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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die elektrische Industrie.

iM
KAMn der Geschichte des Kapitals werden die drei oder vier letzten
Jahrzehnte als die Zeit der großen Eisenbahnbauten bezeichnet
werden, weil diese Unternehmungen mittelbar oder unmittelbar
die Bewegung des Kapitals während jener Zeit bestimmt haben.
Zunächst findet dieser Einfluß seine Erklärung in der außerordent¬
lichen Absorptionsfähigkeit der Eisenbahnen, welche die freien Kapitalien in
bisher unbekanntem Maße aufsaugten und in Kapitalbildner verwandelten. Neben
dieser direkten Einwirkung auf das Kapital war aber dann noch der mittel¬
bare Antrieb thätig, welchen die Eisenbahnbauten auf die Industrie ausübten,
die ihrerseits hierdurch veranlaßt wurde, die Hilfe des Kapitals in Anspruch zu
nehmen. In dieser Weise entwickelte sich durch Wirkung und Rückwirkung eine Art
Kreisprozeß im wirtschaftlichen Organismus, indem durch die erwähnten Unter¬
nehmen große Kapitalmassen absorbirt, alsdann im Laufe der Zeit in vergrößerten!
Maße neu erzeugt und so für neue Verwendung frei wurden, um darauf aufs neue
in den Kreisprozeß einzutreten. Bei einem solchen Prozesse ist es wesentlich,
daß der einmal gebildete Organismus, auf dessen Funktion jener Kreisprozeß
beruht, entweder erhalten bleibe oder in seinen Funktionen durch einen andern
ersetzt werde, weil andernfalls der Verfall desselben eine Störung der gesamten
wirtschaftlichen Thätigkeit bedeutet.

Einem solchen Verfall eines großen wirtschaftlichen Organismus nähern
wir uns, und dieser Organismus sind die Eisenbahnen, soweit es sich um ihre
Absorptious- und Assimilationsfähigkeit für das Kapital handelt. Denn die
Hauptlinien der großen Eisenbahnnetze sind ausgebaut und wo sie es, wie in
Amerika, noch nicht sind, wird es im Laufe des nächsten Jahrzehnts oder jeden¬
falls vor Ablauf des Jahrhunderts geschehen. Der Ausbau der Sektionen der
Netze dürfte einen bedeutenden Einfluß auf das Kapital kaum noch ausüben
können, und was eventuelle große Eisenbahnbauten in China u. s. w. betrifft,
so ist wohl kaum zu erwarten, daß hier eine sehr intensive Bauthätigkeit ein¬
treten werde. Aber wenn wir auch wirklich den günstigsten Fall annehmen, so
werden wir doch sagen müssen, daß einmal der Zeitpunkt kommen wird, in
welchem die Absorptionsfähigkeit der Eisenbahnen im Verhältnis zur gesteigerten
Kapitalproduktion so gesunken sein wird, daß sie das freie Kapital nicht mehr
aufnehmen können, jenes sich also in wachsendem Maße anhäufen und eine
neue Verwendung suchen wird. Ein solcher Zustand hat aber eine erhebliche
nationale Bedeutung, denn die künftige Gestaltung der Verhältnisse und das
Geschick eines Volkes ist eng verbunden mit der Verwendung seiner erarbeiteten


Die elektrische Industrie.

iM
KAMn der Geschichte des Kapitals werden die drei oder vier letzten
Jahrzehnte als die Zeit der großen Eisenbahnbauten bezeichnet
werden, weil diese Unternehmungen mittelbar oder unmittelbar
die Bewegung des Kapitals während jener Zeit bestimmt haben.
Zunächst findet dieser Einfluß seine Erklärung in der außerordent¬
lichen Absorptionsfähigkeit der Eisenbahnen, welche die freien Kapitalien in
bisher unbekanntem Maße aufsaugten und in Kapitalbildner verwandelten. Neben
dieser direkten Einwirkung auf das Kapital war aber dann noch der mittel¬
bare Antrieb thätig, welchen die Eisenbahnbauten auf die Industrie ausübten,
die ihrerseits hierdurch veranlaßt wurde, die Hilfe des Kapitals in Anspruch zu
nehmen. In dieser Weise entwickelte sich durch Wirkung und Rückwirkung eine Art
Kreisprozeß im wirtschaftlichen Organismus, indem durch die erwähnten Unter¬
nehmen große Kapitalmassen absorbirt, alsdann im Laufe der Zeit in vergrößerten!
Maße neu erzeugt und so für neue Verwendung frei wurden, um darauf aufs neue
in den Kreisprozeß einzutreten. Bei einem solchen Prozesse ist es wesentlich,
daß der einmal gebildete Organismus, auf dessen Funktion jener Kreisprozeß
beruht, entweder erhalten bleibe oder in seinen Funktionen durch einen andern
ersetzt werde, weil andernfalls der Verfall desselben eine Störung der gesamten
wirtschaftlichen Thätigkeit bedeutet.

