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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

gestern in einer jener gehässigen Gemütsverfassungen, in denen man Kinder ent¬
erbe. Heute bin ich, um unserm armen Jungen nicht zu begegnen, in unsre
Bibliothek gegangen, und siehe da: mir ist die gestern eingetretene Wendung
fast lieb.

Du bist immer die Herzensgüte selbst gewesen, antwortete Frau Anna,
ohne die Miene zu erheitern.

So mußt du, was ich meine, nicht auffassen, protestirte der Fabrikant.
Wenn ich heute auf dies und das, was mir früher an Fräulein von Mockritz
nicht gefallen wollte, zurückgeführt worden bin, so danke ich das der Schilderung,
die ein gewisser Plinius, ein Römer, von seiner jungen Frau entworfen hat.

Wie du nur alle die fremde" Sprachen so rasch erlernst!

Ich halte mich ja an das Bücherfach, wo die Übersetzungen stehen. Aber
daneben fand ich noch ein weit lehrreicheres Buch, und bei dem sind mir schier
die Haare zu Berge gestiegen.

Doch nicht mit Beziehung auf Hundebisse?

Nein, sagte der Fabrikant, mit Beziehung auf die Mittel, deren sich junge
Damen in der Zeit, wo jenes Buch geschrieben wurde, bedienten, um junge
Herren um ihre fünf Sinne zu bringen.

Laß hören, rief Fran Anna; ich bin doch neugierig, ob deine Frau nicht
selbst dabei ans schwarze Brett kommt. Es ist abscheulich, was die Männer
uns alles nachreden.

Was dich, meine liebe Alte, betrifft, beschwichtigte sie Kaspar Benedikt, so
bist du mir einzig bei jenem bewundernden Briefe des alten Römers gegenwärtig
gewesen, und ich gedachte unsrer ersten glücklichen Jahre, über die ich freilich
damals an deine gute Mutter nicht in so zierlicher Weise zu referiren verstand,
wie Plinius an die Tante Hispulla. Aber über die kleinen Kniffe und Schliffe
der jungen Damen schrieb jene andern Beobachtungen nicht ein Mann nieder,
sondern ein junges hübsches Mädchen, das trotz ihrer Hübschheit um ihres an¬
ständigern Verhaltens willen von den jungen anderweit verzauberten Herren
sogut wie nicht beachtet wurde.

Also aus Neid macht sie andre schlecht.

Vielleicht lief etwas Neid mit unter. Aber Neid schärft die Augen, und
ist auch, was sie beobachtet haben will, gewiß nicht die Art aller jongen
Damen --

Gewesen --

Gewesen -- meinetwegen! -- so frappirte mich doch manches, als hätte
ich dergleichen selbst --
Kaspar Benedikt!

Vor Zeiten, wo ich noch öfter junges Volk Verkehren sah, wahrgenommen,
ohne freilich zu ahnen, daß sich hinter den Eigentümlichkeiten im Benehmen der
einen und der andern nur Berechnung verbarg.


Auf der Leiter des Glücks.

gestern in einer jener gehässigen Gemütsverfassungen, in denen man Kinder ent¬
erbe. Heute bin ich, um unserm armen Jungen nicht zu begegnen, in unsre
Bibliothek gegangen, und siehe da: mir ist die gestern eingetretene Wendung
fast lieb.

Du bist immer die Herzensgüte selbst gewesen, antwortete Frau Anna,
ohne die Miene zu erheitern.

So mußt du, was ich meine, nicht auffassen, protestirte der Fabrikant.
Wenn ich heute auf dies und das, was mir früher an Fräulein von Mockritz
nicht gefallen wollte, zurückgeführt worden bin, so danke ich das der Schilderung,
die ein gewisser Plinius, ein Römer, von seiner jungen Frau entworfen hat.

Wie du nur alle die fremde» Sprachen so rasch erlernst!

Ich halte mich ja an das Bücherfach, wo die Übersetzungen stehen. Aber
daneben fand ich noch ein weit lehrreicheres Buch, und bei dem sind mir schier
die Haare zu Berge gestiegen.

Doch nicht mit Beziehung auf Hundebisse?

Nein, sagte der Fabrikant, mit Beziehung auf die Mittel, deren sich junge
Damen in der Zeit, wo jenes Buch geschrieben wurde, bedienten, um junge
Herren um ihre fünf Sinne zu bringen.

Laß hören, rief Fran Anna; ich bin doch neugierig, ob deine Frau nicht
selbst dabei ans schwarze Brett kommt. Es ist abscheulich, was die Männer
uns alles nachreden.

