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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Zu poltern war nicht seine Art. Wie er sich seiner guten Anna gegen¬
über gewöhnt hatte, trübe Dinge im stillen bei sich abzumachen und ihr ein
heiteres oder doch ruhiges Gesicht zu zeigen, so war er zeitlebens mich seine"
Untergebenen gegenüber immer der personifizirte Gleichmut gewesen, und dem
gut temperirten Klima, das er um sich verbreitet hatte, war ein gut Teil des
Wohlbehagens zu verdanken gewesen, dessen seine Arbeiter froh geworden waren.

Ich will mich nicht weiter in die Sache mischen, sagte er endlich zu sich
selbst; mein armer Junge ist bestraft genug. Wie kann man einen Menschen
in seinem Alter über das, was Herzensangelegenheiten sind, examiniren wollen?
Meine Alte und ich, wir stammen aus einer andern Zeit, haben uns auch schon
von Kindesbeinen um gern gehabt. Da ging alles wie in einer gntgeölten Ma¬
schine. Er hingegen ist kopfüber in diese Bekanntschaft hineingewirbelt worden.

Kaspar Benedikt schwieg; selbst im stillen mit seiner guten Anna rechten
mochte er nicht. Auch sie hatte es gut gemeint, schloß er, kein Wort mehr
davon, und jetzt wieder klaren Himmel.




Fünfzehntes Aapitel.

Um die wunderbare Kunst, die Stürme seines Innern nicht zu verraten!
Soll man sie zu erlernen suchen? Soll man sich vor ihr hüten? Ich habe
in einem kleinen Provinztheater eine Schauspielerin gesehen, die ihr dankbares
Auditorium einen ganzen Abend lang nicht aus dem Lachen kommen ließ, und
beim Nachhausegehen hörte ich einen Kollegen der Schauspielerin einem der
Lacher erzählen, bei einer Kirchtnnnreparatur in der Nachbarschaft habe der
Gatte der Schauspielerin, ein Schieferdecker, heute früh den Tod gefunden und
die Trauerpost sei der ""glücklichen Frau gerade in dem Augenblicke zugekommen,
als sie habe auftreten müssen -- müssen, denn in solchen Dingen verstehe ihr
Direktor keinen Spaß.

Ganz ohne jene Kunst im Leben durchzukommen, ist schwer, ist anch gleich¬
bedeutend mit einem Verzicht ans Schonung andrer, und solche Schonung ist
denn doch keine bloß eingebildete Pflicht. Aber unheimlich mutet es bei alledem
an, wenn jene Kunst bis zur Meisterschaft jemandem zur Verfügung steht. Es
ist etwas wie die Fertigkeit im Verstellen der eignen Handschrift oder gar im täu¬
schenden Nachahmen der Handschriften andrer.

Weder Kaspar Benedikt, noch seine Gattin, noch auch der weitgereist".
Adoptivsohn hatten je in ihrem geschäftigen Leben Muße gehabt, um über diese
Kunst und ihre Erlernung auch nur nachzudenken, obschon sie ans allseitiger
Herzensgüte einander zu schonen pflegten. Keines von ihnen blickte daher hinter
die Koulissen der Villa Mockritz, und was der Fabrikant an Eröffnungen und
Briefen von seinem Absagebesnche heimbrachte, empfingen Mutter und Sohn in


Auf der Leiter des Glücks.

Zu poltern war nicht seine Art. Wie er sich seiner guten Anna gegen¬
über gewöhnt hatte, trübe Dinge im stillen bei sich abzumachen und ihr ein
heiteres oder doch ruhiges Gesicht zu zeigen, so war er zeitlebens mich seine»
Untergebenen gegenüber immer der personifizirte Gleichmut gewesen, und dem
gut temperirten Klima, das er um sich verbreitet hatte, war ein gut Teil des
Wohlbehagens zu verdanken gewesen, dessen seine Arbeiter froh geworden waren.

Ich will mich nicht weiter in die Sache mischen, sagte er endlich zu sich
selbst; mein armer Junge ist bestraft genug. Wie kann man einen Menschen
in seinem Alter über das, was Herzensangelegenheiten sind, examiniren wollen?
Meine Alte und ich, wir stammen aus einer andern Zeit, haben uns auch schon
von Kindesbeinen um gern gehabt. Da ging alles wie in einer gntgeölten Ma¬
schine. Er hingegen ist kopfüber in diese Bekanntschaft hineingewirbelt worden.

Kaspar Benedikt schwieg; selbst im stillen mit seiner guten Anna rechten
mochte er nicht. Auch sie hatte es gut gemeint, schloß er, kein Wort mehr
davon, und jetzt wieder klaren Himmel.




Fünfzehntes Aapitel.

