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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine Perle.

quisition des päpstlichen Stuhls, der charakteristischen Kardinalsattribnte, also
der Schnüren und Klunkern, habe entkleiden müssen, sodcch endlich nichts als
ein simpler Cappello übrig geblieben sei. So geht hier im Volke die Sage,
fuhr der Alte fort, es hängt dem Klerus gar zu gern eins an. Ich besitze
die Veroneser Chronik des gelehrten Girolamo della Corte, und der weiß andres
und für ein junges Blut, wie du es bist, weit Lehrreicheres zu berichten. Es
war Anno 1302, also zu der Zeit, als Bartolomeo della Scala das Ruder des
Staates führte. Da begab es sich, daß ein Sohn aus dem mit den Cappulctti
tödlich verfeindeten Geschlechte der Mvnteechi in sträflicher Liebe für die sieb¬
zehnjährige Tochter des alten Cappuletti entbrannte, und daß diese, von
hitzigerem Blute als der heutigen Tages in der Osteria geschenkte Landwein,
seinen Werbungen hinter dem Rücken ihres Vaters Gehör schenkte. Die Sache
hat ein übles Ende genommen. Ich werde dir morgen den granitnen Sarko¬
phag zeigen, in welchem die Gebeine des Mädchens ruhen, samt denen ihres
Verführers, denn der Himmel hat nicht zugegeben, daß diese entarteten Kinder,
denen die Fehde ihrer Hänser nicht heilig war, anders als im kurzen Rausche
einander angehörten. Und so, schloß der Alte, möge jeder Frevel enden, der
aus der Mißachtung väterlichen Ansehens und kindlicher Pflichten entspringt.

Diesmal konnte Florida nur schweigen. Als der alte Buvnaeolsi ihr die
Hand zum Herabsteigen vom Brunnenrande reichte, tropfte ihr es von den
Wimpern, weder sie noch er wußte, ob aus Teilnahme für das Loos der Lie¬
benden oder weil sie, die ebenfalls siebzehnjährige und von den Nachstellungen
einzelner der Mcmtuauer Gonzagas oft genug beunruhigt gewesene, sich von
dem Vernommenen, als auf sie persönlich gemünzt, getroffen fühlte.




Fünftes Aapitel.

Kurz vor dem Ave-Maria-Läuten wurde Ephraim Brondolos Butike
erreicht.

Der Juwelier war ein dürres, altes Männchen mit sehr krummer Nase,
langem, graumelirtem Spitzbart und kleinen, etwas schielenden grauen Angen-
Er war in einen abgeschabten grünen Talar von Bologneser Wollengewebe ge¬
kleidet und hatte ein kirschrotes Sammetkäppchen auf dem kahlen Kopfe. Seine
Hände zitterten, und er hüstelte in einem fort, was ihn aber nicht hinderte,
über einen jungen, schmucken Gehilfen, der mit dem abendlichen Aufräumen unter
der Musterauslage beschäftigt war, eine Flut von keifenden Schmähungen aus¬
zugießen, ja ihn dazwischen auch beim Ohre oder gar bei den Haaren zu
zerren.

Als Ephraim den alten Buonacvlsi erblickte, gab er sich das Ansehen, als
schäme er sich, über einer solchen häuslichen Szene betroffen worden zu sein,
klopfte dem jungen Mann, den er jetzt seinen lieben Neffen nannte, begütigend


Um eine Perle.

quisition des päpstlichen Stuhls, der charakteristischen Kardinalsattribnte, also
der Schnüren und Klunkern, habe entkleiden müssen, sodcch endlich nichts als
ein simpler Cappello übrig geblieben sei. So geht hier im Volke die Sage,
fuhr der Alte fort, es hängt dem Klerus gar zu gern eins an. Ich besitze
die Veroneser Chronik des gelehrten Girolamo della Corte, und der weiß andres
und für ein junges Blut, wie du es bist, weit Lehrreicheres zu berichten. Es
war Anno 1302, also zu der Zeit, als Bartolomeo della Scala das Ruder des
Staates führte. Da begab es sich, daß ein Sohn aus dem mit den Cappulctti
tödlich verfeindeten Geschlechte der Mvnteechi in sträflicher Liebe für die sieb¬
zehnjährige Tochter des alten Cappuletti entbrannte, und daß diese, von
hitzigerem Blute als der heutigen Tages in der Osteria geschenkte Landwein,
seinen Werbungen hinter dem Rücken ihres Vaters Gehör schenkte. Die Sache
hat ein übles Ende genommen. Ich werde dir morgen den granitnen Sarko¬
phag zeigen, in welchem die Gebeine des Mädchens ruhen, samt denen ihres
Verführers, denn der Himmel hat nicht zugegeben, daß diese entarteten Kinder,
denen die Fehde ihrer Hänser nicht heilig war, anders als im kurzen Rausche
einander angehörten. Und so, schloß der Alte, möge jeder Frevel enden, der
aus der Mißachtung väterlichen Ansehens und kindlicher Pflichten entspringt.

Diesmal konnte Florida nur schweigen. Als der alte Buvnaeolsi ihr die
Hand zum Herabsteigen vom Brunnenrande reichte, tropfte ihr es von den
Wimpern, weder sie noch er wußte, ob aus Teilnahme für das Loos der Lie¬
benden oder weil sie, die ebenfalls siebzehnjährige und von den Nachstellungen
einzelner der Mcmtuauer Gonzagas oft genug beunruhigt gewesene, sich von
dem Vernommenen, als auf sie persönlich gemünzt, getroffen fühlte.




Fünftes Aapitel.

Kurz vor dem Ave-Maria-Läuten wurde Ephraim Brondolos Butike
erreicht.

Der Juwelier war ein dürres, altes Männchen mit sehr krummer Nase,
langem, graumelirtem Spitzbart und kleinen, etwas schielenden grauen Angen-
Er war in einen abgeschabten grünen Talar von Bologneser Wollengewebe ge¬
kleidet und hatte ein kirschrotes Sammetkäppchen auf dem kahlen Kopfe. Seine
Hände zitterten, und er hüstelte in einem fort, was ihn aber nicht hinderte,
über einen jungen, schmucken Gehilfen, der mit dem abendlichen Aufräumen unter
der Musterauslage beschäftigt war, eine Flut von keifenden Schmähungen aus¬
zugießen, ja ihn dazwischen auch beim Ohre oder gar bei den Haaren zu
zerren.

Als Ephraim den alten Buonacvlsi erblickte, gab er sich das Ansehen, als
schäme er sich, über einer solchen häuslichen Szene betroffen worden zu sein,
klopfte dem jungen Mann, den er jetzt seinen lieben Neffen nannte, begütigend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/494>, abgerufen am 01.05.2024.