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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
6.

le werden, meine Herren, mit Recht mich von mir eine Äußerung
über den Normalarbeitstag, und weis damit zusammenhängt, er
warten; und ich beabsichtige auch umsoweniger, mich dieser Pflicht
zu entziehen, als ich mich mit diesen Fragen noch niemals be¬
schäftigt habe, man aber einen Gegenstand am leichtesten kennen
lernt, indem man über denselben spricht oder schreibt. Diese Thatsache darf ich
als allgemein bekannt voraussetzen. Vorher fühle ich mich jedoch verpflichtet,
wieder ein Mißverständnis aufzuklären. In der Reichstagssitzung vom 17. Januar
wies der verehrte Abgeordnete für Hagen den Vorwurf, daß die deutschfrei¬
sinnige Partei ihren Wahlaufruf mit der Parole "Vorwärts für Kaiser und
Reich" geschlossen, mithin die Worte "mit Gott" weggelassen habe, mit der
Erklärung zurück: "Es giebt ein Gebot, welches heißt: Du sollst den Namen
Gottes nicht mißbrauchen." Dazu wurde auf der Rechten "Oho!" gerufen.
Beide Äußerungen sind außerhalb der Versammlung mißverstanden worden.
Während Herr Richter offenbar sagen wollte: "Wenn wir den Namen Gottes
in einem solchen Wahlaufrufe gebracht hätten, so wäre das ein Mißbrauch ge¬
wesen," und die Rechte hiergegen höflich protestirte, indem sie ihre Einwendung,
daß der Redner wieder einmal die Bescheidenheit für sich und seine Partei zu
weit treibe, im Interesse der Abkürzung der parlamentarischen Verhandlungen
in ein kurzes "Oho!" zusammendrängte -- hat man im Publikum die Er¬
klärung Richters als eine verunglückte Bosheit aufgefaßt und dementsprechend
auch den Zwischenruf gedeutet. Ich weiß nicht, wodurch das Publikum sich
für berechtigt hält, an die Möglichkeit eines so gereizten Tones in der Versamm¬
lung zu glauben, in welcher doch, wie es ihrer Würde angemessen ist, stets die
verbindlichsten Formen für den Ausdruck gegenseitiger Hochachtung, ganz be¬
sonders von dem Abgeordneten Richter, gewahrt werden. Wenn min jener
Auffassung nicht widersprochen würde, könnte sie sich einbürgern und eine be¬
klagenswerte Entstellung der Weltgeschichte verschulden. Dem möchte ich hiermit
vorgebeugt haben!

Indem ich nun zu den Klagen über unmäßige Arbeitszeit, Nachtarbeit der
Frauen u. s. w. übergehe, kann ich meine Verwunderung darüber nicht unterdrücken,
daß die Herren so vielerlei schwer auszuführende oder ungenügende Vorschläge
machen und das Zunächstliegende übersehen. Ganz besonders nimmt mich das
von den Rednern des Zentrums wunder. Sie haben doch so oft von den
Herren Windthorst und von Schorlemer vernommen, daß es ein Universal-


Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
6.

le werden, meine Herren, mit Recht mich von mir eine Äußerung
über den Normalarbeitstag, und weis damit zusammenhängt, er
warten; und ich beabsichtige auch umsoweniger, mich dieser Pflicht
zu entziehen, als ich mich mit diesen Fragen noch niemals be¬
schäftigt habe, man aber einen Gegenstand am leichtesten kennen
lernt, indem man über denselben spricht oder schreibt. Diese Thatsache darf ich
als allgemein bekannt voraussetzen. Vorher fühle ich mich jedoch verpflichtet,
wieder ein Mißverständnis aufzuklären. In der Reichstagssitzung vom 17. Januar
wies der verehrte Abgeordnete für Hagen den Vorwurf, daß die deutschfrei¬
sinnige Partei ihren Wahlaufruf mit der Parole „Vorwärts für Kaiser und
Reich" geschlossen, mithin die Worte „mit Gott" weggelassen habe, mit der
Erklärung zurück: „Es giebt ein Gebot, welches heißt: Du sollst den Namen
Gottes nicht mißbrauchen." Dazu wurde auf der Rechten „Oho!" gerufen.
Beide Äußerungen sind außerhalb der Versammlung mißverstanden worden.
Während Herr Richter offenbar sagen wollte: „Wenn wir den Namen Gottes
in einem solchen Wahlaufrufe gebracht hätten, so wäre das ein Mißbrauch ge¬
wesen," und die Rechte hiergegen höflich protestirte, indem sie ihre Einwendung,
daß der Redner wieder einmal die Bescheidenheit für sich und seine Partei zu
weit treibe, im Interesse der Abkürzung der parlamentarischen Verhandlungen
in ein kurzes „Oho!" zusammendrängte — hat man im Publikum die Er¬
klärung Richters als eine verunglückte Bosheit aufgefaßt und dementsprechend
auch den Zwischenruf gedeutet. Ich weiß nicht, wodurch das Publikum sich
für berechtigt hält, an die Möglichkeit eines so gereizten Tones in der Versamm¬
lung zu glauben, in welcher doch, wie es ihrer Würde angemessen ist, stets die
verbindlichsten Formen für den Ausdruck gegenseitiger Hochachtung, ganz be¬
sonders von dem Abgeordneten Richter, gewahrt werden. Wenn min jener
Auffassung nicht widersprochen würde, könnte sie sich einbürgern und eine be¬
klagenswerte Entstellung der Weltgeschichte verschulden. Dem möchte ich hiermit
vorgebeugt haben!