Was dich, meine liebe Alte, betrifft, beschwichtigte sie Kaspar Benedikt, so
bist du mir einzig bei jenem bewundernden Briefe des alten Römers gegenwärtig
gewesen, und ich gedachte unsrer ersten glücklichen Jahre, über die ich freilich
damals an deine gute Mutter nicht in so zierlicher Weise zu referiren verstand,
wie Plinius an die Tante Hispulla. Aber über die kleinen Kniffe und Schliffe
der jungen Damen schrieb jene andern Beobachtungen nicht ein Mann nieder,
sondern ein junges hübsches Mädchen, das trotz ihrer Hübschheit um ihres an¬
ständigern Verhaltens willen von den jungen anderweit verzauberten Herren
sogut wie nicht beachtet wurde.

Also aus Neid macht sie andre schlecht.

Vielleicht lief etwas Neid mit unter. Aber Neid schärft die Augen, und
ist auch, was sie beobachtet haben will, gewiß nicht die Art aller jongen
Damen —

Gewesen —

Gewesen — meinetwegen! — so frappirte mich doch manches, als hätte
ich dergleichen selbst —
Kaspar Benedikt!

Vor Zeiten, wo ich noch öfter junges Volk Verkehren sah, wahrgenommen,
ohne freilich zu ahnen, daß sich hinter den Eigentümlichkeiten im Benehmen der
einen und der andern nur Berechnung verbarg.


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[0374] Auf der Leiter des Glücks. gestern in einer jener gehässigen Gemütsverfassungen, in denen man Kinder ent¬ erbe. Heute bin ich, um unserm armen Jungen nicht zu begegnen, in unsre Bibliothek gegangen, und siehe da: mir ist die gestern eingetretene Wendung fast lieb. Du bist immer die Herzensgüte selbst gewesen, antwortete Frau Anna, ohne die Miene zu erheitern. So mußt du, was ich meine, nicht auffassen, protestirte der Fabrikant. Wenn ich heute auf dies und das, was mir früher an Fräulein von Mockritz nicht gefallen wollte, zurückgeführt worden bin, so danke ich das der Schilderung, die ein gewisser Plinius, ein Römer, von seiner jungen Frau entworfen hat. Wie du nur alle die fremde» Sprachen so rasch erlernst! Ich halte mich ja an das Bücherfach, wo die Übersetzungen stehen. Aber daneben fand ich noch ein weit lehrreicheres Buch, und bei dem sind mir schier die Haare zu Berge gestiegen. Doch nicht mit Beziehung auf Hundebisse? Nein, sagte der Fabrikant, mit Beziehung auf die Mittel, deren sich junge Damen in der Zeit, wo jenes Buch geschrieben wurde, bedienten, um junge Herren um ihre fünf Sinne zu bringen. Laß hören, rief Fran Anna; ich bin doch neugierig, ob deine Frau nicht selbst dabei ans schwarze Brett kommt. Es ist abscheulich, was die Männer uns alles nachreden. Was dich, meine liebe Alte, betrifft, beschwichtigte sie Kaspar Benedikt, so bist du mir einzig bei jenem bewundernden Briefe des alten Römers gegenwärtig gewesen, und ich gedachte unsrer ersten glücklichen Jahre, über die ich freilich damals an deine gute Mutter nicht in so zierlicher Weise zu referiren verstand, wie Plinius an die Tante Hispulla. Aber über die kleinen Kniffe und Schliffe der jungen Damen schrieb jene andern Beobachtungen nicht ein Mann nieder, sondern ein junges hübsches Mädchen, das trotz ihrer Hübschheit um ihres an¬ ständigern Verhaltens willen von den jungen anderweit verzauberten Herren sogut wie nicht beachtet wurde. Also aus Neid macht sie andre schlecht. Vielleicht lief etwas Neid mit unter. Aber Neid schärft die Augen, und ist auch, was sie beobachtet haben will, gewiß nicht die Art aller jongen Damen — Gewesen — Gewesen — meinetwegen! — so frappirte mich doch manches, als hätte ich dergleichen selbst — Kaspar Benedikt! Vor Zeiten, wo ich noch öfter junges Volk Verkehren sah, wahrgenommen, ohne freilich zu ahnen, daß sich hinter den Eigentümlichkeiten im Benehmen der einen und der andern nur Berechnung verbarg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/374>, abgerufen am 22.05.2024.