Einem solchen Verfall eines großen wirtschaftlichen Organismus nähern
wir uns, und dieser Organismus sind die Eisenbahnen, soweit es sich um ihre
Absorptious- und Assimilationsfähigkeit für das Kapital handelt. Denn die
Hauptlinien der großen Eisenbahnnetze sind ausgebaut und wo sie es, wie in
Amerika, noch nicht sind, wird es im Laufe des nächsten Jahrzehnts oder jeden¬
falls vor Ablauf des Jahrhunderts geschehen. Der Ausbau der Sektionen der
Netze dürfte einen bedeutenden Einfluß auf das Kapital kaum noch ausüben
können, und was eventuelle große Eisenbahnbauten in China u. s. w. betrifft,
so ist wohl kaum zu erwarten, daß hier eine sehr intensive Bauthätigkeit ein¬
treten werde. Aber wenn wir auch wirklich den günstigsten Fall annehmen, so
werden wir doch sagen müssen, daß einmal der Zeitpunkt kommen wird, in
welchem die Absorptionsfähigkeit der Eisenbahnen im Verhältnis zur gesteigerten
Kapitalproduktion so gesunken sein wird, daß sie das freie Kapital nicht mehr
aufnehmen können, jenes sich also in wachsendem Maße anhäufen und eine
neue Verwendung suchen wird. Ein solcher Zustand hat aber eine erhebliche
nationale Bedeutung, denn die künftige Gestaltung der Verhältnisse und das
Geschick eines Volkes ist eng verbunden mit der Verwendung seiner erarbeiteten


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[0020] Die elektrische Industrie. iM KAMn der Geschichte des Kapitals werden die drei oder vier letzten Jahrzehnte als die Zeit der großen Eisenbahnbauten bezeichnet werden, weil diese Unternehmungen mittelbar oder unmittelbar die Bewegung des Kapitals während jener Zeit bestimmt haben. Zunächst findet dieser Einfluß seine Erklärung in der außerordent¬ lichen Absorptionsfähigkeit der Eisenbahnen, welche die freien Kapitalien in bisher unbekanntem Maße aufsaugten und in Kapitalbildner verwandelten. Neben dieser direkten Einwirkung auf das Kapital war aber dann noch der mittel¬ bare Antrieb thätig, welchen die Eisenbahnbauten auf die Industrie ausübten, die ihrerseits hierdurch veranlaßt wurde, die Hilfe des Kapitals in Anspruch zu nehmen. In dieser Weise entwickelte sich durch Wirkung und Rückwirkung eine Art Kreisprozeß im wirtschaftlichen Organismus, indem durch die erwähnten Unter¬ nehmen große Kapitalmassen absorbirt, alsdann im Laufe der Zeit in vergrößerten! Maße neu erzeugt und so für neue Verwendung frei wurden, um darauf aufs neue in den Kreisprozeß einzutreten. Bei einem solchen Prozesse ist es wesentlich, daß der einmal gebildete Organismus, auf dessen Funktion jener Kreisprozeß beruht, entweder erhalten bleibe oder in seinen Funktionen durch einen andern ersetzt werde, weil andernfalls der Verfall desselben eine Störung der gesamten wirtschaftlichen Thätigkeit bedeutet. Einem solchen Verfall eines großen wirtschaftlichen Organismus nähern wir uns, und dieser Organismus sind die Eisenbahnen, soweit es sich um ihre Absorptious- und Assimilationsfähigkeit für das Kapital handelt. Denn die Hauptlinien der großen Eisenbahnnetze sind ausgebaut und wo sie es, wie in Amerika, noch nicht sind, wird es im Laufe des nächsten Jahrzehnts oder jeden¬ falls vor Ablauf des Jahrhunderts geschehen. Der Ausbau der Sektionen der Netze dürfte einen bedeutenden Einfluß auf das Kapital kaum noch ausüben können, und was eventuelle große Eisenbahnbauten in China u. s. w. betrifft, so ist wohl kaum zu erwarten, daß hier eine sehr intensive Bauthätigkeit ein¬ treten werde. Aber wenn wir auch wirklich den günstigsten Fall annehmen, so werden wir doch sagen müssen, daß einmal der Zeitpunkt kommen wird, in welchem die Absorptionsfähigkeit der Eisenbahnen im Verhältnis zur gesteigerten Kapitalproduktion so gesunken sein wird, daß sie das freie Kapital nicht mehr aufnehmen können, jenes sich also in wachsendem Maße anhäufen und eine neue Verwendung suchen wird. Ein solcher Zustand hat aber eine erhebliche nationale Bedeutung, denn die künftige Gestaltung der Verhältnisse und das Geschick eines Volkes ist eng verbunden mit der Verwendung seiner erarbeiteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/20>, abgerufen am 04.05.2024.