Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Leiter des Glücks.

Wenn euch auch gewiß nicht die Schuld trifft, mir die Wege zu sehr
gebahnt zu haben, so bahnten sie sich doch vielleicht zu rasch.

Welch eine Lehre für die weibliche Jngend! sagte Frau Anna kopfschüttelnd.

O nein! Ich allein muß mich anklagen. Warum bildete ich mir ein,
ein schönes Mädchen habe auch vor allem ein Herz!

Welch eine bittere Lehre! wiederholte Frau Anna, ohne den Zusatz zu be¬
achten; und niemand ist da, um sie zu hören!

Liebe Mutter, sagte Berthold, hilf mir nur vor allem jetzt einen Weg aus¬
findig machen, um Fräulein von Mockritz nicht an ihrem Rufe zu schädige".

Finde einen! Ich glaube, du wirst vergebens suchen, gab Frau Anna
ratlos zur Antwort.

Die Verlobung ist noch nicht dcklnrirt, versetzte Berthold, Frau von Mockritz
hat meinen Antrag erst nach persönlicher Bekanntschaft annehmen wollen. Sie
muß jetzt diejenige sein, welche mich zurückweist.

Du siehst, wohin wir gelangen! rief Frau Anna schmerzlich; wie vielen
haben wir von dir erzählt! wie oft haben wir dein Bild gezeigt, aus deinen
Briefen vorgelesen! Jetzt können wir die Villa nnr wieder verkaufen. Alles
wurde hier bewundert. Auf einmal soll es heißen: aber von dem Sohne darf
man nicht sprechen; in jedem Hause giebt es irgend eine düstre Ecke, auf die
der Besucher nicht achten darf. -- Dein Vater wirds nicht überleben. -- Und
deine heimlichen Besuche!

Die müssen geleugnet werden.

Nach dem Auftritte mit den Hunden?

Die, müßt ihr sagen, hatte das Fräulein von der Kette lösen lassen, um
sich vor meinen Zudringlichkeiten zu schützen.

Frau Anna ergriff die Hände ihres Sohnes: Mein ehrlicher, mein guter
Berthold! rief sie.

Ich kann euch, liebe Eltern, sagte Berthold, das Leid nicht ersparen, daß
man mich eine Zeit lang für einen leichten Vogel ansieht. Aber wird der
Vater mir noch böse sein, wenn ich ans diese Weise wenigstens das Fräulein
rette?

Ob er dir böse ist, weiß ich ja gar nicht, sagte Fran Anna, vielleicht ist
^ nur traurig. Traurig aber bin auch ich. Wir haben uns das Wort ge¬
geben, dich uicht durch eine unebenbürtige Heirat unter unseru Stand hinab¬
steigen zu lassen. Welches Mädchen ans gutem Hause wird aber einen Menschen
wollen, gegen den eine andre sich in jener eklatanten Weise schützen mußte!




Dreizehntes Aar-nel.

Bildung macht in der That frei, sagte Kaspar Benedikt am folgenden
Morgen zu seiner Frau, es ist etwas Wunderbares um gute Bücher. Ich war


Auf der Leiter des Glücks.

Wenn euch auch gewiß nicht die Schuld trifft, mir die Wege zu sehr
gebahnt zu haben, so bahnten sie sich doch vielleicht zu rasch.

Welch eine Lehre für die weibliche Jngend! sagte Frau Anna kopfschüttelnd.

O nein! Ich allein muß mich anklagen. Warum bildete ich mir ein,
ein schönes Mädchen habe auch vor allem ein Herz!

Welch eine bittere Lehre! wiederholte Frau Anna, ohne den Zusatz zu be¬
achten; und niemand ist da, um sie zu hören!

Liebe Mutter, sagte Berthold, hilf mir nur vor allem jetzt einen Weg aus¬
findig machen, um Fräulein von Mockritz nicht an ihrem Rufe zu schädige».

Finde einen! Ich glaube, du wirst vergebens suchen, gab Frau Anna
ratlos zur Antwort.

Die Verlobung ist noch nicht dcklnrirt, versetzte Berthold, Frau von Mockritz
hat meinen Antrag erst nach persönlicher Bekanntschaft annehmen wollen. Sie
muß jetzt diejenige sein, welche mich zurückweist.

