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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

gefreut, wenn die jungen Leute ein Pciar geworden wären. Aber --, und sie
erging sich in so liebenswürdig das Benehmen des nur etwas zu ungeduldig
gewesenen Bräutigams entschuldigenden Mitteilungen über die, wie sie betonte,
"ach dieser Seite allerdings übertrieben empfindliche und allzu leicht kopfscheu
zu machende Braut, daß der Fabrikant schier in der Seele seines Adoptivsohns
verlegen wurde.

Er versuchte ihn in Schutz zu nehmen, die Nachsicht der Frau 0on Mockritz
kam seinen Worten jedoch in so urbnner und doch zugleich so herzlicher Weise
entgegen, daß der Fabrikant sich zu schämen begann, für den Bräutigam ein¬
getreten zu sein, statt die Braut zu beklagen.

Ich bitte mich überhaupt nicht mißzuverstehen, milderte Frau von Mockritz
nun noch teilnahmsvoll das Gesagte; wie sehr der junge Mann sein Unrecht
einsieht -- aber ich nenne es garnicht so, es waren eben kleine Freiheiten aus
dem Musterkarte der Freiheit --, wie sehr er seine Raschheit bereut, das be¬
weist er ja am besten durch sein hochherziges Anerbieten, der Abgewiesene zu
sein, während er noch der Meinung sein durfte, er sei der Abweisende. Gewiß
macht dies Betragen vieles, alles gut. Ich schätze ihn schon allein deshalb.
Man braucht kein Wappenschild zu haben, um adlich zu denken. Er trügt eS
meiner Tochter nicht nach, daß sie nach dem übel" Ende jenes mitternächtlichen
Sturmlanfs auf ihr schlecht behütetes.Heim die Rückkunft ihrer Mutter ab¬
wartete, ehe sie sich wieder in der Villa Anna sehen ließ; ein junges Mädchen
kommt so leicht ins Gerede. Also gute Freundschaft, lieber Herr Hartig, und
ihnn auch Sie und Ihre treffliche Frau dazu, daß die von meiner armen Her-
mione begangene kleine Übereilung ihr in der Meinung unsrer medisanten Nach¬
barschaft nicht schadet. Doch was rede ich? Ihnen brauche ich ja nicht erst
Diskretion zu empfehlen. Sie sind samt und sonders Ehrcnlente; ich habe
schon am ersten Tage unsrer Bekanntschaft gesagt: Das sind Menschen echt
wie Gold, man suche in unserm Staude nur ähnlich biedere Herzen; also gute
Freundschaft nach wie vor, nach wie vor!

Sie hatte ihn an die Treppe gebracht, drückte ihm wieder und wieder die
Hand, und wenig fehlte, daß er ihr die Hand küßte, was ihm freilich wegen
Mangels an Übung wohl nicht gelungen wäre.

Mit den beiden Absagebriefen in der Tasche stapfte er heim. Sehr unwirsch
n> Bezug ans seinen Berthold, sehr erfüllt von dem feinen Takt und dem wohl¬
wollenden Herzen der Frau von Mockritz, sehr wehmütig bei dem Gedanken an
'die nun doch nicht allein als Billardpartnerin und als lebendige Spieldose,
sondern anch als Schwiegertochter gewiß nur schwer zu ersetzende, reizende,
sittsame Hermine. Es kamen ihm, wie er mit den Briefen mißmutig dahin-
schritt, lauter verhagelte Kornfelder in den Sinn, dann wieder eingestürzte
Häuser, endlich Schiffstrümmer, die das von einem Sturm sich langsam erholende
Meer auf den Strand warf.


Auf der Leiter des Glücks.

gefreut, wenn die jungen Leute ein Pciar geworden wären. Aber —, und sie
erging sich in so liebenswürdig das Benehmen des nur etwas zu ungeduldig
gewesenen Bräutigams entschuldigenden Mitteilungen über die, wie sie betonte,
»ach dieser Seite allerdings übertrieben empfindliche und allzu leicht kopfscheu
zu machende Braut, daß der Fabrikant schier in der Seele seines Adoptivsohns
verlegen wurde.

Er versuchte ihn in Schutz zu nehmen, die Nachsicht der Frau 0on Mockritz
kam seinen Worten jedoch in so urbnner und doch zugleich so herzlicher Weise
entgegen, daß der Fabrikant sich zu schämen begann, für den Bräutigam ein¬
getreten zu sein, statt die Braut zu beklagen.

Ich bitte mich überhaupt nicht mißzuverstehen, milderte Frau von Mockritz
nun noch teilnahmsvoll das Gesagte; wie sehr der junge Mann sein Unrecht
einsieht — aber ich nenne es garnicht so, es waren eben kleine Freiheiten aus
dem Musterkarte der Freiheit —, wie sehr er seine Raschheit bereut, das be¬
weist er ja am besten durch sein hochherziges Anerbieten, der Abgewiesene zu
sein, während er noch der Meinung sein durfte, er sei der Abweisende. Gewiß
macht dies Betragen vieles, alles gut. Ich schätze ihn schon allein deshalb.
Man braucht kein Wappenschild zu haben, um adlich zu denken. Er trügt eS
meiner Tochter nicht nach, daß sie nach dem übel» Ende jenes mitternächtlichen
Sturmlanfs auf ihr schlecht behütetes.Heim die Rückkunft ihrer Mutter ab¬
wartete, ehe sie sich wieder in der Villa Anna sehen ließ; ein junges Mädchen
kommt so leicht ins Gerede. Also gute Freundschaft, lieber Herr Hartig, und
ihnn auch Sie und Ihre treffliche Frau dazu, daß die von meiner armen Her-
mione begangene kleine Übereilung ihr in der Meinung unsrer medisanten Nach¬
barschaft nicht schadet. Doch was rede ich? Ihnen brauche ich ja nicht erst
Diskretion zu empfehlen. Sie sind samt und sonders Ehrcnlente; ich habe
schon am ersten Tage unsrer Bekanntschaft gesagt: Das sind Menschen echt
wie Gold, man suche in unserm Staude nur ähnlich biedere Herzen; also gute
Freundschaft nach wie vor, nach wie vor!

