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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kanzlerrede vom 2. März und England.

in 2. März hielt Fürst Bismarck im Reichstage eine Rede, die
wir seinen bedeutendsten Leistungen ans dem Gebiete der parla¬
mentarischen Diskussion beizählen, und von der wir hoffen, daß
sie mit ihrem mächtigen Appell an das patriotische Gefühl des
deutschen Volkes tiefer und nachhaltiger wirken werde als auf die
vielfach von kleinlichen Parteirücksichten verblendete und bethörte Versammlung,
an welche sie zunächst gerichtet war. Ju folgendem betrachten wir dieselbe aber
nicht sowohl nach dieser Wendung, als nach der nicht weniger wichtigen, wo der
Kanzler über die Grenzen Deutschlands hinaus sprach und Aufschluß über seine
Stellung zur Politik der englischen Regierung erteilte.

Lord Granville hatte im Oberhause geäußert, die vom deutschen Reichs¬
kanzler erhobenen Ansprüche zielten dahin, England zum Verzicht auf alles freie
Handeln in kolonialen Angelegenheiten zu nötigen -- eine Übertreibung, die,
verglichen mit dem bescheidnen Auftreten der deutschen Politik auf diesem Ge¬
biete, sofort in die Augen springt.

Der britische Minister des Auswärtigen hatte ferner behauptet, der Reichs¬
kanzler nehme zu dem Verfahren Englands in Ägypten eine ungünstige Stel¬
lung ein. und zwar deshalb, weil sein Rat, sich Ägyptens zu bemächtigen, von
der britischen Negierung nicht befolgt worden sei -- ein Vorwurf, der, wie
Man vermuten durfte, in der Absicht erhoben wurde, in Frankreich zu verstimmen
und mißtrauisch zu machen, der aber nach der Rede des Fürsten, sowie nach anderem,
was wir wissen, jeder Begründung entbehrt. Der deutsche Kanzler hat der englischen
Negierung in Sachen Ägyptens niemals jenen Rat, ja er hat ihr in dieser
Hinsicht überhaupt keinen Rat erteilt, obwohl er wiederholt darum angegangen


Grenzboten I. 13S6, 69


Die Kanzlerrede vom 2. März und England.

in 2. März hielt Fürst Bismarck im Reichstage eine Rede, die
wir seinen bedeutendsten Leistungen ans dem Gebiete der parla¬
mentarischen Diskussion beizählen, und von der wir hoffen, daß
sie mit ihrem mächtigen Appell an das patriotische Gefühl des
deutschen Volkes tiefer und nachhaltiger wirken werde als auf die
vielfach von kleinlichen Parteirücksichten verblendete und bethörte Versammlung,
an welche sie zunächst gerichtet war. Ju folgendem betrachten wir dieselbe aber
nicht sowohl nach dieser Wendung, als nach der nicht weniger wichtigen, wo der
Kanzler über die Grenzen Deutschlands hinaus sprach und Aufschluß über seine
Stellung zur Politik der englischen Regierung erteilte.

Lord Granville hatte im Oberhause geäußert, die vom deutschen Reichs¬
kanzler erhobenen Ansprüche zielten dahin, England zum Verzicht auf alles freie
Handeln in kolonialen Angelegenheiten zu nötigen — eine Übertreibung, die,
verglichen mit dem bescheidnen Auftreten der deutschen Politik auf diesem Ge¬
biete, sofort in die Augen springt.

Der britische Minister des Auswärtigen hatte ferner behauptet, der Reichs¬
kanzler nehme zu dem Verfahren Englands in Ägypten eine ungünstige Stel¬
lung ein. und zwar deshalb, weil sein Rat, sich Ägyptens zu bemächtigen, von
der britischen Negierung nicht befolgt worden sei — ein Vorwurf, der, wie
Man vermuten durfte, in der Absicht erhoben wurde, in Frankreich zu verstimmen
und mißtrauisch zu machen, der aber nach der Rede des Fürsten, sowie nach anderem,
was wir wissen, jeder Begründung entbehrt. Der deutsche Kanzler hat der englischen
Negierung in Sachen Ägyptens niemals jenen Rat, ja er hat ihr in dieser
Hinsicht überhaupt keinen Rat erteilt, obwohl er wiederholt darum angegangen


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[0557] [Abbildung] Die Kanzlerrede vom 2. März und England. in 2. März hielt Fürst Bismarck im Reichstage eine Rede, die wir seinen bedeutendsten Leistungen ans dem Gebiete der parla¬ mentarischen Diskussion beizählen, und von der wir hoffen, daß sie mit ihrem mächtigen Appell an das patriotische Gefühl des deutschen Volkes tiefer und nachhaltiger wirken werde als auf die vielfach von kleinlichen Parteirücksichten verblendete und bethörte Versammlung, an welche sie zunächst gerichtet war. Ju folgendem betrachten wir dieselbe aber nicht sowohl nach dieser Wendung, als nach der nicht weniger wichtigen, wo der Kanzler über die Grenzen Deutschlands hinaus sprach und Aufschluß über seine Stellung zur Politik der englischen Regierung erteilte. Lord Granville hatte im Oberhause geäußert, die vom deutschen Reichs¬ kanzler erhobenen Ansprüche zielten dahin, England zum Verzicht auf alles freie Handeln in kolonialen Angelegenheiten zu nötigen — eine Übertreibung, die, verglichen mit dem bescheidnen Auftreten der deutschen Politik auf diesem Ge¬ biete, sofort in die Augen springt. Der britische Minister des Auswärtigen hatte ferner behauptet, der Reichs¬ kanzler nehme zu dem Verfahren Englands in Ägypten eine ungünstige Stel¬ lung ein. und zwar deshalb, weil sein Rat, sich Ägyptens zu bemächtigen, von der britischen Negierung nicht befolgt worden sei — ein Vorwurf, der, wie Man vermuten durfte, in der Absicht erhoben wurde, in Frankreich zu verstimmen und mißtrauisch zu machen, der aber nach der Rede des Fürsten, sowie nach anderem, was wir wissen, jeder Begründung entbehrt. Der deutsche Kanzler hat der englischen Negierung in Sachen Ägyptens niemals jenen Rat, ja er hat ihr in dieser Hinsicht überhaupt keinen Rat erteilt, obwohl er wiederholt darum angegangen Grenzboten I. 13S6, 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/557>, abgerufen am 01.05.2024.