Du siehst, wohin wir gelangen! rief Frau Anna schmerzlich; wie vielen
haben wir von dir erzählt! wie oft haben wir dein Bild gezeigt, aus deinen
Briefen vorgelesen! Jetzt können wir die Villa nnr wieder verkaufen. Alles
wurde hier bewundert. Auf einmal soll es heißen: aber von dem Sohne darf
man nicht sprechen; in jedem Hause giebt es irgend eine düstre Ecke, auf die
der Besucher nicht achten darf. — Dein Vater wirds nicht überleben. — Und
deine heimlichen Besuche!

Die müssen geleugnet werden.

Nach dem Auftritte mit den Hunden?

Die, müßt ihr sagen, hatte das Fräulein von der Kette lösen lassen, um
sich vor meinen Zudringlichkeiten zu schützen.

Frau Anna ergriff die Hände ihres Sohnes: Mein ehrlicher, mein guter
Berthold! rief sie.

Ich kann euch, liebe Eltern, sagte Berthold, das Leid nicht ersparen, daß
man mich eine Zeit lang für einen leichten Vogel ansieht. Aber wird der
Vater mir noch böse sein, wenn ich ans diese Weise wenigstens das Fräulein
rette?

Ob er dir böse ist, weiß ich ja gar nicht, sagte Fran Anna, vielleicht ist
^ nur traurig. Traurig aber bin auch ich. Wir haben uns das Wort ge¬
geben, dich uicht durch eine unebenbürtige Heirat unter unseru Stand hinab¬
steigen zu lassen. Welches Mädchen ans gutem Hause wird aber einen Menschen
wollen, gegen den eine andre sich in jener eklatanten Weise schützen mußte!




Dreizehntes Aar-nel.

Bildung macht in der That frei, sagte Kaspar Benedikt am folgenden
Morgen zu seiner Frau, es ist etwas Wunderbares um gute Bücher. Ich war


