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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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zusammengeführtes, ziemlich farb- und richtnngslvscs Allerlei von Aufsätzen
zeigten, unter denen seltsamerweise Geschichte und Kulturgeschichte dominirten,
sind diese Gebiete seit 1879 planvoll erweitert und von einem sehr deutlich aus¬
geprägte" Standpunkte aus gepflegt worden. Zu litcratur- und kunstgeschicht-
lichen Aufsätzen, die teils auf selbständigen Studien beruhten, teils an wichtige
neuerschienene Werke sich anlehnten, gesellten sich in immer größerer Anzahl
Charakteristiken lebender Schriftsteller und Künstler, eingehende Besprechungen
neuer Dichtungen und Kunstwerke, Geschichte und Kulturgeschichte, Erd- und
Völkerkunde und Naturwissenschaft konnten selbstverständlich keine planmäßige
Pflege finden, wurden aber stets berücksichtigt, so oft wichtige Tagesfragen oder
hervorragende literarische Neuigkeiten dcizn aufforderten. Daneben sind auch
religiöse und philosophische Fragen, Fragen, die das Unterrichtswesen, das Heer¬
wesen, die Rechtspflege, die Gesundheitspflege betreffen, fort und fort in den
Kreis der Betrachtung gezogen worden. Das Ziel aber, das die Grenzboten
bei alledem unverrückt im Auge gehabt haben und dessen beharrliche Verfolgung
ihnen einen immer größeren Kreis von Freunden und Verehrern zugeführt hat,
bestand darin, überall dem gesunden Menschenverstande gegen Modethorheiten,
dem guten Geschmack gegen weitverbreitete Geschmacksverirrung, dem Echten und
Bleibenden gegen das Hohle und Schwindelhafte, dem in deu engen Kreisen
der geistigen Aristokratie Gewürdigten gegen das von der urteilslvsen großen
Masse Angestaunte, der Wissenschaft gegen das Dilettantentum, dem Idealis¬
mus gegen den Materialismus zum Siege zu verhelfen. Wie oft haben die
Grenzboten in diesem Kampfe allein gestanden, wie oft aber auch die Genug¬
thuung gehabt, den Ton anzugeben, in den andre dann zögernd einstimmten!

Ein großer Vorzug, den die Grenzboten für sich in Anspruch nehmen,
und der von allen Urteilsfähigen auch als solcher anerkannt wird, ist die abso¬
lute grammatische Sauberkeit und stilistische Sicherheit aller ihrer Beiträge,
Angesichts der kläglichen Unwissenheit, Lüderlichkeit und Geschmacklosigkeit, die
gegenwärtig in der Sprachbchandluug der Tcigespresfe herrscht, und die von
dort aus infolge der leidigen gedankenlosen Gewohnheit massenhaft auch schon
in die Sprache der fachwissenschaftlichen und zum Teil selbst der schönwissen¬
schaftlichen Literatur eingedrungen ist, ist es sicherlich hoch anzuschlagen, wenn
eine Zeitschrift die Pflege der Nichtigkeit, Reinheit und Schönheit der Sprache
mit vollem Bewußtsein unter ihre Aufgaben zählt.

Endlich noch eine Bemerkung. Die meisten unsrer Wochen- und Monats¬
schriften legen ein großes Gewicht ans Namen. Wie sie bei jedem Jahreswechsel
ihren Lesern ein schönes Verzeichnis angeblicher Mitarbeiter vorführen, stellen
sie auch in den Juhaltsverzeichnisfen der einzelnen Hefte -- sehr charakteristisch! --
die Verfassernamen immer fett voran und lassen die Überschriften der Aufsätze
mit kleinerer Schrift folgen. Die Namen sollen Eindruck machen! Die Grenz¬
boten verschmähen es, mit solchen Mitteln auf ihre Leser zu wirken. Wenn
ein Aufsatz eine Wahrheit ausspricht, die noch nirgends ausgesprochen worden