Um die wunderbare Kunst, die Stürme seines Innern nicht zu verraten!
Soll man sie zu erlernen suchen? Soll man sich vor ihr hüten? Ich habe
in einem kleinen Provinztheater eine Schauspielerin gesehen, die ihr dankbares
Auditorium einen ganzen Abend lang nicht aus dem Lachen kommen ließ, und
beim Nachhausegehen hörte ich einen Kollegen der Schauspielerin einem der
Lacher erzählen, bei einer Kirchtnnnreparatur in der Nachbarschaft habe der
Gatte der Schauspielerin, ein Schieferdecker, heute früh den Tod gefunden und
die Trauerpost sei der »»glücklichen Frau gerade in dem Augenblicke zugekommen,
als sie habe auftreten müssen — müssen, denn in solchen Dingen verstehe ihr
Direktor keinen Spaß.

Ganz ohne jene Kunst im Leben durchzukommen, ist schwer, ist anch gleich¬
bedeutend mit einem Verzicht ans Schonung andrer, und solche Schonung ist
denn doch keine bloß eingebildete Pflicht. Aber unheimlich mutet es bei alledem
an, wenn jene Kunst bis zur Meisterschaft jemandem zur Verfügung steht. Es
ist etwas wie die Fertigkeit im Verstellen der eignen Handschrift oder gar im täu¬
schenden Nachahmen der Handschriften andrer.

Weder Kaspar Benedikt, noch seine Gattin, noch auch der weitgereist«.
Adoptivsohn hatten je in ihrem geschäftigen Leben Muße gehabt, um über diese
Kunst und ihre Erlernung auch nur nachzudenken, obschon sie ans allseitiger
Herzensgüte einander zu schonen pflegten. Keines von ihnen blickte daher hinter
die Koulissen der Villa Mockritz, und was der Fabrikant an Eröffnungen und
Briefen von seinem Absagebesnche heimbrachte, empfingen Mutter und Sohn in


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[0426] Auf der Leiter des Glücks. Zu poltern war nicht seine Art. Wie er sich seiner guten Anna gegen¬ über gewöhnt hatte, trübe Dinge im stillen bei sich abzumachen und ihr ein heiteres oder doch ruhiges Gesicht zu zeigen, so war er zeitlebens mich seine» Untergebenen gegenüber immer der personifizirte Gleichmut gewesen, und dem gut temperirten Klima, das er um sich verbreitet hatte, war ein gut Teil des Wohlbehagens zu verdanken gewesen, dessen seine Arbeiter froh geworden waren. Ich will mich nicht weiter in die Sache mischen, sagte er endlich zu sich selbst; mein armer Junge ist bestraft genug. Wie kann man einen Menschen in seinem Alter über das, was Herzensangelegenheiten sind, examiniren wollen? Meine Alte und ich, wir stammen aus einer andern Zeit, haben uns auch schon von Kindesbeinen um gern gehabt. Da ging alles wie in einer gntgeölten Ma¬ schine. Er hingegen ist kopfüber in diese Bekanntschaft hineingewirbelt worden. Kaspar Benedikt schwieg; selbst im stillen mit seiner guten Anna rechten mochte er nicht. Auch sie hatte es gut gemeint, schloß er, kein Wort mehr davon, und jetzt wieder klaren Himmel. Fünfzehntes Aapitel. Um die wunderbare Kunst, die Stürme seines Innern nicht zu verraten! Soll man sie zu erlernen suchen? Soll man sich vor ihr hüten? Ich habe in einem kleinen Provinztheater eine Schauspielerin gesehen, die ihr dankbares Auditorium einen ganzen Abend lang nicht aus dem Lachen kommen ließ, und beim Nachhausegehen hörte ich einen Kollegen der Schauspielerin einem der Lacher erzählen, bei einer Kirchtnnnreparatur in der Nachbarschaft habe der Gatte der Schauspielerin, ein Schieferdecker, heute früh den Tod gefunden und die Trauerpost sei der »»glücklichen Frau gerade in dem Augenblicke zugekommen, als sie habe auftreten müssen — müssen, denn in solchen Dingen verstehe ihr Direktor keinen Spaß. Ganz ohne jene Kunst im Leben durchzukommen, ist schwer, ist anch gleich¬ bedeutend mit einem Verzicht ans Schonung andrer, und solche Schonung ist denn doch keine bloß eingebildete Pflicht. Aber unheimlich mutet es bei alledem an, wenn jene Kunst bis zur Meisterschaft jemandem zur Verfügung steht. Es ist etwas wie die Fertigkeit im Verstellen der eignen Handschrift oder gar im täu¬ schenden Nachahmen der Handschriften andrer. Weder Kaspar Benedikt, noch seine Gattin, noch auch der weitgereist«. Adoptivsohn hatten je in ihrem geschäftigen Leben Muße gehabt, um über diese Kunst und ihre Erlernung auch nur nachzudenken, obschon sie ans allseitiger Herzensgüte einander zu schonen pflegten. Keines von ihnen blickte daher hinter die Koulissen der Villa Mockritz, und was der Fabrikant an Eröffnungen und Briefen von seinem Absagebesnche heimbrachte, empfingen Mutter und Sohn in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/426>, abgerufen am 04.05.2024.