die Stimme
eines Abtes von Kempten, dem einige tausend Menschen gehorchen mochten,
so schwer als die eines Herzogs von Würtemberg, der seine Unterthanen nach
Hunderttausenden zählte.

Solange das so blieb, konnte der große politische Schachspieler stets die
eine Partei gegen die andre ausspielen; er war im Nürnberger Bund und sicherte
den Protestanten den Genuß der "geraubten" Kirchengüter zu. Jede Partei



*) Der vorstehende Aufsatz ist ein Bruchstück aus der Deutschen Geschichte im
Zeitalter der Reformation von Professor Dr. Gottlob Egelhaaf in Heilbronn,
welche von dem "Allgemeinen Verein sür deutsche Literatur" am 27. Dezember 1883 auf
Antrag der Preisrichter Gneist, Scherer und Weizsäcker preisgekrönt wurde und Ende 1384
in den Vereinsschriften erscheinen wird.
Der schmalkaldische Krieg.

on Anfang seiner Regierung an hat Karl der Fünfte nicht die
geringsten persönlichen Sympathien für die Sache der deutschen
Reformation gehabt.*) Alle früher bekannten Urkunden beweisen
dies, und ebenso was neuerdings von Bakar in den Nouumsntg,
rskorinÄtionis I^ntNörM^e (Regensburg, Pustel, 1883) veröffentlicht
worden ist. Aleander nennt den Kaiser am 26. Mai 1521 ig, iinMor xsrsong,
äst irirmäo und ist überzeugt, daß alle scheinbare Nachgiebigkeit Karls des Fünften
gegen die Ketzerei bloß den Zweck gehabt habe, von den Deutschen 24000 Mann
gegen Frankreich herauszuschlagen und dann erst die Maske fallen zu lassen,
wenn es unnötig geworden sein würde, sie länger vorzunehmen. Wenn der
Kaiser trotzdem siebenundzwanzig Jahre auf dem Throne saß, ehe er gegen die
Protestanten den Degen zog, so hatte das zwei Gründe. Fürs erste besaß Karl
vor dem Frieden zu Crespy (24. September 1544) niemals die volle Aktions¬
freiheit, ohne welche ein Krieg in Deutschland schlechterdings nicht zu führen
war. Von Franzosen und Osmanen, von Baiern und der Kurie waren ihm so
ost Steine in den Weg gewälzt worden, daß er noch nie auch nur in die Lage
gekommen war, ernstlich über einen Krieg gegen die Schmalkaldener nachzu¬
denken. Dann aber hatte er auch immer sich darauf verlassen können, daß die
Bäume der Ketzer nicht in den Himmel wachsen würden, daß auf allen Reichs¬
tagen die offizielle Mehrheit der sitz- und stimmberechtigten Fürsten altgläubig
sein würde; mochte auch von den Städten die größere Zahl, wie denn gerade
jetzt auch Regensburg abfiel, lutherisch sein, und mochte auch die ziffermäßige
Majorität im Volke überall sich der neuen Lehre zuneigen, so hatte das auf
die Reichsversammlungen keinen unmittelbaren Einfluß. Hier wog die Stimme
eines Abtes von Kempten, dem einige tausend Menschen gehorchen mochten,
so schwer als die eines Herzogs von Würtemberg, der seine Unterthanen nach
Hunderttausenden zählte.

Solange das so blieb, konnte der große politische Schachspieler stets die
eine Partei gegen die andre ausspielen; er war im Nürnberger Bund und sicherte
den Protestanten den Genuß der „geraubten" Kirchengüter zu. Jede Partei