zusammengeführtes, ziemlich farb- und richtnngslvscs Allerlei von Aufsätzen
zeigten, unter denen seltsamerweise Geschichte und Kulturgeschichte dominirten,
sind diese Gebiete seit 1879 planvoll erweitert und von einem sehr deutlich aus¬
geprägte« Standpunkte aus gepflegt worden. Zu litcratur- und kunstgeschicht-
lichen Aufsätzen, die teils auf selbständigen Studien beruhten, teils an wichtige
neuerschienene Werke sich anlehnten, gesellten sich in immer größerer Anzahl
Charakteristiken lebender Schriftsteller und Künstler, eingehende Besprechungen
neuer Dichtungen und Kunstwerke, Geschichte und Kulturgeschichte, Erd- und
Völkerkunde und Naturwissenschaft konnten selbstverständlich keine planmäßige
Pflege finden, wurden aber stets berücksichtigt, so oft wichtige Tagesfragen oder
hervorragende literarische Neuigkeiten dcizn aufforderten. Daneben sind auch
religiöse und philosophische Fragen, Fragen, die das Unterrichtswesen, das Heer¬
wesen, die Rechtspflege, die Gesundheitspflege betreffen, fort und fort in den
Kreis der Betrachtung gezogen worden. Das Ziel aber, das die Grenzboten
bei alledem unverrückt im Auge gehabt haben und dessen beharrliche Verfolgung
ihnen einen immer größeren Kreis von Freunden und Verehrern zugeführt hat,
bestand darin, überall dem gesunden Menschenverstande gegen Modethorheiten,
dem guten Geschmack gegen weitverbreitete Geschmacksverirrung, dem Echten und
Bleibenden gegen das Hohle und Schwindelhafte, dem in deu engen Kreisen
der geistigen Aristokratie Gewürdigten gegen das von der urteilslvsen großen
Masse Angestaunte, der Wissenschaft gegen das Dilettantentum, dem Idealis¬
mus gegen den Materialismus zum Siege zu verhelfen. Wie oft haben die
Grenzboten in diesem Kampfe allein gestanden, wie oft aber auch die Genug¬
thuung gehabt, den Ton anzugeben, in den andre dann zögernd einstimmten!

Ein großer Vorzug, den die Grenzboten für sich in Anspruch nehmen,
und der von allen Urteilsfähigen auch als solcher anerkannt wird, ist die abso¬
lute grammatische Sauberkeit und stilistische Sicherheit aller ihrer Beiträge,
Angesichts der kläglichen Unwissenheit, Lüderlichkeit und Geschmacklosigkeit, die
gegenwärtig in der Sprachbchandluug der Tcigespresfe herrscht, und die von
dort aus infolge der leidigen gedankenlosen Gewohnheit massenhaft auch schon
in die Sprache der fachwissenschaftlichen und zum Teil selbst der schönwissen¬
schaftlichen Literatur eingedrungen ist, ist es sicherlich hoch anzuschlagen, wenn
eine Zeitschrift die Pflege der Nichtigkeit, Reinheit und Schönheit der Sprache
mit vollem Bewußtsein unter ihre Aufgaben zählt.

Endlich noch eine Bemerkung. Die meisten unsrer Wochen- und Monats¬
schriften legen ein großes Gewicht ans Namen. Wie sie bei jedem Jahreswechsel
ihren Lesern ein schönes Verzeichnis angeblicher Mitarbeiter vorführen, stellen
sie auch in den Juhaltsverzeichnisfen der einzelnen Hefte — sehr charakteristisch! —
die Verfassernamen immer fett voran und lassen die Überschriften der Aufsätze
mit kleinerer Schrift folgen. Die Namen sollen Eindruck machen! Die Grenz¬
boten verschmähen es, mit solchen Mitteln auf ihre Leser zu wirken. Wenn
ein Aufsatz eine Wahrheit ausspricht, die noch nirgends ausgesprochen worden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/11>, abgerufen am 22.05.2024.