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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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kurreuznnternehmen zu den Grenzboten ins Leben gerufen wurde, ist 1881 wieder
sanft und selig entschlafen. Die Grenzboten aber leben, erfreuen sich trotz ihrer
Jahre der besten Gesundheit und haben sogar in der letzten Zeit in aller Stille
und -- gewiß eine seltene Erscheinung! -- ohne alles Zuthun der Re¬
klame einen neuen Aufschwung genommen.

Diesen Aufschwung verdanken sie in erster Linie dem Umstände, daß sie
vor nunmehr sechs Jahren den Mut hatten, mit den wirtschaftlichen Irrtümern
des Liberalismus, deren Folgen in immer bedrohlicherer Weise für unser Volk
zutage traten, zu brechen und als Vorkämpfer der große" sozialpolitischen Re-
fornipläne des Reichskanzlers aufzutreten. Der Aufsatz "Vismcirck und das
Manchestcrtum," der -- unter neuer Redaktion -- an der Spitze des Jahr¬
ganges 1879 erschien, inaugurirte diese bedeutsame Schwenkung. Zunächst
freilich hatten die Grenzboten ihren Schritt zu büßen. Eine große Zahl
ihrer früheren Freunde war verblüfft und fiel ab, zahllose Angriffe, zum
Teil der niedrigsten Art, wurden in der Tagespresse gegen sie ausgeführt, und
am liebsten hätte man ihnen den Garaus gemacht. Aber sie haben sich nicht
beirren lassen; trotz aller Anfechtungen und Entbehrungen haben sie standhaft
den neueingeschlagenen Weg weiter verfolgt, neue Freunde fielen ihnen zu, erst
langsam, dann immer schneller, und heute, wo die Überzeugung von der Ver¬
kehrtheit unsrer-früheren wirtschaftlichen Anschauungen sich in immer weiteren
Kreisen Bahn gebrochen hat, wo die Reformpläne des großen Kanzlers zum
Teil verwirklicht sind, zum Teil ihrer Verwirklichung entgegengehen, wo ein
Glied unsrer Presse nach dem andern mit guter Manier und möglichst geräusch¬
los ebenfalls in die neue Bahn einzulenken sucht, haben die Grenzboten den
Triumph, die ersten gewesen zu sein, die aus eigenster Überzeugung und
freiester Entschließung diese Bahn eingeschlagen haben. Denn die Behaup¬
tung, die vor sechs Jahren mit großer Beflissenheit verbreitet wurde, die Grenz¬
boten seien ein "Reptil," sie stünden im Solde des Kanzlers u. s. w., war nichts
als ein einfältiges Märchen. Will man ein Organ, das auf politischem und
wirtschaftlichem Gebiete von ausgezeichneten, vorzüglich infvrmirten Mitarbeitern,
von wirklich "Wissenden" bedient wird, als "offiziös" bezeichnen -- und was
kann anch den Lesern an dem Gerede von Unwissenden und Uneingeweihten ge¬
legen sein? --, so nenne man die Grenzboten in Gottes Namen ein "offiziöses"
Blatt. Wollte man aber mit dem Begriffe "offiziös" den der Abhängigkeit
verbinden, so würde man sich hier in starkem Irrtum befinden: die Grenzboten
sind -- wir ergreifen auch diese Gelegenheit, es aufs neue zu betonen --

ein völlig unabhängiges Organ.

Aber auch auf den beiden andern Gebieten, die der Titel unsrer Zeitschrift
nennt, auf dem der Literatur und Kunst, haben die Grenzboten seit 1879 eine
gründliche Umwandlung erfahren. Während die nächstvorhergehenden Jahrgänge
auf diesen Gebieten wie jede andre Zeitschrift aussahen, d. h. ein vom Zufall


kurreuznnternehmen zu den Grenzboten ins Leben gerufen wurde, ist 1881 wieder
sanft und selig entschlafen. Die Grenzboten aber leben, erfreuen sich trotz ihrer
Jahre der besten Gesundheit und haben sogar in der letzten Zeit in aller Stille
und — gewiß eine seltene Erscheinung! — ohne alles Zuthun der Re¬
klame einen neuen Aufschwung genommen.

Diesen Aufschwung verdanken sie in erster Linie dem Umstände, daß sie
vor nunmehr sechs Jahren den Mut hatten, mit den wirtschaftlichen Irrtümern
des Liberalismus, deren Folgen in immer bedrohlicherer Weise für unser Volk
zutage traten, zu brechen und als Vorkämpfer der große» sozialpolitischen Re-
fornipläne des Reichskanzlers aufzutreten. Der Aufsatz „Vismcirck und das
Manchestcrtum," der — unter neuer Redaktion — an der Spitze des Jahr¬
ganges 1879 erschien, inaugurirte diese bedeutsame Schwenkung. Zunächst
freilich hatten die Grenzboten ihren Schritt zu büßen. Eine große Zahl
ihrer früheren Freunde war verblüfft und fiel ab, zahllose Angriffe, zum
Teil der niedrigsten Art, wurden in der Tagespresse gegen sie ausgeführt, und
am liebsten hätte man ihnen den Garaus gemacht. Aber sie haben sich nicht
beirren lassen; trotz aller Anfechtungen und Entbehrungen haben sie standhaft
den neueingeschlagenen Weg weiter verfolgt, neue Freunde fielen ihnen zu, erst
langsam, dann immer schneller, und heute, wo die Überzeugung von der Ver¬
kehrtheit unsrer-früheren wirtschaftlichen Anschauungen sich in immer weiteren
Kreisen Bahn gebrochen hat, wo die Reformpläne des großen Kanzlers zum
Teil verwirklicht sind, zum Teil ihrer Verwirklichung entgegengehen, wo ein
Glied unsrer Presse nach dem andern mit guter Manier und möglichst geräusch¬
los ebenfalls in die neue Bahn einzulenken sucht, haben die Grenzboten den
Triumph, die ersten gewesen zu sein, die aus eigenster Überzeugung und
freiester Entschließung diese Bahn eingeschlagen haben. Denn die Behaup¬
tung, die vor sechs Jahren mit großer Beflissenheit verbreitet wurde, die Grenz¬
boten seien ein „Reptil," sie stünden im Solde des Kanzlers u. s. w., war nichts
als ein einfältiges Märchen. Will man ein Organ, das auf politischem und
wirtschaftlichem Gebiete von ausgezeichneten, vorzüglich infvrmirten Mitarbeitern,
von wirklich „Wissenden" bedient wird, als „offiziös" bezeichnen — und was
kann anch den Lesern an dem Gerede von Unwissenden und Uneingeweihten ge¬
legen sein? —, so nenne man die Grenzboten in Gottes Namen ein „offiziöses"
Blatt. Wollte man aber mit dem Begriffe „offiziös" den der Abhängigkeit
verbinden, so würde man sich hier in starkem Irrtum befinden: die Grenzboten
sind — wir ergreifen auch diese Gelegenheit, es aufs neue zu betonen —

ein völlig unabhängiges Organ.

Aber auch auf den beiden andern Gebieten, die der Titel unsrer Zeitschrift
nennt, auf dem der Literatur und Kunst, haben die Grenzboten seit 1879 eine
gründliche Umwandlung erfahren. Während die nächstvorhergehenden Jahrgänge
auf diesen Gebieten wie jede andre Zeitschrift aussahen, d. h. ein vom Zufall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/10>, abgerufen am 01.05.2024.