Indem ich nun zu den Klagen über unmäßige Arbeitszeit, Nachtarbeit der
Frauen u. s. w. übergehe, kann ich meine Verwunderung darüber nicht unterdrücken,
daß die Herren so vielerlei schwer auszuführende oder ungenügende Vorschläge
machen und das Zunächstliegende übersehen. Ganz besonders nimmt mich das
von den Rednern des Zentrums wunder. Sie haben doch so oft von den
Herren Windthorst und von Schorlemer vernommen, daß es ein Universal-


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[0321] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. 6. le werden, meine Herren, mit Recht mich von mir eine Äußerung über den Normalarbeitstag, und weis damit zusammenhängt, er warten; und ich beabsichtige auch umsoweniger, mich dieser Pflicht zu entziehen, als ich mich mit diesen Fragen noch niemals be¬ schäftigt habe, man aber einen Gegenstand am leichtesten kennen lernt, indem man über denselben spricht oder schreibt. Diese Thatsache darf ich als allgemein bekannt voraussetzen. Vorher fühle ich mich jedoch verpflichtet, wieder ein Mißverständnis aufzuklären. In der Reichstagssitzung vom 17. Januar wies der verehrte Abgeordnete für Hagen den Vorwurf, daß die deutschfrei¬ sinnige Partei ihren Wahlaufruf mit der Parole „Vorwärts für Kaiser und Reich" geschlossen, mithin die Worte „mit Gott" weggelassen habe, mit der Erklärung zurück: „Es giebt ein Gebot, welches heißt: Du sollst den Namen Gottes nicht mißbrauchen." Dazu wurde auf der Rechten „Oho!" gerufen. Beide Äußerungen sind außerhalb der Versammlung mißverstanden worden. Während Herr Richter offenbar sagen wollte: „Wenn wir den Namen Gottes in einem solchen Wahlaufrufe gebracht hätten, so wäre das ein Mißbrauch ge¬ wesen," und die Rechte hiergegen höflich protestirte, indem sie ihre Einwendung, daß der Redner wieder einmal die Bescheidenheit für sich und seine Partei zu weit treibe, im Interesse der Abkürzung der parlamentarischen Verhandlungen in ein kurzes „Oho!" zusammendrängte — hat man im Publikum die Er¬ klärung Richters als eine verunglückte Bosheit aufgefaßt und dementsprechend auch den Zwischenruf gedeutet. Ich weiß nicht, wodurch das Publikum sich für berechtigt hält, an die Möglichkeit eines so gereizten Tones in der Versamm¬ lung zu glauben, in welcher doch, wie es ihrer Würde angemessen ist, stets die verbindlichsten Formen für den Ausdruck gegenseitiger Hochachtung, ganz be¬ sonders von dem Abgeordneten Richter, gewahrt werden. Wenn min jener Auffassung nicht widersprochen würde, könnte sie sich einbürgern und eine be¬ klagenswerte Entstellung der Weltgeschichte verschulden. Dem möchte ich hiermit vorgebeugt haben! Indem ich nun zu den Klagen über unmäßige Arbeitszeit, Nachtarbeit der Frauen u. s. w. übergehe, kann ich meine Verwunderung darüber nicht unterdrücken, daß die Herren so vielerlei schwer auszuführende oder ungenügende Vorschläge machen und das Zunächstliegende übersehen. Ganz besonders nimmt mich das von den Rednern des Zentrums wunder. Sie haben doch so oft von den Herren Windthorst und von Schorlemer vernommen, daß es ein Universal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/321>, abgerufen am 01.05.2024.