Sie hatte ihn an die Treppe gebracht, drückte ihm wieder und wieder die
Hand, und wenig fehlte, daß er ihr die Hand küßte, was ihm freilich wegen
Mangels an Übung wohl nicht gelungen wäre.

Mit den beiden Absagebriefen in der Tasche stapfte er heim. Sehr unwirsch
n> Bezug ans seinen Berthold, sehr erfüllt von dem feinen Takt und dem wohl¬
wollenden Herzen der Frau von Mockritz, sehr wehmütig bei dem Gedanken an
'die nun doch nicht allein als Billardpartnerin und als lebendige Spieldose,
sondern anch als Schwiegertochter gewiß nur schwer zu ersetzende, reizende,
sittsame Hermine. Es kamen ihm, wie er mit den Briefen mißmutig dahin-
schritt, lauter verhagelte Kornfelder in den Sinn, dann wieder eingestürzte
Häuser, endlich Schiffstrümmer, die das von einem Sturm sich langsam erholende
Meer auf den Strand warf.


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[0425] Auf der Leiter des Glücks. gefreut, wenn die jungen Leute ein Pciar geworden wären. Aber —, und sie erging sich in so liebenswürdig das Benehmen des nur etwas zu ungeduldig gewesenen Bräutigams entschuldigenden Mitteilungen über die, wie sie betonte, »ach dieser Seite allerdings übertrieben empfindliche und allzu leicht kopfscheu zu machende Braut, daß der Fabrikant schier in der Seele seines Adoptivsohns verlegen wurde. Er versuchte ihn in Schutz zu nehmen, die Nachsicht der Frau 0on Mockritz kam seinen Worten jedoch in so urbnner und doch zugleich so herzlicher Weise entgegen, daß der Fabrikant sich zu schämen begann, für den Bräutigam ein¬ getreten zu sein, statt die Braut zu beklagen. Ich bitte mich überhaupt nicht mißzuverstehen, milderte Frau von Mockritz nun noch teilnahmsvoll das Gesagte; wie sehr der junge Mann sein Unrecht einsieht — aber ich nenne es garnicht so, es waren eben kleine Freiheiten aus dem Musterkarte der Freiheit —, wie sehr er seine Raschheit bereut, das be¬ weist er ja am besten durch sein hochherziges Anerbieten, der Abgewiesene zu sein, während er noch der Meinung sein durfte, er sei der Abweisende. Gewiß macht dies Betragen vieles, alles gut. Ich schätze ihn schon allein deshalb. Man braucht kein Wappenschild zu haben, um adlich zu denken. Er trügt eS meiner Tochter nicht nach, daß sie nach dem übel» Ende jenes mitternächtlichen Sturmlanfs auf ihr schlecht behütetes.Heim die Rückkunft ihrer Mutter ab¬ wartete, ehe sie sich wieder in der Villa Anna sehen ließ; ein junges Mädchen kommt so leicht ins Gerede. Also gute Freundschaft, lieber Herr Hartig, und ihnn auch Sie und Ihre treffliche Frau dazu, daß die von meiner armen Her- mione begangene kleine Übereilung ihr in der Meinung unsrer medisanten Nach¬ barschaft nicht schadet. Doch was rede ich? Ihnen brauche ich ja nicht erst Diskretion zu empfehlen. Sie sind samt und sonders Ehrcnlente; ich habe schon am ersten Tage unsrer Bekanntschaft gesagt: Das sind Menschen echt wie Gold, man suche in unserm Staude nur ähnlich biedere Herzen; also gute Freundschaft nach wie vor, nach wie vor! Sie hatte ihn an die Treppe gebracht, drückte ihm wieder und wieder die Hand, und wenig fehlte, daß er ihr die Hand küßte, was ihm freilich wegen Mangels an Übung wohl nicht gelungen wäre. Mit den beiden Absagebriefen in der Tasche stapfte er heim. Sehr unwirsch n> Bezug ans seinen Berthold, sehr erfüllt von dem feinen Takt und dem wohl¬ wollenden Herzen der Frau von Mockritz, sehr wehmütig bei dem Gedanken an 'die nun doch nicht allein als Billardpartnerin und als lebendige Spieldose, sondern anch als Schwiegertochter gewiß nur schwer zu ersetzende, reizende, sittsame Hermine. Es kamen ihm, wie er mit den Briefen mißmutig dahin- schritt, lauter verhagelte Kornfelder in den Sinn, dann wieder eingestürzte Häuser, endlich Schiffstrümmer, die das von einem Sturm sich langsam erholende Meer auf den Strand warf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/425>, abgerufen am 23.05.2024.