*) Der vorstehende Aufsatz ist ein Bruchstück aus der Deutschen Geschichte im
Zeitalter der Reformation von Professor Dr. Gottlob Egelhaaf in Heilbronn,
welche von dem „Allgemeinen Verein sür deutsche Literatur" am 27. Dezember 1883 auf
Antrag der Preisrichter Gneist, Scherer und Weizsäcker preisgekrönt wurde und Ende 1384
in den Vereinsschriften erscheinen wird.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156223"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der schmalkaldische Krieg.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2481"> on Anfang seiner Regierung an hat Karl der Fünfte nicht die<lb/>
geringsten persönlichen Sympathien für die Sache der deutschen<lb/>
Reformation gehabt.*) Alle früher bekannten Urkunden beweisen<lb/>
dies, und ebenso was neuerdings von Bakar in den Nouumsntg,<lb/>
rskorinÄtionis I^ntNörM^e (Regensburg, Pustel, 1883) veröffentlicht<lb/>
worden ist. Aleander nennt den Kaiser am 26. Mai 1521 ig, iinMor xsrsong,<lb/>
äst irirmäo und ist überzeugt, daß alle scheinbare Nachgiebigkeit Karls des Fünften<lb/>
gegen die Ketzerei bloß den Zweck gehabt habe, von den Deutschen 24000 Mann<lb/>
gegen Frankreich herauszuschlagen und dann erst die Maske fallen zu lassen,<lb/>
wenn es unnötig geworden sein würde, sie länger vorzunehmen. Wenn der<lb/>
Kaiser trotzdem siebenundzwanzig Jahre auf dem Throne saß, ehe er gegen die<lb/>
Protestanten den Degen zog, so hatte das zwei Gründe. Fürs erste besaß Karl<lb/>
vor dem Frieden zu Crespy (24. September 1544) niemals die volle Aktions¬<lb/>
freiheit, ohne welche ein Krieg in Deutschland schlechterdings nicht zu führen<lb/>
war. Von Franzosen und Osmanen, von Baiern und der Kurie waren ihm so<lb/>
ost Steine in den Weg gewälzt worden, daß er noch nie auch nur in die Lage<lb/>
gekommen war, ernstlich über einen Krieg gegen die Schmalkaldener nachzu¬<lb/>
denken. Dann aber hatte er auch immer sich darauf verlassen können, daß die<lb/>
Bäume der Ketzer nicht in den Himmel wachsen würden, daß auf allen Reichs¬<lb/>
tagen die offizielle Mehrheit der sitz- und stimmberechtigten Fürsten altgläubig<lb/>
sein würde; mochte auch von den Städten die größere Zahl, wie denn gerade<lb/>
jetzt auch Regensburg abfiel, lutherisch sein, und mochte auch die ziffermäßige<lb/>
Majorität im Volke überall sich der neuen Lehre zuneigen, so hatte das auf<lb/>
die Reichsversammlungen keinen unmittelbaren Einfluß. Hier wog die Stimme<lb/>
eines Abtes von Kempten, dem einige tausend Menschen gehorchen mochten,<lb/>
so schwer als die eines Herzogs von Würtemberg, der seine Unterthanen nach<lb/>
Hunderttausenden zählte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2482" next="#ID_2483"> Solange das so blieb, konnte der große politische Schachspieler stets die<lb/>
eine Partei gegen die andre ausspielen; er war im Nürnberger Bund und sicherte<lb/>
den Protestanten den Genuß der &#x201E;geraubten" Kirchengüter zu. Jede Partei</p><lb/>
          <note xml:id="FID_50" place="foot"> *) Der vorstehende Aufsatz ist ein Bruchstück aus der Deutschen Geschichte im<lb/>
Zeitalter der Reformation von Professor Dr. Gottlob Egelhaaf in Heilbronn,<lb/>
welche von dem &#x201E;Allgemeinen Verein sür deutsche Literatur" am 27. Dezember 1883 auf<lb/>
Antrag der Preisrichter Gneist, Scherer und Weizsäcker preisgekrönt wurde und Ende 1384<lb/>
in den Vereinsschriften erscheinen wird.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0642] Der schmalkaldische Krieg. on Anfang seiner Regierung an hat Karl der Fünfte nicht die geringsten persönlichen Sympathien für die Sache der deutschen Reformation gehabt.*) Alle früher bekannten Urkunden beweisen dies, und ebenso was neuerdings von Bakar in den Nouumsntg, rskorinÄtionis I^ntNörM^e (Regensburg, Pustel, 1883) veröffentlicht worden ist. Aleander nennt den Kaiser am 26. Mai 1521 ig, iinMor xsrsong, äst irirmäo und ist überzeugt, daß alle scheinbare Nachgiebigkeit Karls des Fünften gegen die Ketzerei bloß den Zweck gehabt habe, von den Deutschen 24000 Mann gegen Frankreich herauszuschlagen und dann erst die Maske fallen zu lassen, wenn es unnötig geworden sein würde, sie länger vorzunehmen. Wenn der Kaiser trotzdem siebenundzwanzig Jahre auf dem Throne saß, ehe er gegen die Protestanten den Degen zog, so hatte das zwei Gründe. Fürs erste besaß Karl vor dem Frieden zu Crespy (24. September 1544) niemals die volle Aktions¬ freiheit, ohne welche ein Krieg in Deutschland schlechterdings nicht zu führen war. Von Franzosen und Osmanen, von Baiern und der Kurie waren ihm so ost Steine in den Weg gewälzt worden, daß er noch nie auch nur in die Lage gekommen war, ernstlich über einen Krieg gegen die Schmalkaldener nachzu¬ denken. Dann aber hatte er auch immer sich darauf verlassen können, daß die Bäume der Ketzer nicht in den Himmel wachsen würden, daß auf allen Reichs¬ tagen die offizielle Mehrheit der sitz- und stimmberechtigten Fürsten altgläubig sein würde; mochte auch von den Städten die größere Zahl, wie denn gerade jetzt auch Regensburg abfiel, lutherisch sein, und mochte auch die ziffermäßige Majorität im Volke überall sich der neuen Lehre zuneigen, so hatte das auf die Reichsversammlungen keinen unmittelbaren Einfluß. Hier wog die Stimme eines Abtes von Kempten, dem einige tausend Menschen gehorchen mochten, so schwer als die eines Herzogs von Würtemberg, der seine Unterthanen nach Hunderttausenden zählte. Solange das so blieb, konnte der große politische Schachspieler stets die eine Partei gegen die andre ausspielen; er war im Nürnberger Bund und sicherte den Protestanten den Genuß der „geraubten" Kirchengüter zu. Jede Partei *) Der vorstehende Aufsatz ist ein Bruchstück aus der Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation von Professor Dr. Gottlob Egelhaaf in Heilbronn, welche von dem „Allgemeinen Verein sür deutsche Literatur" am 27. Dezember 1883 auf Antrag der Preisrichter Gneist, Scherer und Weizsäcker preisgekrönt wurde und Ende 1384 in den Vereinsschriften erscheinen wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/642
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/642>, abgerufen am 03.05.2024.