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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

hatte so viele Ausreden, daß die als vormalige Krankenpflegerin an alle mög¬
lichen Hilfsleistungen gewöhnte Lore sich endlich selbst dem unaufschiebbaren
Geschäfte unterzog.

Als dies Notwendigste geschehen war, eilte sie auf ihr Zimmer, holte ans
ihrer Hausapotheke Karbolsäure zum Auswaschen der Wunden und blieb, nach¬
dem auch das verrichtet war, "eben dem Kanapee des langsam zum Bewußt¬
sein Zurückkehrenden schweigend stehen, bis die inzwischen unter den Händen
des Stubenmädchens von ihrer Ohnmacht genehme Braut des Patienten sie ab¬
löste.

Hermione war leicht gewandet, aber nicht mehr im Nachtkleide, ihr halb
gelöstes Haar ringelte sich um Schulter und Nacken. Lassen Sie uns allein,
bat sie die Pflegerin. Und Lore zog sich zurück.

Hermione kniete neben dem regungslos Daliegenden. Sie hatte etwas wie
einen Weinkrampf gehabt. Noch jetzt fehlten ihr die Worte; es grauste sie,
nicht aus Kälte des Herzens, sondern aus unüberwindlicher Scheu vor Gebissenen;
Lore fortzuschicken, hatte ihr eine große Überwindung gekostet.

Wie ist dir? stotterte sie, ohne daß sie ihn anzusehen wagte. Die entsetz¬
lichen Untiere! Morgen lasse ich sie erschießen. Wie lange habe ich der Mama
schon prophezeit, es werde noch ein Unglück geben! Wie ist dir, Lieber?

Berthold blickte starren Auges vor sich hin.

Verzeih mir nur, daß ich so hasenherzig in Ohnmacht fiel, begann sie von
neuem, ich bin nicht schwach von Kräften, in der Pension hat sich alles vor
mir in Acht nehmen müssen. Aber wurde einer Kollegin nur ein Zahn aus¬
gezogen, da lag ich bei dem ersten Ruck sicher schon in Ohnmacht. Wie ist dir,
Lieber?

Ihr Mitleid besiegte doch ihre Scheu. Sie beugte sich über ihn und küßte
seine Stirn.

Küsse auch du mich, sagte sie; wie ist dir?

Besser, gab er zur Antwort.

Wirst du morgen noch nach einem Doktor schicken müssen? Ich meine nur,
weil er fragen wird: mit welchem Cerberus banden Sie denn an? Das könnte
schönes Gerede geben.

Ich werde die zottigen Wächter der Villa Mockritz nicht erwähnen. Er
erhob sich langsam von dem Kanapee.

Du giebst mir die Hand darauf?

Hier ist sie. Gute Nacht.

Schon gute Nacht? Wirst du den Heimweg schon jetzt wagen können?
Sie vermißte etwas in seinen Worten.

Der Mond ist aufgegangen. Befürchte nichts. Er machte sich aus ihrer
Umarmung los.

Du züruest mir?


Auf der Leiter des Glücks.

hatte so viele Ausreden, daß die als vormalige Krankenpflegerin an alle mög¬
lichen Hilfsleistungen gewöhnte Lore sich endlich selbst dem unaufschiebbaren
Geschäfte unterzog.

Als dies Notwendigste geschehen war, eilte sie auf ihr Zimmer, holte ans
ihrer Hausapotheke Karbolsäure zum Auswaschen der Wunden und blieb, nach¬
dem auch das verrichtet war, »eben dem Kanapee des langsam zum Bewußt¬
sein Zurückkehrenden schweigend stehen, bis die inzwischen unter den Händen
des Stubenmädchens von ihrer Ohnmacht genehme Braut des Patienten sie ab¬
löste.

Hermione war leicht gewandet, aber nicht mehr im Nachtkleide, ihr halb
gelöstes Haar ringelte sich um Schulter und Nacken. Lassen Sie uns allein,
bat sie die Pflegerin. Und Lore zog sich zurück.

Hermione kniete neben dem regungslos Daliegenden. Sie hatte etwas wie
einen Weinkrampf gehabt. Noch jetzt fehlten ihr die Worte; es grauste sie,
nicht aus Kälte des Herzens, sondern aus unüberwindlicher Scheu vor Gebissenen;
Lore fortzuschicken, hatte ihr eine große Überwindung gekostet.

