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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks,

Ich zürne dir nicht, ich bin etwas müde.

Doch! Du verzeihst mir nicht, daß ich durch mein dummes Briefeverbrennen
all dies Unheil heraufbeschwur.

Wie hätte das kommen sollen? Mich selbst trifft ja alle Schuld.

Berthold! Du liebst mich nicht mehr!

Ich verstehe nicht, was du redest.

So ging er. Erst spät kam sie heute zur Ruhe.

Der Arme! sagte sie. Es überlief sie doch eiskalt. Ich hätte ihn nicht
küssen sollen. Und diese Lore saugt ihm die Wunden aus! Und wäre es meine
Mutter gewesen, ich hätte es nicht vermocht! Diese Mädchen aus den niedern
Ständen haben Nerven wie Schiffstaue! Aber es war brav von ihr, magh
nun helfen oder nicht. Ich werde ihr morgen ein abgelegtes Kleid schenke"
oder was andres, denn sie nimmt ja keine Kleider von mir; mein tlsur as tus
liegt ja noch, wo ichs für sie hinlegte. Einerlei! Sie erwies mir wirklich
einen großen Dienst. Himmel, wenn wir bei Nacht und Nebel hätten zum
Doktor schicken müssen! Das Gerede morgen in der ganzen Nachbarschaft!




Zwölftes Aapitel.

Wie lautet doch die Antwort des "Erfahrenen" in dem Goethischen "Ge¬
sellschaftlichen Fragespiel" über die Art, wie das zarte Geschlecht genommen
sein will?


Geh den Weibern zart entgegen,
Du gewinnst sie auf mein Wort,
Und wer rasch ist und verwegen,
Kommt vielleicht iwch besser fort.
Doch wem wenig dran gelegen
Schemel, ob er reizt und rührt,
Der beleidigt, der verführt.

Ohne es zu wollen, hatte Berthold durch sein kühl ablehnendes Verhalten
die letztere Wirkung auf Hermione hervorgebracht. Sie war bis dahin ihn, gut
gewesen, nicht mehr, nicht weniger. Jetzt erst begann sie wirklich mit dem Herzen
warm für ihn zu fühlen.

Die nächste Folge war, daß sie, in Sorge um ihn, den noch am Leben
befindlichen Leonberger nicht kurzweg erschießen, sondern Tag und Nacht sorg¬
fältig beobachten ließ. Sie hatte unter dem Eindruck der Katastrophe nur Mit¬
leid empfunden, hatte nicht zu denken vermocht, was weiter werden solle. Jetzt
sagte sie sich, sie werde die Scheu vor Berthold mit der Zeit überwinden, und
sie ersehnte eine solche Wendung mit weit mehr Innigkeit, als sie selbst bisher
sür möglich gehalten hatte.


GrenMen I. 1384. 40
Auf der Leiter des Glücks,

Ich zürne dir nicht, ich bin etwas müde.

Doch! Du verzeihst mir nicht, daß ich durch mein dummes Briefeverbrennen
all dies Unheil heraufbeschwur.

Wie hätte das kommen sollen? Mich selbst trifft ja alle Schuld.

Berthold! Du liebst mich nicht mehr!

Ich verstehe nicht, was du redest.

So ging er. Erst spät kam sie heute zur Ruhe.

Der Arme! sagte sie. Es überlief sie doch eiskalt. Ich hätte ihn nicht
küssen sollen. Und diese Lore saugt ihm die Wunden aus! Und wäre es meine
Mutter gewesen, ich hätte es nicht vermocht! Diese Mädchen aus den niedern
Ständen haben Nerven wie Schiffstaue! Aber es war brav von ihr, magh
nun helfen oder nicht. Ich werde ihr morgen ein abgelegtes Kleid schenke»
oder was andres, denn sie nimmt ja keine Kleider von mir; mein tlsur as tus
liegt ja noch, wo ichs für sie hinlegte. Einerlei! Sie erwies mir wirklich
einen großen Dienst. Himmel, wenn wir bei Nacht und Nebel hätten zum
Doktor schicken müssen! Das Gerede morgen in der ganzen Nachbarschaft!




Zwölftes Aapitel.

Wie lautet doch die Antwort des „Erfahrenen" in dem Goethischen „Ge¬
sellschaftlichen Fragespiel" über die Art, wie das zarte Geschlecht genommen
sein will?


Geh den Weibern zart entgegen,
Du gewinnst sie auf mein Wort,
Und wer rasch ist und verwegen,
Kommt vielleicht iwch besser fort.
Doch wem wenig dran gelegen
Schemel, ob er reizt und rührt,
Der beleidigt, der verführt.

Ohne es zu wollen, hatte Berthold durch sein kühl ablehnendes Verhalten
die letztere Wirkung auf Hermione hervorgebracht. Sie war bis dahin ihn, gut
gewesen, nicht mehr, nicht weniger. Jetzt erst begann sie wirklich mit dem Herzen
warm für ihn zu fühlen.

Die nächste Folge war, daß sie, in Sorge um ihn, den noch am Leben
befindlichen Leonberger nicht kurzweg erschießen, sondern Tag und Nacht sorg¬
fältig beobachten ließ. Sie hatte unter dem Eindruck der Katastrophe nur Mit¬
leid empfunden, hatte nicht zu denken vermocht, was weiter werden solle. Jetzt
sagte sie sich, sie werde die Scheu vor Berthold mit der Zeit überwinden, und
sie ersehnte eine solche Wendung mit weit mehr Innigkeit, als sie selbst bisher
sür möglich gehalten hatte.


GrenMen I. 1384. 40
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/323>, abgerufen am 04.05.2024.