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155256"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1547"> Wenn euch auch gewiß nicht die Schuld trifft, mir die Wege zu sehr<lb/>
gebahnt zu haben, so bahnten sie sich doch vielleicht zu rasch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1548"> Welch eine Lehre für die weibliche Jngend! sagte Frau Anna kopfschüttelnd.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1549"> O nein! Ich allein muß mich anklagen. Warum bildete ich mir ein,<lb/>
ein schönes Mädchen habe auch vor allem ein Herz!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1550"> Welch eine bittere Lehre! wiederholte Frau Anna, ohne den Zusatz zu be¬<lb/>
achten; und niemand ist da, um sie zu hören!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1551"> Liebe Mutter, sagte Berthold, hilf mir nur vor allem jetzt einen Weg aus¬<lb/>
findig machen, um Fräulein von Mockritz nicht an ihrem Rufe zu schädige».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1552"> Finde einen! Ich glaube, du wirst vergebens suchen, gab Frau Anna<lb/>
ratlos zur Antwort.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1553"> Die Verlobung ist noch nicht dcklnrirt, versetzte Berthold, Frau von Mockritz<lb/>
hat meinen Antrag erst nach persönlicher Bekanntschaft annehmen wollen. Sie<lb/>
muß jetzt diejenige sein, welche mich zurückweist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1554"> Du siehst, wohin wir gelangen! rief Frau Anna schmerzlich; wie vielen<lb/>
haben wir von dir erzählt! wie oft haben wir dein Bild gezeigt, aus deinen<lb/>
Briefen vorgelesen! Jetzt können wir die Villa nnr wieder verkaufen. Alles<lb/>
wurde hier bewundert. Auf einmal soll es heißen: aber von dem Sohne darf<lb/>
man nicht sprechen; in jedem Hause giebt es irgend eine düstre Ecke, auf die<lb/>
der Besucher nicht achten darf. &#x2014; Dein Vater wirds nicht überleben. &#x2014; Und<lb/>
deine heimlichen Besuche!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1555"> Die müssen geleugnet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1556"> Nach dem Auftritte mit den Hunden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1557"> Die, müßt ihr sagen, hatte das Fräulein von der Kette lösen lassen, um<lb/>
sich vor meinen Zudringlichkeiten zu schützen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1558"> Frau Anna ergriff die Hände ihres Sohnes: Mein ehrlicher, mein guter<lb/>
Berthold! rief sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1559"> Ich kann euch, liebe Eltern, sagte Berthold, das Leid nicht ersparen, daß<lb/>
man mich eine Zeit lang für einen leichten Vogel ansieht. Aber wird der<lb/>
Vater mir noch böse sein, wenn ich ans diese Weise wenigstens das Fräulein<lb/>
rette?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1560"> Ob er dir böse ist, weiß ich ja gar nicht, sagte Fran Anna, vielleicht ist<lb/>
^ nur traurig. Traurig aber bin auch ich. Wir haben uns das Wort ge¬<lb/>
geben, dich uicht durch eine unebenbürtige Heirat unter unseru Stand hinab¬<lb/>
steigen zu lassen. Welches Mädchen ans gutem Hause wird aber einen Menschen<lb/>
wollen, gegen den eine andre sich in jener eklatanten Weise schützen mußte!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Dreizehntes Aar-nel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1561" next="#ID_1562"> Bildung macht in der That frei, sagte Kaspar Benedikt am folgenden<lb/>
Morgen zu seiner Frau, es ist etwas Wunderbares um gute Bücher. Ich war</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] Auf der Leiter des Glücks. Wenn euch auch gewiß nicht die Schuld trifft, mir die Wege zu sehr gebahnt zu haben, so bahnten sie sich doch vielleicht zu rasch. Welch eine Lehre für die weibliche Jngend! sagte Frau Anna kopfschüttelnd. O nein! Ich allein muß mich anklagen. Warum bildete ich mir ein, ein schönes Mädchen habe auch vor allem ein Herz! Welch eine bittere Lehre! wiederholte Frau Anna, ohne den Zusatz zu be¬ achten; und niemand ist da, um sie zu hören! Liebe Mutter, sagte Berthold, hilf mir nur vor allem jetzt einen Weg aus¬ findig machen, um Fräulein von Mockritz nicht an ihrem Rufe zu schädige». Finde einen! Ich glaube, du wirst vergebens suchen, gab Frau Anna ratlos zur Antwort. Die Verlobung ist noch nicht dcklnrirt, versetzte Berthold, Frau von Mockritz hat meinen Antrag erst nach persönlicher Bekanntschaft annehmen wollen. Sie muß jetzt diejenige sein, welche mich zurückweist. Du siehst, wohin wir gelangen! rief Frau Anna schmerzlich; wie vielen haben wir von dir erzählt! wie oft haben wir dein Bild gezeigt, aus deinen Briefen vorgelesen! Jetzt können wir die Villa nnr wieder verkaufen. Alles wurde hier bewundert. Auf einmal soll es heißen: aber von dem Sohne darf man nicht sprechen; in jedem Hause giebt es irgend eine düstre Ecke, auf die der Besucher nicht achten darf. — Dein Vater wirds nicht überleben. — Und deine heimlichen Besuche! Die müssen geleugnet werden. Nach dem Auftritte mit den Hunden? Die, müßt ihr sagen, hatte das Fräulein von der Kette lösen lassen, um sich vor meinen Zudringlichkeiten zu schützen. Frau Anna ergriff die Hände ihres Sohnes: Mein ehrlicher, mein guter Berthold! rief sie. Ich kann euch, liebe Eltern, sagte Berthold, das Leid nicht ersparen, daß man mich eine Zeit lang für einen leichten Vogel ansieht. Aber wird der Vater mir noch böse sein, wenn ich ans diese Weise wenigstens das Fräulein rette? Ob er dir böse ist, weiß ich ja gar nicht, sagte Fran Anna, vielleicht ist ^ nur traurig. Traurig aber bin auch ich. Wir haben uns das Wort ge¬ geben, dich uicht durch eine unebenbürtige Heirat unter unseru Stand hinab¬ steigen zu lassen. Welches Mädchen ans gutem Hause wird aber einen Menschen wollen, gegen den eine andre sich in jener eklatanten Weise schützen mußte! Dreizehntes Aar-nel. Bildung macht in der That frei, sagte Kaspar Benedikt am folgenden Morgen zu seiner Frau, es ist etwas Wunderbares um gute Bücher. Ich war

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/373>, abgerufen am 04.05.2024.