Wie ist dir? stotterte sie, ohne daß sie ihn anzusehen wagte. Die entsetz¬
lichen Untiere! Morgen lasse ich sie erschießen. Wie lange habe ich der Mama
schon prophezeit, es werde noch ein Unglück geben! Wie ist dir, Lieber?

Berthold blickte starren Auges vor sich hin.

Verzeih mir nur, daß ich so hasenherzig in Ohnmacht fiel, begann sie von
neuem, ich bin nicht schwach von Kräften, in der Pension hat sich alles vor
mir in Acht nehmen müssen. Aber wurde einer Kollegin nur ein Zahn aus¬
gezogen, da lag ich bei dem ersten Ruck sicher schon in Ohnmacht. Wie ist dir,
Lieber?

Ihr Mitleid besiegte doch ihre Scheu. Sie beugte sich über ihn und küßte
seine Stirn.

Küsse auch du mich, sagte sie; wie ist dir?

Besser, gab er zur Antwort.

Wirst du morgen noch nach einem Doktor schicken müssen? Ich meine nur,
weil er fragen wird: mit welchem Cerberus banden Sie denn an? Das könnte
schönes Gerede geben.

Ich werde die zottigen Wächter der Villa Mockritz nicht erwähnen. Er
erhob sich langsam von dem Kanapee.

Du giebst mir die Hand darauf?

Hier ist sie. Gute Nacht.

Schon gute Nacht? Wirst du den Heimweg schon jetzt wagen können?
Sie vermißte etwas in seinen Worten.

Der Mond ist aufgegangen. Befürchte nichts. Er machte sich aus ihrer
Umarmung los.

Du züruest mir?


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[0322] Auf der Leiter des Glücks. hatte so viele Ausreden, daß die als vormalige Krankenpflegerin an alle mög¬ lichen Hilfsleistungen gewöhnte Lore sich endlich selbst dem unaufschiebbaren Geschäfte unterzog. Als dies Notwendigste geschehen war, eilte sie auf ihr Zimmer, holte ans ihrer Hausapotheke Karbolsäure zum Auswaschen der Wunden und blieb, nach¬ dem auch das verrichtet war, »eben dem Kanapee des langsam zum Bewußt¬ sein Zurückkehrenden schweigend stehen, bis die inzwischen unter den Händen des Stubenmädchens von ihrer Ohnmacht genehme Braut des Patienten sie ab¬ löste. Hermione war leicht gewandet, aber nicht mehr im Nachtkleide, ihr halb gelöstes Haar ringelte sich um Schulter und Nacken. Lassen Sie uns allein, bat sie die Pflegerin. Und Lore zog sich zurück. Hermione kniete neben dem regungslos Daliegenden. Sie hatte etwas wie einen Weinkrampf gehabt. Noch jetzt fehlten ihr die Worte; es grauste sie, nicht aus Kälte des Herzens, sondern aus unüberwindlicher Scheu vor Gebissenen; Lore fortzuschicken, hatte ihr eine große Überwindung gekostet. Wie ist dir? stotterte sie, ohne daß sie ihn anzusehen wagte. Die entsetz¬ lichen Untiere! Morgen lasse ich sie erschießen. Wie lange habe ich der Mama schon prophezeit, es werde noch ein Unglück geben! Wie ist dir, Lieber? Berthold blickte starren Auges vor sich hin. Verzeih mir nur, daß ich so hasenherzig in Ohnmacht fiel, begann sie von neuem, ich bin nicht schwach von Kräften, in der Pension hat sich alles vor mir in Acht nehmen müssen. Aber wurde einer Kollegin nur ein Zahn aus¬ gezogen, da lag ich bei dem ersten Ruck sicher schon in Ohnmacht. Wie ist dir, Lieber? Ihr Mitleid besiegte doch ihre Scheu. Sie beugte sich über ihn und küßte seine Stirn. Küsse auch du mich, sagte sie; wie ist dir? Besser, gab er zur Antwort. Wirst du morgen noch nach einem Doktor schicken müssen? Ich meine nur, weil er fragen wird: mit welchem Cerberus banden Sie denn an? Das könnte schönes Gerede geben. Ich werde die zottigen Wächter der Villa Mockritz nicht erwähnen. Er erhob sich langsam von dem Kanapee. Du giebst mir die Hand darauf? Hier ist sie. Gute Nacht. Schon gute Nacht? Wirst du den Heimweg schon jetzt wagen können? Sie vermißte etwas in seinen Worten. Der Mond ist aufgegangen. Befürchte nichts. Er machte sich aus ihrer Umarmung los. Du züruest mir?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/322>, abgerufen am 26.05.2024.